VarusDas möcht’ ich sehn.
ArminIch brenn’, es dir zu zeigen.
VarusNein, nein, du bist nicht Sohn des Segimer. Zu Drusus’ Zeiten zogen die Legionen Durch dies Gebirg’, der schönste Reiteroberst Gefiel der Fürstin – zwar dein Aug’ ist blau, Doch römisch ist der Geist, der ihm entstrahlt.
ArminMein Feldherr, du verpflichtest mich zu tief.
Nach diesem Gespräch nehmen die markomannischen Gesandten eilends Abschied, um ihrem König zu berichten:
Wohl geht Armin mit schweren Taten schwanger,
Da er die Mutter lästern hört und lächelt.
Das Blättchen, worauf diese Worte von des Dichters eigener Hand stehen – er hatte sie doppelt geschrieben –, ist das einzige sichtbare Andenken an jene Zeit, das ich von Gustav Borck besitze.
Der Dichter las und las, bis alle Kerzen niedergebrannt waren, während wir unbeweglich saßen und kaum zu atmen wagten. Keiner von uns lebte mehr in der Wirklichkeit, wir waren ins Lager des Varus entrückt, in das sich vorbereitende Verderben. So oft Gustav eine Pause machte, waren drei Paar Augen auf ihn mit Spannung gerichtet und baten: Weiter! Nicht der aufdämmernde Morgen, nur der Umstand, dass das Geschriebene zu Ende war, zwang uns endlich aufzubrechen.
In dieser Nacht zerschmolz das letzte Eis zwischen ihm und seinen Freunden, wir durften ihn fortan in unsere Brüderlichkeit einschließen. Mit überwallendem Herzen dankte er seinen Hörern und erklärte sich für unsern Schuldner, indem er jedem von uns für einen Beitrag verpflichtet sein wollte: mir für die Züge indianischer Wildenschlauheit, die er seinen Cheruskern lieh, Kuno Schütte für den Seherton der Alraune, unserm Jüngsten, der mit seinem Kindergemüt überall kleine reizvolle Erlebnisse hatte, für die Gestalt eines von der achtzehnten Legion aufgelesenen und gehätschelten Germanenkindes, denn ein ähnlich reizendes Naturwesen, das er als Knabe kannte, hatte dieser in seinen Liedern besungen.
So schenkte er jedem großmütig einen Anteil an seinem Glück. Unmöglich, sich in dieser Stimmung zu trennen. Es wurde beschlossen, Adele zu wecken, damit sie uns einen starken Kaffee braue, und unsere Sitzung bis Sonnenaufgang am Stammtisch fortzusetzen.
Unbarmherzig klingelten wir die Ärmste, die jede Nacht bis zwei Uhr auf den Beinen sein musste, aus dem Morgenschlaf, und sie öffnete auch gehorsam, weil sie Gustavs Stimme vernommen hatte. Mit verschlafenem Gesicht, die dunklen Haare in kleidsamer Unordnung um den zierlichen Kopf geschlungen, erschien sie bald darauf mit dem dampfenden Kaffee. Aber keiner von uns, vielleicht Olaf ausgenommen, hatte einen Blick für diese verträumte Schönheit, so ganz standen wir noch unter dem Bann der heroischen Dichtung.
Niemals bis an mein Lebensende werde ich jenen frühen Maimorgen vergessen, wo wir vier mit übernächtigen Gesichtern und glühenden Augen, den Rausch der Dichtung noch in den Adern, in der kleinen Stube beisammen saßen. Eine so tiefe Spur hat er in mir zurückgelassen, dass noch heute der Duft von frischgebrautem Kaffee in der Dämmerfrühstunde genügt, ihn mir ins Gedächtnis zu rufen. In Gustav brannte das Feuer weiter, er sprach und sprach. Seine Gestalten wurden beim Reden noch lebendiger und durchsichtiger, als sie es während des Lesens waren, wir lernten wie von lebenden Menschen nach und nach jede Abschattung ihres Wesens kennen und sahen in das innerste Triebwerk ihres Seelenlebens hinein. Unsere Ungeduld fragte ihm auch die Fortsetzung ab, die erst im Szenarium entworfen war und die er uns bruchstückweise erzählen oder aus zerstreuten Aufzeichnungen seines Taschenheftchens lesen musste. Beim Beginn des zweiten Aktes sahen wir römische Soldaten damit beschäftigt, zu Bauzwecken unwissentlich einen hochheiligen Eichenwald zu fällen, aus dem ihnen ein altes, wirr und wüste aussehendes Weib, die Schicksalsfrau aus dem Vorspiel, entgegentritt. Ein Veteran erkennt in ihr dieselbe Unholdin, die ein halbes Menschenalter zuvor durch ihr Erscheinen den Drusus zur Umkehr aus Deutschland bewogen und ihm seinen nahen Tod verkündet hat. Der Soldat glaubt, dass sie das Pferd verhext habe, das kurz darauf seinen geliebten Feldherrn zu Tode schleifte, und in dem Wortwechsel, der sich entspinnt, wird die Hexe erschlagen. Sterbend murmelt sie eine furchtbare Weissagung, aber die barbarischen Laute werden von den römischen Soldaten nicht verstanden und verlacht. Zwar trifft die römische Mannszucht in Gestalt eines Zenturionen wie ein Wetterstrahl den Schuldigen, und der Feldherr, von Armin bestärkt, redet sich ein, dass mit dem Blut eines römischen Legionärs das Blut eines alten germanischen Holzweibleins mehr als bezahlt sei. Aber das Holzweiblein war die allverehrte Seherin des Stammes gewesen, und ihr Tod ist für den Fürsten der willkommene Hebel, das Volk zum Aufstand zu bewegen. Rasch lässt er Runen schnitzen und ihre Weissagung von einem nahen unerbittlichen Strafgericht über alle umwohnenden Stämme verbreiten. Bis dahin hat er noch der germanischen Trägheit und Uneinigkeit misstraut, jetzt, wo die Seherin erschlagen, die Heiligtümer geschändet sind, kann er den heiligen Krieg entbieten, und jetzt verlässt er sich fest auf seine Landsleute. Jedoch Segestes durchschaut den Anschlag und entdeckt ihn dem Varus. Alles scheint verloren. Varus aber ist nicht zu warnen. Sein Vertrauen in Arminius hat etwas Schicksalhaftes wie das des Friedländers in den Pikkolomini. Er hält es für unmöglich, dass einer, der die römische Ritterwürde trägt, seine heimischen Wälder und rohen Steinaltäre den vergoldeten Tempeln Roms und seinen geselligen Genüssen vorziehen sollte. Von allen Barbaren ehrt er nur diesen Einen als seinesgleichen. Auch der ergebene Segestes ist ihm nur der dummschlaue Wilde, dessen selbstische Absichten er durchschaut; in dem schönen, von Geist umleuchteten Cheruskerjüngling sieht er die wahre Stütze des Römertums und lässt sich ganz von seinen Ratschlägen leiten. Und völlig sicher, wie von einer höheren Macht geführt, geht der junge Held seine gefährlichen Wege. Er spielt noch in grausamer Lust mit den Römern, ehe er sie vernichtet. Varus hat ihm beim Gastmahl eine griechische Flötenspielerin an die Seite gelegt, und der Gatte Thusneldens tändelt mit dem schönen fremden Singvogel, von dem man ihn gefesselt glaubt, während schon alle Wälder und Schlupfwinkel von bewaffneten Cheruskern und ihren Verbündeten wimmeln. Thusnelda zürnt und fordert von dem Römergesetz die Scheidung, die ihr der germanische Brauch versagt, Armin beschwichtigt sie und verspricht ihr Sühne, doch in sein Geheimnis lässt er auch die Tochter des Segest nicht blicken.
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