Es versteht sich, dass ein solcher Frauenlob nicht nur mit den sterbenden Frauen sich abgab. Ihm gefielen alle. Es gab für ihn eigentlich keine hässliche Frau. An jeder Vorübergehenden entdeckte er eine Schönheit, und wenn sie gar nichts für sich hatte als einen anmutigen Gang, so entzückte ihn dieser. Und es versteht sich ebenfalls, dass ihm seine Gefühle noch feuriger zurückgegeben wurden, woraus sich die vielen kleinen Dramen entwickelten, aus denen er sich ebenso leicht wieder herauswickelte, denn in der Nähe solcher Naturen gibt es keine Tragik. Man könne die Frauen nur ein Stück weit tragen, meinte er, dann machten sie sich allemal schwer und man müsse sie wieder absetzen. Wenn die also Abgesetzten ihre Klagen erhoben, so tröstete er sein Gewissen damit, dass sich doch eine jede früher oder später wie alle ihre Vorgängerinnen, wenn sie in irgendeine ernstliche Not geriet und eines Helfers bedurfte, wieder an ihn wenden würde, und nie vergebens. Man konnte ihn dem Gösta Berling vergleichen, der an jedem Finger ein Frauenwesen hängen hat und doch immer allein bleibt. – Einmal hatte er sich auf Mütterleins Zureden zu einer reichen Witwe entschlossen. Allein er war so zerstreut, dass er die Verlobung vergaß und ohne es böse zu meinen der Braut keine Zeile mehr schrieb, bis sie die Geduld verlor und ihm seinen Ring zurückschickte, worüber er sich freute wie über ein großes Geschenk. Den von ihr empfangenen, den er nicht getragen hatte, betrachtete er bei dieser Gelegenheit zum ersten Male genau und fand, dass wer einen so protzigen Diamanten schenke, gewiss kein guter Mensch sei.
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An einem der glücklichen Sommer von Forte – oder waren es zwei? – erschien auch D’Annunzio unter den Badegästen. Er wohnte auf einer älteren landeinwärts gelegenen Villa – mit der Duse, so hieß es, die aber nie zum Vorschein kam –, und mit Pferden von edelster Zucht, sowie ebensolchen Hunden, einer ganzen Meute, die zuweilen mit ihrem Getobe den Übergang über den Fiumetto wehrten.
Vor allen andern Dichtern jener Tage war er der wahre Exponent und zugleich der großartigste Auswuchs des Zeitgeistes. Sein bacchantischer Ruf: Gioire! Gioire! (genießen!) schlug in der Jugend aller Völker ein, die Maßlosigkeit seiner Genusssucht wirkte wie eine Seuche. Ich hörte von Fällen, wo wie in Goethes »Vergöttertem Waldteufel«, hinter dem sich ja auch ein Großer aus dem Reiche des Geistes barg, junge Töchter von ihren Müttern dem neuen Naturgott vorgestellt wurden, damit sie anbeteten und seinen Segen empfingen. Ich wünschte diesem Manne niemals zu begegnen. Man brauchte mir gar nichts von seinem unritterlichen Verhalten gegen edle Frauen zu erzählen, ein einziges Wort von ihm in seinen Romanen genügte, um seine schnöde Überheblichkeit der Frau gegenüber zu kennzeichnen. In der italienischen Sprache heißt der männliche Partner in der Liebe l’amante – der Liebende – ebenso wie der weibliche. Bei D’Annunzio aber hieß der Liebhaber, unter dem er sich selber verstand, denn er konnte ja von nichts anderem reden, betonterweise nur l’amato, also derjenige, der geliebt wird, der Gegenstand der Liebe! – Einmal sah ich ihn doch vorübergaloppieren; er hatte dem edlen Tiere, das er ritt, in der glühenden Hitze den Schweif abnehmen lassen und schwang das flatternde Prachtstück wie eine Trophäe vor sich her. Die Pein des Pferdes, das sich der umschwirrenden Stechmücken und Bremsen nicht mehr erwehren konnte, klagte die Fühllosigkeit des Besitzers an. Damals kannte ich freilich seine Laudi nicht, die um jene Zeit entstanden sein mögen und die mir nachmals eine andere Meinung, nicht von dem Menschen, aber von dem Dichter D’Annunzio gaben. Ein solches Singen, Quellen, Sprudeln, Schillern, Schäumen, Sichkräuseln und Wirbeln der Sprache, in die alle Zauber des Meeres und der Wälder gebannt sind, gab es in der italienischen Dichtung nie zuvor; er hat sie aus der starren Statik erlöst, in die Carduccis Monumentalstil sie gebannt hielt, und wenn alles andere an diesem Manne kalter Glanz war, so doch eines nicht: seine tiefe Andacht zur Sprache, der er mit der Inbrunst eines Verliebten nachging, wo er sie aus dem Munde alter toskanischer Bäuerlein als an ihrem Ursprung auffangen konnte. Nach den Laudi konnte man ihm viel verzeihen, nur nicht die verratene bloßgestellte Duse.
An jenem Sommer begegnete Freund Fasola vor dem Dorf einem Bäuerlein, das mit einem verdeckten Korb aus der Berggegend herunterkam und sich bei ihm nach dem Wohnsitz der Signora Nunzia erkundigte. Fasola, der von dieser Dame nichts gehört hatte, fragte seinerseits nach dem Zweck der Frage, da deckte der Landmann eine Birne von ungeheurem Umfang auf und sagte, diese Riesenfrucht sei in seinem Baumgut gewachsen, aber da oben könne sie niemand bezahlen, deshalb habe man ihm geraten, sie der Signora Nunzia unten am Strande zu bringen, das sei eine sehr großspurige und auf alles Außerordentliche erpichte Dame, die sie ihm gewiss abnehmen werde. Nun wusste der Frager Bescheid, riet jedoch dem Bäuerlein, sich das Suchen nach besagter Dame zu sparen und lieber ihm die Birne zu verkaufen, da auch er ein Liebhaber von großen Dingen sei. So kam die Luxustafel des Dichters an jenem Tage um eine Merkwürdigkeit. Ich erzähle den Spaß nicht des Spaßes halber, sondern als Warnung für die Ruhmgierigen: unten am Strand der Dichter Italiens, der »Poeta« – d. h. der einzige, der neben Dante mit dem großen P geschrieben wurde – und wenige Kilometer landeinwärts eine von Größensucht besessene Dame Nunzia! –
Die Duse! Nachdem ihr Name genannt ist, bleibe ich einen Augenblick stehen, ihr die gebührende Huldigung zu erweisen. In dieser Zeitgestalt hat die Jahrhundertwende ihren weiblichen Ausdruck gefunden wie in D’Annunzio ihren männlichen, auf dessen herrischen Ruf »Gioire!« sie mit dem verzückten Gegenruf »Servire!« Antwort gab. Arme, arme Duse! Williges Opfer letzter furchtbarster Hörigkeit!
Die Duse gehört nicht mehr in das Heldenzeitalter der italienischen Schauspielkunst, ein breiter Trennungsstrich schied sie von dem Tommaso Salvinis. Zwar hatte sie in ihren größten Augenblicken wie dieser noch den Urlaut und den jähen Ansprung der Leidenschaft, aber im übrigen spielte sie Nerven; der große Stil war durch den Zeitgeschmack zerfasert, aus ihren Rollen hatte sie ihn nicht lernen können. Was sie darstellen musste, war fin de siècle, Problematik, bürgerliche Dekadenz. Aber sie leerte ihre öden Rollen aus von dem Kitsch und tat Menschentum hinein, ihr ganzes gequältes Frauentum. Man muss sie gesehen haben, wie sie als Marguerite Gautier von ihrem Liebesnest Abschied nimmt, jeden Gegenstand, woran ein Glückserinnern hängt, noch streichelnd, hastig, fahrig wie ein hinausgejagtes Kind. Es konnte nichts Herzzerreißenderes geben. Dass sie sich spät noch an die Kleopatra wagte, kann nur ein Fehlgriff gewesen sein, und es ist mir lieb, sie nicht in dieser Rolle gesehen zu haben, wie sehr auch ihre Bewunderer sie priesen; für Shakespeare reichten ihre Maße nicht aus. Gewiss verfügte sie über alle Verführung und alle Gefährlichkeit der königlichen Kurtisane, aber Kleopatra war mehr als das, sie war auch eine Königin und eine politische Frau. Woher den großen weltgeschichtlichen Atem nehmen? Und wer besaß ihn unter den Zeitgenossen? Dagegen sah ich sie spät einmal in ihrem höchsten Glanze – in Goldonis »Locandiera«. Sie war zwar alles eher als das jugendlich mutwillige Geschöpf des Dichters, sondern ganz und gar ihre eigene Schöpfung: die reife, schon leise vom Altern gestreifte, aber desto berückendere, mit allen Wassern getaufte Frau, das Urbild italienischer Grazie und malizia. Man hätte müssen für das grüne Bürschlein bangen, das diese entzückende Schlange sich zum Gatten erkürt, wenn man überhaupt eine andere Gestalt auf der Bühne neben ihr gesehen hätte.
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