Nach dieser Abschweifung in den »eigentlichen Tag« kehre ich nunmehr wieder in die Welt der »Uhren« zurück und fahre in meiner Chronik äußerer Erlebnisse fort.
Einen weiteren Zuwachs der Künstlerkolonie brachte der jetzt verstorbene Maler Ernst Sattler mit seinen drei schönen kunstbegabten Töchtern und einem Sohn, der durch Takt und natürliche Liebenswürdigkeit der heimliche Liebling aller war. Dem Sattlerschen Mädchenkleeblatt entsprachen die drei Großen von den ebenso schönen und begabten Hildebrandstöchtern, von denen die Älteste den jungen Sattler heiratete. Ein besonderer Schützling meiner Mutter war ein junger Belgier, den sie in San Francesco einführte und die aufkeimende Neigung zwischen ihm und einer der jüngeren Hildebrandstöchter beschirmte, bis die Verlobung zustande kam. Da waren zwei uns befreundete deutsche Maler, die heute in München leben: ein Schwabe, im Bekanntenkreis Giovanni genannt, der sich einen Ruf als Bildnismaler erworben hat, und sein in den gleichen Bahnen wandelnder ostpreußischer Lebensfreund Martino. Die beiden sah man nie anders als gemeinsam, daher ein Spaßvogel sie »die zwei Ajax« nach der Offenbachschen Operette nannte. Da war ferner ein eigenartiger Rheinländer, der Böcklins jüngere Tochter Angela heimführte und sich später in Rom ankaufte. Und da war vor allem, unserem Hause am nächsten verbunden, der begabte Bildhauer Georg Römer. Obgleich dieser Freund, der mir über ein Jahrzehnt hinaus mit seltener Bereitschaft und Anhänglichkeit zur Seite stand, späterhin durch äußere und innere Wirrungen völlig aus meinem Dasein ausschied, war mir doch in dem Lebensabschnitt, von dem hier die Rede ist, seine Freundschaft zu wertvoll, als dass dem nun seit lange Dahingegangenen sein Platz in meinen Erinnerungen genommen werden könnte.
Dieser schöne, von reinem und hohem Kunststreben beseelte Mensch hatte bei trefflichen Anlagen einen unglücklichen Tropfen im Blut, der ihn friedelos machte. Mit seinem schwermütigen bronzenen Kopf, der an den asketisch verzückten musizierenden Mönch auf Giorgiones Konzert erinnerte, und einem echten herzlichen Entgegenkommen gewann er leicht die Zuneigung der Menschen, um sich nach kurzem ohne Not mit allen zu überwerfen. Für solche, die er liebte, hätte er augenblicklich sein Leben gelassen, denn er war maßlos in Zu- und Abneigung, kein Dienst, den er leisten konnte, war ihm zu viel, er drängte ihn auf und gab seinen ganzen Menschen hin, aber er drückte schwer mit seiner nordischen wühlenden Natur auf die Glücklicheren und schlug, weil er jeder Einflüsterung zugänglich war und jedes Lüftchen ihn störte, in jähes Misstrauen um, das er dann ebenso jäh und gewaltsam wieder gutzumachen suchte. Der düstere, argwöhnische Held Vonved der altdänischen »Kämpeviser«, der, gequält von Zaubersprüchen und von den Rätseln, die er anderen aufgeben muss, umherzieht und aus Selbstqual alles Schöne, das ihm unterwegs begegnet, in Stücke schlägt, schien mir so recht sein Geistes- und Gemütsverwandter zu sein, sodass ich ihn des öfteren während solcher schwarzer Stimmungen mit dem Kehrvers der alten Ballade »Schau dich um, Held Vonved« warnte. Er überzeugte sich aus der schönen Grimmschen Sammlung, die er trotz ihrer Seltenheit in Florenz auftrieb und mir zu Füßen legte, von der Ähnlichkeit, machte aber nie die geringste Anstalt, sie abzulegen. Dass er nicht lachen konnte, nie den Sinn für die Humore des Daseins erschwang und darum allem Beschwingten, Spielenden misstrauisch gegenüberstand, gab seiner Stellung unter den Menschen etwas Tragisches, daher alle das Gefühl hatten, ihn schonen zu müssen. Wäre seinem strengen künstlerischen Ernst das künstlerische Vermögen gleichgekommen, so hätte er die Dissonanzen, die ihn quälten, leichter überwunden. Er war, aus einer engen hanseatischen Umwelt kommend, in Italien zuerst dem Schatten Zaratustras begegnet, der ihm sein Mitgebrachtes gründlich durcheinanderwarf, dass man ihm helfen musste, im Geistigem wieder Fuß zu fassen. Dann wurde er im Suchen nach einen künstlerischen Vorbild in die Sphäre des großen Gestirnes Hildebrand gezogen und trug seitdem das »Problem der Form« wie eine Fahne vor sich her. Eine große Rundfigur im Hildebrandschen Sinne zu schaffen war sein glühendstes Verlangen. Allein er hatte mit dem Meister nur das Gesetzmäßig gemein; die Unmittelbarkeit der Bewegung, worin jener so einzig groß war, weil sie aus der Sinnenhaftigkeit der Anlage floss, fehlte dem Jünger oder ging doch leicht in dem Bemühen, sie mit der Lehre der Reliefwirkung in der Rundplastik in Einklang zu bringen, verloren, wobei dann häufig am Ende eine in der Anordnung richtige, aber in der Bewegung nicht überzeugende Figur dastand, der es in ihrer Haut nicht ganz wohl zu sein schien. Mit immer erneuten feurigen Anläufen, denen nie der Adel der Kunstgesinnung aber oft genug die glückliche Hand des Vollbringens fehlte, rang er um diesen immer wieder entschwindenden Kranz, und die miterlebenden Freunde teilten immer aufs neue Hoffnung und Enttäuschung. Die eine Kunst aber, in der ihn niemand übertraf, die des Stichels, den er nach Art der Alten meisterlich handhabte, befriedigte ihn nicht; seine Medaillen, an die er einen unermüdlichen Fleiß wandte, darunter ein Zyklus der Jahreszeiten, in Silber gearbeitet, von seltener Poesie der Erfindung bei größter Feinheit der Ausführung, bedeutete ihm keinen Ersatz für das sich versagende Größere, wenn sich auch darüber streiten lässt, was das äußere Maß mit der inneren Größe zu tun hat.
In den Zeiten, wo es so in ihm wühlte, verlor er die Herrschaft über sich, und dann wurde, wer in seine Nähe kam, gekränkt und verletzt. Aber wenn die schwarzen Raben von ihm abließen, hatte man wieder den eingehendsten, hilfreichsten Freund, der nie mit Zeit und Kraft kargte, wo es den Freunden zu dienen galt. Vor allem gab es keinen besseren Wanderkameraden; bei seinem starken Ortssinn und großen praktischen Geschick war man völlig sicher, sich weder in dichten Wäldern noch in pfadloser Bergwildnis zu verirren, und keine kahle Bergflanke war so ausgebrannt, er fand noch, wenn auch keinen Wasserlauf, so doch irgendeine tiefe Felskluft, aus der sich ein Klumpen feuchter Walderde zur Kühlung der Handgelenke heraufholen ließ. Denn er war im Wohltun erfinderischer als irgendwer. Nur durfte er sich nicht übermüden, sonst gaben seine Nerven nach; dann verdarb er aus böser Laune sich und anderen den Tag. Was ich ihm neben der persönlichen Bereitschaft am höchsten anrechnete, war seine innere Verbundenheit mit dem Griechentum, in dem auch er die nur einmal voll erblühte Blume der Menschheit sah. Man musste sich an seiner Ergriffenheit freuen, wenn man mit ihm vor dem Delphischen Wagenlenker im Archäologischen Museum stand oder wenn man gemeinsam auf einer Bergspitze der Apuanischen Alpen den Agamemnon des Äschylos las und dabei im Geiste die Feuerbotschaft vom Brande Trojas von Gipfel zu Gipfel flammen sah. Unter dem jüngeren Künstlervolk, das über die bildende Kunst nicht hinausdachte, war er der einzige, dem die Erkenntnis aufging, dass es eine ältere, höhere Schwesterkunst gab, die makellos und vollkommen aus dem Haupte des Gottes gestiegen war, als die anderen noch in der Unform gebunden lagen. Er nahm auch mit aufgeschlossenem Sinn an meinen Arbeiten teil und ging mir bei Lösung meiner Aufgaben zur Hand, indem er, wie es später unser Thole tat, sachliche Zweifel behob, mir die Landschaftsstudien erleichterte und nach Bedarf auch erfundene Örtlichkeiten naturgemäß aufbauen half. Auf der Suche nach landschaftlichen und baulichen Besonderheiten, die sich zu etwaiger Verwertung im Skizzenbuch festhalten ließen, wurde manche seltsame Entdeckung gemacht, so eines Tages der versteckte Wohnsitz eines Timon, der in Stein die erbauliche Inschrift trug:
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