Nach der mir mitgeteilten Verabredung sollte durch die Heirat an den häuslichen Verhältnissen nichts geändert werden und mir, wie sich’s versteht, meine Rechte vollauf gewahrt bleiben. In seiner stolzen Unbekümmertheit hatte Edgar die Frau genommen, wie sie ging und stand, ohne nach dem Wirtschaftlichen zu fragen. Er hatte aber nicht bedacht, dass die Gründung einer neuen Familie und das Zusammenleben mit der alten in dem durch ungeschickte Raumverteilung beengten Hause, das ohnehin größtenteils durch seine Praxis belegt war, sich nicht ohne ständige Opfer von der einen Seite und Reibungen von der anderen durchführen ließen. Vor allem sah er auch gar nicht, wie sehr ich schon bei dem Hauskauf im Nachteil gewesen war, weil ich mich nie über Unwiderrufliches beklagte, wie es auch stets undenkbar geschienen hätte, innerhalb der Familie über das Mein und Dein zu verhandeln. In Italien ist es vielfach üblich, dass die Neuvermählte, die in einen geschlossenen Familienkreis eintritt, nicht Herrin sondern Tochter vom Hause wird; vererbtes Brauchtum legt in solchen Fällen seine bestimmten Gesetze auf. Ein ähnlicher, auf deutsche Begriffe nicht übertragbarer Zustand mochte Edgar vorgeschwebt haben, als er in meiner Abwesenheit und ohne vorgängige Abgrenzung der Befugnisse eine Lage schuf, in der nur Engel einträchtig hausen können, wo aber unter Menschen jederzeit die stofflichere Natur obsiegt. Nichts war naheliegender – aber zugleich von ihm unvorgesehener –, als dass diese mit der natürlichen Selbstsucht der Primitiven vor allem daran ging, sich auf meine Kosten Raum und Bequemlichkeit zu schaffen, während ich mich bestrebte, sie in nichts zu beengen und wenigstens häusliche Zusammenstöße zu vermeiden. Aber ich befand mich auf einer gleitenden Ebene.
Zunächst – und dies ließ sich wegen der gemeinsamen Küche gar nicht umgehen – war mir der einzige wertvolle Raum des Untergeschosses, das erhöhte Gartensälchen, als Speisezimmer für das junge Paar abgenommen worden. Das war während meines Fortseins belanglos, denn Mama bestritt ihre Ernährung mit einem Schälchen Milch, die sie sich auf Spiritus kochte, und einer Semmel. Aber jetzt, da man sich wieder einrichtete, musste das Essen für uns beide bei jedem Wetter durch den Garten in mein kleines Studierzimmer getragen werden, was mich bald bewog, die Hauptmahlzeit auswärts zu nehmen. Eine Bedienung kam auch nicht mehr in Frage. Auf ihrer letzten Reise nach Deutschland hatte Mama, bei deren Nachsicht alle italienischen Dienstboten ausarteten, ein junges Mädchen aus bürgerlicher Familie geworben, dass sie ihr die Hausgeschäfte abnehme; aber als diese ankam, stand sie nicht mehr der gütigen Nonna, bei der sie eine haustöchterliche Stellung gefunden hätte, sondern ausgesucht einer früheren Schulkameradin, die aus dem gleichen Ort und den gleichen Verhältnissen stammte, als der neuen Herrin gegenüber, eine Prüfung auch für diese, worin nur reinste Herzensgüte den rechten Ton gefunden hätte. Aber die Neuangekommene bekam den jetzigen Abstand so zu fühlen, dass die arme Nonna täglich Ströme von Tränen trocknen musste, bis es ihr gelang, ihren Schützling in einem italienischen Hause unterzubringen, wo keine Erinnerung ihr täglich die Ungleichheit der Lose vorhielt. Hätte ich nur ebenso schnell mein Verhältnis zu dem Hause lösen können, das mir noch mitgehörte, aber von Tag zu Tage weniger mein war. Zwar das Sälchen konnte ich in der Zeit zwischen den Mahlzeiten noch benützen, aber nur als Halbgeduldete, und wenn ich Gäste da empfing, durfte ich auf jede peinliche Störung gefasst sein. Der große Saal, der mich zu dem Kauf mit verlockt hatte, glitt von selbst in den Besitz des anderen Teiles, weil ich ihn ja doch nicht einrichten konnte; bei den geselligen Veranstaltungen, denen er nun diente, hatte und begehrte ich keinen Platz. Gerne hätte ich der neuen Hausgenossin die äußeren Vorteile überlassen, wäre nur nicht das Huschen und Horchen gewesen, wodurch die ganze Luft verändert wurde, und vor allem das krampfhafte, zum Teil auf Wahnideen beruhende Ausstreuen falscher Bezichtigungen, wodurch ich auch alten Freunden entfremdet und mehr und mehr abgeschnürt werden sollte. Dem Arzt, der immerzu die schwersten Verantwortungen trug, weil er vorzugsweise dahin gerufen wurde, wo alle andern versagten, war es zu gönnen, dass er als Mann gar keine Organe besaß, durch die er diese unvorstellbar kleinlichen Mittel hätte wahrnehmen können.
Ich weiß nicht, ob mein Bruder jemals versucht hat, bildnerisch auf die Gefährtin seines Lebens einzuwirken, jedenfalls gab er es in Bälde auf. Auch Florenz mit allen seinen Schätzen hatte ihr nichts zu bieten, als dass sie ihren Geschmack für künstlerische Ausstattung von Innenräumen entwickelte und sich mit brennendem Ehrgeiz darauf warf, es auf diesem Punkt den Künstlerhäusern, vorab dem Hildebrandschen, gleichzutun. Aber als die Tische auf Löwenfüßen standen und die Wände eine edle Stoffbespannung trugen, blieb doch das alles kalt und tot, und die arme Seele konnte nur in immer neuem Umstellen und Umgestalten ihrer Sachen einiges Genüge finden. Auch dass sie Mutter eines schönen begabten Mädelchens war, half ihr nicht tiefere Wurzeln schlagen, gab ihr aber große Macht über das zärtliche Vaterherz. Es war rührend, wie der alte Egozentriker und geborene Junggeselle sich bemühte, ein guter Gatte und Vater zu sein. Er sparte, ging wieder zu Fuß oder benützte ein Fahrrad und schränkte seine persönlichen Bedürfnisse ein, um seinen Lieben alle Wünsche zu gewähren. Aber kein Funke sprang ihm entgegen. Was half es nun, dass er »selber Seele genung« hatte, wenn er in der Teilhaberin seines Lebens keine erwecken konnte. Es schnitt allen, die ihn liebten, ins Herz, dass der hochfliegende Geist an diese Luftschicht gebunden war. Aber lebte er wirklich in dieser Luftschicht? Bei Tische saßen sich die beiden stumm gegenüber, weil er in sein Merkbuch wissenschaftliche Eintragungen machte. Sonst verbrachte er den Tag in seinem Beruf. Was ihm die Ehe versagte, fand er nach wie vor bei der Freundschaft: der italienische Kollege brachte ihm all das Eingehen und die wärmende Aufmerksamkeit entgegen, die dem Liebebedürftigen in seinem eigenen Hausstand mangelten. Ein kleines Begebnis aus der Poliambulanz, der gemeinsamen Gründung der beiden Ärzte, ist für diese ständige Fürsorge so bezeichnend, dass es hier als heiteres Zwischenspiel unter all den Trübnissen seinen Platz finden möge. Eines Tages, als Edgar sich zu einer verantwortungsvollen Operation anschickte, wurde auf der Piazza Santa Trinita gerade unter den Fenstern der Poliambulanz ein Wagen voll schwerer Steine abgeladen, und eine Anzahl städtischer Arbeiter schickte sich an, das Pflaster aufzureißen. Dem nervösen Edgar traten die Augen aus dem Kopf. Aber Vanzetti meinte: Das wollen wir gleich haben, stieg die Treppe hinunter und rief: Was macht ihr denn da, Leute, wozu der Lärm? Die Arbeiter entschuldigten sich, sie seien vom Municipium geschickt, um das Pflaster zu erneuern. Aber doch nicht hier, antwortete Vanzetti, ihr seid im Irrtum. In der Via Fiesolana, Nummer soundso (er nannte eine der abgelegensten), da seid ihr erwartet. Die Arbeiter ließen sich überzeugen, luden ihre Steine wieder auf und zogen unter vielen Entschuldigungen wegen der Störung ab. Bevor die Gefoppten zurück sein konnten, war die Operation fertig, der Kranke verbunden und die ärztlichen Nerven beruhigt.
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