Er redete mit überstürzenden Worten und einer flackernden Röte im Gesicht, seine Augen brannten. Ich staunte seine Kühnheit an, aber ich war ein viel zu großer Verehrer Kleist’s, um zu begreifen, wie man nach ihm noch eine Hermannsschlacht sollte dichten können.
Er sah mich groß an:
Kleist hat keine Hermannsschlacht gedichtet.
Wie? fragte ich verblüfft.
Kleist lebte in Tagen höchster vaterländischer Hochspannung, in seiner Seele brannte das Schandmal der Fremdherrschaft, er dichtete aus seinem eigenen grimmigen, unersättlichen Hass heraus. Und sein Racheschmerz gebar ein Gedicht, so groß wie Sie nur irgend wollen, aber keine Hermannsschlacht. Was war ihm das Deutschland vom Jahre 9 unserer Zeitrechnung? Was gingen ihn die Römer an? Er sah nur die Franzosen von 1806 und 7, er gab sich kaum die Mühe, ihnen ein römisches Mäntelchen umzuhängen. Und seine Germanen! Hören Sie einmal sein Bardenlied. Mit Händen, die vor Erregung zitterten, riss er ein Buch vom Gestell, das er hastig durchblätterte, und begann die Strophe zu lesen:
Wir litten menschlich seit dem Tage –
Als er aber an die Stelle kam:
Wir übten nach der Götter Lehre
Uns durch viele Jahre im Verzeihn,
da warf er das Buch auf den Tisch und rief:
Ist das germanisch, sind das Wotanspriester? Sind das nicht vielmehr verkappte evangelische Pastoren? Wann hätten unsere alten Siegsgötter Verzeihung und Unterwerfung gelehrt? Und danach sollte kein andrer mehr nach dem Kranz aller Kränze greifen dürfen? Ich werde meinen Cheruskern einen Schlachtgesang in den Mund legen, in dem die Hammerschläge Thors dröhnen.
Er ging mit großen Schritten durchs Zimmer, seine Augen flammten. Dann blieb er vor mir stehen.
Missdeuten Sie mich nicht. Kleist hatte als Dichter das Recht, zu verfahren, wie er verfuhr, und niemand bewundert ihn mehr als ich. Aber er hat noch Raum gelassen für meine Dichtung und dafür danke ich ihm mehr als für alles Große, was er selbst geschaffen hat. Und ich bin gleichfalls im Recht, wenn ich es völlig anders anfasse. – Mir sind wie dem Vater Homer Sieger und Besiegte gleich sangeswürdig. Der germanischen Heldengröße will ich die römische entgegensetzen. Den Zusammenprall zweier Welten will ich darstellen, einer reifen, höchst verfeinerten, mit allem Glanz und allen Lastern ausgestatteten, und einer rohen urtümlichen, die aber den Hauch der Jugend, die höhere sittliche Kraft und die keimende Zukunft für sich hat. Und beide will ich in solchen Gestalten verkörpern, dass um Freund und Feind dieselbe tragische Glorie scheinen soll.
Um ihn selber, den schönen Menschen, lag es wie ein Glorienschein, als er im Zimmer auf und nieder gehend mir den Plan seiner Trilogie »Der Befreier« entwickelte. Ich war wieder ganz von ihm berauscht. Ist es möglich, dachte ich, dass ein Sterblicher soviel von der Natur empfangen hat, und wer bin denn ich, dass ein solcher Mensch sich mir hingibt! Noch ohne eine Zeile von seinem Werk zu kennen, war ich schon überzeugt, dass es den größten Dichtungen aller Zeiten zum mindesten ebenbürtig sein müsse, und nach dem Stolz zu schließen, der aus seinen Augen blitzte, teilte der Verfasser, wenigstens für diesen Abend, meine Überzeugung.
Der kürzere erste Teil »Die Norne« war schon fertig, der zweite »Die Varusschlacht« eben im Werk. Der dritte, der noch keinen Namen hatte, sollte dann den Helden zeigen, wie er nach dem Abzug des Germanikus und dem völligen Sturz der Römerherrschaft in Deutschland an dem Versuch, die Stämme unter einer starken Faust zu einigen, bei der Balderfeier am Sonnwendtag durch Verwandtenmord zugrunde geht.
Lassen Sie nur erst die Varusschlacht etwas weiter vorgerückt sein, sagte er, so sollen Sie einen Vorschmack vom Ganzen bekommen. Sie und Olaf und unsern treuen Schütte habe ich mir immer als meine ersten Zuhörer gedacht. Ihr seid auch meine heimlichen Mitarbeiter, Ihr drei, aber das wird Ihnen erst beim Lesen aufgehen.
Seine Aufgeräumtheit wurde immer fieberhafter, er ließ mich nicht mehr fort, und da ihm jetzt plötzlich einfiel, dass er seit dem Frühstück noch nüchtern war, holte er aus dem Schrank eine Flasche Wein und etwas Zwieback, seine einzige Nahrung in jenen Tagen des Überschwangs. In der Aufregung stieß er ein Familienbild, das auf der Kommode stand, herunter, dass es klirrend zerbrach.
Ich nehme das böse Omen für sein Gegenteil, rief er mit wilder Lustigkeit, während wir die Scherben auflasen. Wenn die Götter eingezogen sind, müssen die Götzen fallen. Die Familie ist der Obergötze, der die Kindlein auf seine glühenden Molocharme nimmt, dass sie verkohlen. Wie anders wäre ich geworden ohne diesen rotgeheizten Bal. Betrachten Sie sich einmal den alten Herrn hier auf dem Bilde. Gleichen wir uns nicht wie zwei Wassertropfen, abgesehen vom Lebensalter? Sind das nicht dieselben Augenknochen, derselbe harte Schnitt von Kinn und Nase? Es ist die Folge der langen Züchtung und Zucht, dass ich kein anderes Gewand bekommen konnte, dass ich nun auch die vererbte preußische Uniform durchs Leben mit mir trage. Ebenso hätte man mir die Seele nach altem Familienmuster gemodelt, wäre ich nicht mit dem Geist des Widerspruchs geboren. Und doch, was machen Gewohnheit und Erziehung aus! Von meinem vierten Jahre an führte mich der alte Herr zu meinem Geburtstag jedes Mal vor ein Glasschränkchen, worin zwei Familienstücke lagen: das Eiserne Kreuz, das der Großvater sich bei Leipzig geholt hat, auf rotem Sammetkissen, und auf einem schwarzen die Pistole, mit der sein eigner Bruder sich wegen unbezahlter Ehrenschulden auf väterlichen Befehl erschoss. Die nachträgliche gewissenhafte Tilgung der Schuld hat die Familie in Armut gestürzt und das Gemüt des Alten verhärtet. Die erste Stunde Müßiggang, pflegte er mir mit erhobenem Finger zu sagen, ist der erste Schritt auf dem Weg zum Abgrund. »Müßiggang« war ihm alles, was nicht zum Dienst gehörte. Sollten Sie es glauben, dass ich noch jetzt unter dem Dichten plötzlich den Eindruck habe, als sähe der alte Herr mir drohend über die Schulter, und ich müsste schnell mein Blatt vor ihm verstecken, um irgendein Generalstabswerk oder das Corpus juris zur Hand zu nehmen. Ich werde noch Zeit genug brauchen, bevor ich mir für mein Werk das freie Gewissen erobere.
Er verschloss das beschädigte Bild im Schubfach und füllte die Gläser. Ich musste mit ihm anstoßen auf die glückliche Geburtsstunde seines Cheruskers.
Schlagen Sie den Daumen ein, dass mir kein anderer zuvorkommt, sagte er. Seit ich im Zuge bin, meine ich, tausend Hände müssten sich nach diesem Stoffe ausstrecken, der der höchste Vorwurf unserer tragischen Muse ist. Wenn einer nachsinnend unter den Platanen da drüben auf und ab geht, so frage ich mich, ob er nicht eben an einer Hermannsschlacht dichtet. Ermorden könnte ich den Dieb, der das wagte, denn dieser Stoff ist mein. Er hat ja mich gewählt, nicht ich ihn. Sie sehen mich verwundert an? Wissen Sie denn nicht, dass die Kunstwerke ihr Eigenleben haben und immer lange vor ihren Schöpfern dagewesen sind? Echte Dichtung ist kein Menschenwerk, sie ist von Urbeginn vorhanden. Sie ist nur stumm, bis sich das rechte Saitenspiel findet, auf dem sie tönen kann. Erinnern Sie sich, was Kuno Schütte einmal vorbrachte von den ungeborenen Seelen, die im All umherstäuben, um sich ihre Erzeuger zu suchen? Er hat völlig recht, nur dass es auf die Kunstwerke geht, was er von den Menschenseelen glaubt. Immer schweben die Flügel der ungeborenen Dichtungen um uns her, zuweilen hören wir ihr Rauschen, ein halbes Wort, ein wortloser Rhythmus dringt an unser Ohr, eine Gestalt wird zur Hälfte sichtbar, dann weiß ich, das sind die Meinen, die mich suchen, die ich suchen soll, weil sie ohne mich nicht leben können. Es war ja doch kein Zufall – und wo gibt es einen solchen? dass ich damals zu dem Fund der Hufeisen kam. Es war die ungeborene Arminiusdichtung, die mich an jene Stelle zog, um meinen Geist zu wecken. Meinen Freund und Erzieher hat mich das gekostet, den einzigen Führer meinem Jugend: er glaubte den Schatz in anderer Gestalt zu heben und wurde das Opfer seines Wahns, denn der Auserwählte, dem es galt, war ich.
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