Mit der Beilegung des Maureraufstands gab sich der kleine Kobold, der mir bei dem Hausbau ein Bein ums andere stellte, noch nicht zufrieden; er hatte sich unterdessen schon einen neuen Schabernack ausgedacht. Ich hatte mir ungeschickterweise einfallen lassen, bei meinem guten Mütterlein anzuklopfen, ob sie einverstanden wäre, dass ich sie einmal zu einem günstigen Zeitpunkt vorübergehend in dem Häuschen allein ließe, um ein paar Wochen deutsche Luft zu atmen und ihr dadurch Gelegenheit gäbe, sich in mein freiwerdendes Zimmer einen Gast nach ihrem Herzen einzuladen. Einen Gast! Das Wort elektrisierte sie und setzte sich auch gleich in die Mehrzahl »Gäste« um. Und ohne sich darum zu sorgen, dass wir ja überhaupt nach Edgars Willen nur zwei Zimmer hatten, das ihrige und das meinige, dass also von einem Gast nur dann die Rede sein konnte, wenn ich selber auszog – Raum und Zeit waren ihr nebensächliche Begriffe –, setzte sie sich flugs und schrieb freudeglühend ohne mein Wissen gleich drei Einladungen schon für den kommenden Sommer. Ich fiel aus den Wolken, als ich von allen drei Seiten fast gleichzeitig die jubelnde Zusage erhielt, die Ferien mit uns auf unserer »Meervilla« zu verbringen. Eine gute Seele hatte sogar schon den Koffer gepackt, um auf den ersten Wink reisen zu können. Um die Drastik der Lage noch zu erhöhen, kam um die gleiche Zeit aus Forte eine Beschwerde des obbelobten Maurers, die von meinem Bruder angegebenen Maße der Treppe seien falsch, es sei überhaupt bei den Raumverhältnissen nicht möglich, von dem Untergeschoss eine Treppe ins obere zu führen. Jetzt aber geriet Edgar in Brand, denn was er anordnete, das wusste er richtig! Er opferte einen Tag und fuhr nach Forte, zeichnete dem Mann die Stufen an die Wand und hinterließ ihn überzeugt und beruhigt. Mir aber fiel die peinliche Aufgabe zu, gleich sämtliche Einladungen zu widerrufen, was, wenn es auch mit den besten Gründen und mit der trostreichsten Aussicht auf die Zukunft geschieht, doch einen leise bitteren Nachgeschmack lässt. Freilich lieferte die noch mangelnde Treppe eine ausgiebige Entschuldigung.
Aber als ich dann im Frühsommer einziehen konnte, als die ewig Heimatlose, wider Willen Schweifende, nun einmal wirklich und ausschließlich eigenen, durch Arbeit erworbenen Grund und Boden unter den Füßen hatte, da versanken die ausgestandenen Nöte vor der tiefen inneren Befriedigung. Es ist kaum zu glauben, wie sehr das Bauen auf eigener Scholle, gleichviel ob groß oder klein, das Selbstgefühl hebt und dem Leben gegenüber eine ganz andere Sicherheit gibt. Die »unsicheren Sohlen« haben mit eins, wo sie haften, das vorher schattenhafte Dasein erkennt sich selbst als Wirklichkeit, wenn es sieht, wie fremde Hände sich in seinem Dienste regen. Mein Häuschen äußerte auch gleich seine Anziehungskraft für alles Gute: zu jeder Tür zogen Freude, Friede und Freundschaft ein. Hildebrand schmückte die kleine Eingangshalle mit anmutigen Wandzeichnungen in Kohle und Pastell, die freilich mehr sein Gedankenreich ausdrückten als das meinige; ich fühlte mich sogar anfangs nicht völlig heimisch unter den wohlig und willenlos hingelagerten Gestalten, die von Eroten umschwärmt mit der Fülle eines goldenen Zeitalters tändelten. Aber von oben sah ein ernster Dichterkopf, Homer, in das halkyonische Leben hinein, die Wiederholung des Meereshorizonts im Hintergrund erweiterte den Raum, und weitgespannte Fruchtgewinde vermittelten gar schön den Übergang der Wände in die Treppe. Ich gewann denn auch in der Folge die stillen Mitbewohner lieb, und sie leiteten mir ja in der Tat eine lange Reihe schönster, beinahe sorgloser Sommer ein. Viele Hände waren geschäftig, mir mein Häuschen verschönern zu helfen. Der junge Sattler stiftete die Zeichnung zu dem holzgeschnitzten Treppengeländer, wodurch der Innenraum seinen harmonischen Abschluss fand. Erwin, der sich aus Deutschland einstellte, bannte mir auf die noch ungetünchte Wand meines Arbeitszimmers dem Schreibtisch gegenüber eine heiter-ernste stehende Muse, deren Gegenwart mir so wohltat, dass ich mich erst nach Jahren entschließen konnte, die Wand überstreichen zu lassen. Auch Thole kam im ersten Jünglingsalter und brachte mir einen seiner tönernen Ritter auf gewappnetem Roß, woran er sich schon als Knabe versucht hatte. Wer sich am allertätigsten um die Ausschmückung des neuen Hauses mühte, war Römer, der wie die anderen Freunde aus Florenz nachkam. In seiner zugreifenden Art warf er sich gleich auf die Inneneinrichtung, zeichnete die noch fehlenden Stücke des Hausrats, die alle dem ländlichen Stil des Ganzen angepasst sein mussten, half mir Türen, Geländer, Wandschränke mit festlichen Farben streichen, malte die griechische Inschrift, die mir der Philologe unter meinen Freunden, Ernst Mohl in Petersburg, verfassen half, auf den Deckenbalken, nahm auch gleich alle Gegenstände, Menschen, Fernsichten auf seine fotografische Platte und verbreitete wie immer viel Bewegung um sich her, wobei er die liebenswertesten Seiten seines Wesens entfaltete. Das Gelungenste, was von seiner Hand in Forte dei Marmi zurückblieb, sind die zwei schönen, in Stein gehauenen Fische rechts und links vom Eingang. In den schildartigen Schlussstein des Torbogens meißelte er das astronomische Zeichen des Steinbocks, mein selbstgewähltes Wappen, das auch schon im Innern angebracht war, ein. Längere Zeit stand diese Bekrönung zu meinem Danke. Da fand Hildebrand eines Tages, dass ein bloßes Symbol als Abschluss oberhalb des in den Fischen dargestellten lebendigen Lebens unbefriedigend wirke. Ich dachte anders, denn ich vermochte in dem Zeichen des Steinbocks, als dem Ausdruck für den bedeutsamsten Himmelsvorgang, die Auferstehung des Lichtes, nichts Tadelhaftes zu erblicken, da doch das Symbol einer anderen Auferstehung, das Kreuz, die höchsten Dome krönt. Aber ehe ich mich’s versah, war der Stein von der Hand, die ihn gemeißelt hatte, zerhauen und verstümmelt; es war auch gleich ein neuer Stein beim Steinmetz bestellt, worauf ein figürliches Relief ausgeführt werden sollte. Allein der Stein wurde nicht rechtzeitig geliefert, das Leben schob sich mit seinen Zufälligkeiten, Missstimmungen und Missverständnissen dazwischen und die Bekrönung des Tores blieb für immer verstümmelt, nun selber Symbol für eine durch lange Jahre schön gewesene und am späten Ende, mehr noch durch fremde als durch eigene Schuld der Beteiligten, in lauter Dissonanzen auseinandergesprungene Freundschaft.
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