Wie er mir die Ableger seines Gartens brachte, dass sie in meinem Garten lustig weitertrieben, so trug er mir auch aus seinen persönlichen Erfahrungen zu, was mir für meine künstlerischen Zwecke dienen konnte, mit der Erlaubnis, daraus zu machen was ich wollte. Mancher besondere Zug, den ich in der Dichtung verwenden konnte, war eine schnell gepflückte Ranke aus dem Lebensgarten des erlebnisfrohen Freundes. In meinen Aufzeichnungen finde ich ein paar Strophen, die von diesem heiteren Verkehr zeugen:
Von deinem Garten
in meinen Garten
trugest du manche
Sträucher und Bäume,
hast mir viel Blumen
am sonnigen Orte
nicht eine verdorrte –
weihend gepflanzt.
In meinem Garten
wachsen viel Bäume,
blühen viel Blumen
aus deinem Garten,
die ich gezogen,
die mein geworden,
die mir mit Früchten,
die mir mit luftigen, duftigen Ranken
die Pflege danken.
So auch entschwirrten
aus deinem Busen
in meinen Busen
viel schnelle Gedanken
und Bilder des Lebens.
Sie wurden mein eigen,
sie trieben Keime,
sie kehrten wieder
in Maß und Reime
als neue Lieder.
Siehe, sie haben ein andres Gesicht,
wenn du sie siehst, du erkennst sie nicht.
Eine solche Ranke von fast orchideenhafter Seltsamkeit überbrachte er mir einmal eines späten Abends in Florenz, als ich schon meine schöne Wohnung an der Via de’ Bardi innehatte. Er ging in der Nachtluft spät noch den Lungarno entlang, um sich die Stirn von einer fiebernden Erregung zu kühlen. Da sah er das Licht meiner Lampe im Fluss gespiegelt und klingelte an, ob ich ihn noch empfangen könne. Ich sah gleich, dass er etwas Außerordentliches erlebt hatte, das er sich von der Seele reden musste. Er kam vom Sterbebette der Tecla Vanda, eines wunderschönen jungen Mädchens, der Tochter armer Leute, die er durch Monde an der Tuberkulose hinsiechen sah, ohne ihr anders helfen zu können als durch die fromme Täuschung, dass sie in Bälde ganz gesund sein werde, worauf sie mit einer an Abgötterei grenzenden Gläubigkeit vertraute. Als ihre Stunde kam, hatte er die plötzliche Eingebung, das arme Kind noch einen niegeahnten Glücksrausch erleben zu lassen. Er gab ihr Champagner, den sie noch nie verkostet hatte, mit Morphium versetzt zu trinken und erklärte ihr das eintretende Ohrenklingen als eine herrliche, auf sie wartende Festmusik. Unter seiner Suggestionskraft sah sie alles, was er sie sehen lassen wollte: sich selbst in weiße schleppende Seide gekleidet, mit Blumen im Haar, an seinem Arm den Festsaal betretend, wo Herren und Damen sie an geschmückter Tafel begrüßten. Auf ihre ängstliche Frage, wie sie in die vornehme Gesellschaft komme, beruhigte er sie, dass ihre eigene vornehme Abkunft entdeckt sei und ihr Vater nicht länger der arme Fuhrmann, der er bisher gewesen, sondern ein reicher Majoratsherr, der jetzt seine Besitzungen zurückerhalten habe. Alle diese edlen Damen und Herren seien nur zu ihrem Empfang erschienen. Er selber, ihr Ritter, brachte den ersten Trinkspruch auf Tecla Vanda als Königin des Festes aus und nötigte ihr noch mehr von dem verwirrenden Getränke auf, während die Gäste sie mit erhobenen Gläsern umdrängten. Dem armen Kind schwankten die Sinne in einer Ekstase von Liebe, Stolz und Seligkeit. Auch das plötzliche Scharren und Schnauben des Kleppers im Stall, der nebst dem Fuhrmannskarren der einzige Besitz des Hauses war, durfte den seligen Zauber nicht brechen: zwei Rosse edelster Zucht, von einem Pagen gehalten, standen im Hof und warteten auf die schöne Reiterin. Er hob sie aufs Pferd, bestieg das andere und führte sie in brausendem Ritt, der zuletzt durch die Lüfte ging, aus dem Festjubel, aus der Stadt und aus dem Leben hinaus. Die Einbildungskraft und Darstellungsgabe dieses Mannes waren so außerordentlich, dass auch die Angehörigen und ebenso er selber von dem gleichen Rausch erfasst wurden wie die arme Tecla. Alle horchten sie atemlos auf den verhallenden Hufschlag der Pferde und sahen die Reiterin in den Lüften entschwinden. Noch immer während er mir den Vorgang mit mancherlei aus dem Zusammenspielen von Traum und Wirklichkeit entsprungenen Einzelheiten erzählte, stand er völlig unter dem Banne des Erlebten und fand nicht Worte genug, die ihn selber überraschende Wirkung des plötzlichen Einbruchs der Fantasie in ein ganz unbebautes, bisher nur von Alltagseindrücken erfülltes Seelenleben zu schildern. Ich sagte, er habe eine Dichtung gelebt, um die ihn ein Dichter beneiden könne; ich wolle jetzt versuchen, ihr eine beständigere Form zu geben, damit sie diesen Abend überdauern könne, und schrieb danach das Gedicht »Die Kavalkade«. Er hatte mich noch gebeten, Edgar ja nichts von dem Vorgefallenen zu sagen, denn er scheute sich mit seinen medizinischen Flunkereien immer ein wenig vor des Freundes strenger wissenschaftlicher Sachlichkeit. Aber ich kannte die Dichterseele meines Bruders besser: der Sterbetraum Teclas tat es ihm ebenso an wie mir, als ich ihm die Szene erzählte.
In den Weihnachtstagen schickte mir Freund Carlo ein feingestochenes Kärtchen, das ihm von den Angehörigen verehrte Sterbebild Tecla Vandas, und schrieb, dass er sie noch einmal gesehen habe. In der Christnacht sei sie, umgeben von Cherubim, durch die Wolken vorübergebraust und habe ihm einen Gruß herabgewinkt.
Ich fügte der fertigen Ballade noch eine Strophe hinzu, die ich ihm schickte:
In der Christnacht hört er’s noch einmal ziehn
Durch die Lüfte mit brausenden Hufen:
Die Kavalkade der Cherubim,
Draus hat ihm Tecla gerufen.
Die sterbenden Frauen waren überhaupt ein Sonderfach, das dieser wunderliche Künstlergeist unter den Ärzten mit Vorliebe pflegte, denn er liebte die Frauen, nicht nur die jungen und schönen, sondern das ganze Geschlecht an sich. Irgendeiner armen glücklosen Seele die letzte Stunde zur schönsten ihres Lebens zu machen, ihr den Übergang durch die Fantasie zu verklären, dafür erfand er immer neue zärtliche Formen: die eine führte er im bewimpelten Boot hinweg, die andere ließ er in einem glückseligen Waldspaziergang zu zweien, wofür er ihr eine dichte Mooslage unter die Füße und Waldkräuter unter das Kopfkissen schob, die Seele verhauchen. Solche Kräuter, in Wald und Wiesen gepflückt, trug er immer frisch in der Tasche und erquickte damit den Schlaf seiner Fieberkranken, dass sie das Bett vergaßen und sich in das Grün der Wälder und Felder hinausträumten. – Meine Ballade »Peregrinas Schlaflied«, zuerst unter dem Titel »Euthanasia« in der »Jugend« gedruckt, geht gleichfalls auf den Einfluss der von dem ärztlichen Freunde geübten Euthanasie zurück; sie ist dichterisch vollkommener geraten als die »Kavalkade«, weil sie keine Züge der Wirklichkeit, die im anderen Falle bestimmend waren, mitzuführen brauchte.
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