Wer sind Sie? Was wollen Sie? Gibt es keinen anderen Platz im Wald, wo Sie sich niedersetzen können?
Ganz verdutzt rief ich ihn mit Namen und nannte ihm meinen eigenen, aber er sprang auf, sah mich mit völlig fremden Augen an, die wie aus Weltenferne herausblickten und sagte:
Wer gibt Ihnen das Recht, mich anzureden?
Er ist wahnsinnig, Gustav Borck ist wahnsinnig geworden, sagte ich voll Entsetzen zu mir selber und trat langsam, unschlüssig zurück. Da rief er wild:
Bleiben Sie meinetwegen, ich trete Ihnen den Platz ab, – raffte ein Heft an sich, das neben ihm lag, und stürmte mit langen Schritten davon.
Ich blieb wie versteinert stehen, die würzige Morgenluft, die schwellenden Knospen, das schwarzbraune Mädchen, alles ward zunichte vor dem einen Gedanken: Gustav Borck ist wahnsinnig geworden! In die Stadt zurückgekehrt, war es mein erstes, Heinrich Sommer aufzusuchen und ihm den Vorfall mitzuteilen. Aber der Mediziner lachte mich aus.
Nicht geisteskrank ist er, sagte er grimmig, sondern der Hochmutsteufel reitet ihn. Glaubst du denn, er habe dich nicht erkannt? Wie oft ist er an mir vorbeigegangen, als ob ich Luft wäre, auch wenn wir noch den Abend zuvor beisammen saßen. Verwöhnt haben wir ihn, das ist seine ganze Krankheit, und nun lässt er sich in jeder Laune gegen die Freunde gehen.
Zwischen Borck und Sommer hatte nie ein rechtes gegenseitiges Verständnis geherrscht, deshalb überzeugten mich seine Worte nicht. Unser kleiner Kreis war der Ferien wegen auseinandergeflogen, nur Olaf und Kuno fanden sich noch des Abends am gewohnten Platze ein, Borck blieb schon seit geraumer Zeit aus, und Adele bekannte uns jetzt, dass sie lange vor uns die Anzeichen einer wachsenden Gemütsveränderung an ihm wahrgenommen habe. Sein Blick sei oft so fremd und gestört gewesen, als ob er etwas Verlorenes suche, und man habe ihm deutlich angesehen, dass er nur mit dem Körper in unsrer Mitte sei. Um ihr gefällig zu sein, zog Olaf bei Gustavs Hauswirtin, einer treubesorgten Studentenmutter, die mit Begeisterung an ihrem schönen Mietsherrn hing, Erkundigungen ein, und diese erzählte, dass es allerdings mit Herrn v. Borck seit längerer Zeit nicht richtig sei, man höre ihn Nächte lang im Zimmer umherfahren, laut und heftig mit sich selber reden, dass es ganz schaurig durch die Zimmer töne, auch sei jeden Morgen die Lampe bis auf den Grund niedergebrannt. Die Tage verbringe er bei geschlossener Tür und wolle nicht an die Essensstunde erinnert sein; man dürfe überhaupt nicht mit ihm sprechen, und beim leisesten Geräusch gerate er außer sich. Er habe ja schon öfter solche Zustände gehabt, aber so schlimm wie diesmal sei es noch nie gewesen, man könne nichts tun, als ihn ganz sich selber überlassen, bis die Aufregung sich lege.
So machte denn auch niemand einen Versuch, über die Schwelle des Einsamen zu dringen, aber ich pendelte manche Nacht in der Platanenallee auf und ab, um zu seinen Fenstern hinaufzuspähen, die zu jeder Stunde erleuchtet waren und wo ab und zu ein Schatten unruhig vorüberfuhr. Einmal sah ich auch in später Nachmitternachtsstunde eine weibliche Gestalt am Flussufer stehen und nach dem erhellten Turmzimmer hinaufschauen. Bei meinem Näherkommen glitt sie wie ein Schemen hinweg, ich erkannte Adele.
Nun stehe ich eines Tages ganz vertieft vor der Auslage einer Buchhandlung, als sich von hinten leise eine Hand in die meine schiebt und ich mich beim Umdrehen dem alten Gustav Borck gegenüber sehe, der mir ernst und freundlich in die Augen blickt.
Was müssen Sie neulich von mir gedacht haben! fing er an. Aber wenn Sie wüssten, welchen Einsturz Ihre unvermutete Anrede in mir bewirkte, so würde Ihnen gewiss mein Betragen in milderem Lichte erscheinen.
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: ich hatte ihn in einer Stunde der Empfängnis gestört, und alles, was wir für Anzeichen von Geistesverwirrung hielten, die Abkehr von den Freunden, die langen Nachtwachen, das Sprechen mit sich selber, das waren die Geburtswehen des Dichters. In meiner Unschuld war es mir noch nie eingefallen, dass die Kunstwerke mit Schmerzen geboren werden, und ich kam mir selber ganz wunderlich vor, als ich jetzt aus Gustavs Munde vernahm, wie es einem Schaffenden zumute ist.
Er sagte mit gerunzelter Stirne: Sie sehen in mir einen von der gequälten Menschengattung, die einen Despoten mit sich durchs Leben trägt, – ich weiß nicht, darf ich ihn meinen Genius oder muss ich ihn meinen Dämon nennen. Ich weiß nur, dass er mich hat, dass ich nicht frei bin wie ihr andern und dass ich doch meine Sklaverei nicht für alles Glück der Erde hergeben möchte. Er bestimmt gebieterisch jeden meiner Schritte. Zum Leben lässt er mir keinen Raum, wie ich auch danach dürste; die schönste Gegenwart zerrinnt mir ungenossen, weil er mich zwingt, fort und fort in die quirlende Urmasse hineinzuhorchen, aus der meine ungeborenen Geschöpfe sich mir mit halbem Leibe entgegenrecken. Wie kann ich ein gleichmäßig gestimmter guter Kamerad sein, wenn ich mich heute als ein Halbgott, morgen als ein Wurm empfinde, je nachdem der Despot mich ansieht und meine Träume ausfallen! Ich fühle es selber am besten, wie beschwerlich oft mein Wesen den anderen sein muss. Ich bin ja keiner von den Glücklichen, denen es leicht wird. Meine Wehen sind schwer und schmerzhaft. Wenn ich es gar nicht mehr aushalte, dann renne ich hinaus in die Wälder, denn die inneren Stimmen werden vernehmlicher, wenn keine äußeren dazwischentönen. Wer mich da stört, wer mich da anrührt, der ist mir in diesem Augenblick der ärgste Feind, und wenn er mein Bruder oder meine Geliebte wäre. Ich weiß dann gar nicht, wen ich vor mir habe, denn ich bin ja nicht der Mann, den Sie kennen, Gustav Borck, ich bin die Traumgeburt, die mich gerade beschäftigt.
Dafür leben Sie das Menschenleben hundertfach, sagte ich, und lassen in guten Stunden Ihre Freunde daran teilnehmen. Wer möchte so kleinlich sein, mit Ihnen um Äußerlichkeiten zu rechten? Ich habe kein Talent als das zur Freundschaft, lassen Sie mich es ausüben in guten und bösen Stunden.
Oh, Sie kennen mich noch nicht ganz. Diese Äußerlichkeiten sind das geringste. Wenn Sie in mein Inneres blicken könnten, so würden Sie mit Entsetzen sehen, wie nutzlos Sie Ihre schöne Freundschaft verschwenden. In den Augenblicken, wo ich am meisten ich selber bin, d. h. wo Er mich ganz hat – denn ich bin nur, was ich sein soll, wenn ich mich völlig an ihn verliere –, da gibt es für mich gar keine menschlichen Bande. Ich würde alles, was andern heilig ist, Freunde, Eltern, Geliebte, Vaterland, unbedenklich dem Fürchterlichen opfern. Ich sähe mit Freuden meine Liebsten im Sarge liegen, wenn der Schmerz um sie mich meinem Ziel nur um eine Stufe näher brächte. Ich bin ein Unmensch, ich weiß es selber, und wenn Sie mir nach diesem Geständnis Ihre Freundschaft entziehen wollen, so darf ich Sie nicht tadeln. Aber glauben Sie mir, dass keiner in der Kunst etwas Großes erreichen wird, der nicht von dieser tödlichen Leidenschaft für sie besessen ist.
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