Mich hält der Freund in königlicher Haft
Und Einsamkeit, die keine Schrecken schafft.
Er baut ein Haus mir in kristallnen Räumen,
Von Stimmen tönend und besucht von Träumen,
Malt bunte Scheiben drein mit Künstlerfleiß,
Umtürmt mich rings mit blauem Gletschereis
Und hat mich über all sein Gut gesetzt,
Denn Königin von Traumland bin ich jetzt,
Schmück’ mich für ihn mit diamantenen Zinken
Und Perlenschnüren, die wie Tränen blinken.
So lieg ich fest im Liebesnetz versponnen,
Ich merk’ es kaum, wenn neu ein Jahr verronnen.
Ich seh’ nicht mehr der Bäche trägen Lauf,
Doch jede stärkere Welle schlägt herauf,
Denn unten flutet groß und ernst die See.
Dann sprechen wir von den Versunkenen viel
Und von des Meeres immer gleichem Spiel,
So sitzend bis verbleicht des Tages Schein.
Am Abend laden wir Gesellschaft ein:
Die Besten all von Lebenden und Toten,
Der Freundliche hat sie für mich entboten,
Er führt die Gäste festlich angetan
Ins Haus und zündet alle Lampen an. – – –
Kam ich von einer solchen Flucht mit einer neuen Gabe des Freundes, sei es in Versen, sei es in Prosa zurück, so war Mütterleins Jubel unendlich. Mein Zimmer war in einen Blumentempel verwandelt; wenn es die Jahreszeit erlaubte, stand sogar ein Blütenast, dick wie ein Baum, in der Ecke hinter dem kleinen Kanapee. Nach diesem blinzelte ich aber nur mit scheuen Augen: ich wusste, was mich dort erwartete. Die Gastliche pflegte in meiner Abwesenheit junge Menschenwesen von auswärts, die gern ein paar Wochen Florenz genießen wollten, in meinen Räumen zu beherbergen. Waren sie männlichen Geschlechts und gewohnt, spät und nicht mehr ganz helle nach Haus zu kommen, dann lehnten bei meiner Rückkehr zerbrochene Stuhlbeine, abgeschlagene Tischecken und ähnliches an der Wand hinter dem Kanapee: je heftiger es im Zimmer blühte, desto größer wusste ich den Schaden da hinten in der Ecke. Mein Mütterlein nahm solche Gegebenheiten für etwas Unwiderrufliches und glaubte, alles Nötige sei geschehen, wenn die Opfer der gesteigerten Gastfreundschaft den Blicken entzogen waren. Mir blieb die prosaische Aufgabe, den Schreiner zu rufen, den unsichtbaren Freund auf die Seite zu stellen und das erneute Familienleben mit lauter Wiederaufbau zu beginnen.
*
Es ist für einen Autor immer gefährlich, wenn seine Laufbahn mit einem schnellen und durchschlagenden Erfolg, wie es bei den »Florentiner Novellen« der Fall war, anhebt. Entweder durch das dem Menschen innewohnende Trägheitsgesetz, das ihn leicht verleiten kann, auf der mit Glück eingeschlagenen Straße zu bleiben, die je länger er darauf geht, um so bequemer wird, – oder durch das Verlangen der Leser, die ihn nach dem gleichen Trägheitsgesetz auf dem Weg, wo sie ihn zuerst gesehen haben, immer wieder antreffen möchten, ein Verlangen, das der Buchhandel feinhörig aufnimmt und in verlockenden Verlagsangeboten an den Schaffenden weitergibt. Die erstere Versuchung war für mich keine: die »Florentiner Novellen«, die ich aus dem Trümmersturz des zuerst geplanten Werkes heraufgeholt hatte, fortzusetzen, konnte mir nicht einfallen, sie bedeuteten für mich den, wie ich meinte, endgültigen Abschluss einer Lebensspanne. Jetzt kam es darauf an, das Werkzeug selber womit ich schuf zu verbessern. Dass ich dennoch ein halbes Menschenalter später zu den Trümmern umkehren und sie mit besseren Mitteln neu aufbauen würde in der »Stadt des Lebens«, hat mir damals kein Vögelein gesungen, so völlig war ich abgewandt von den Bildern der Vergangenheit. Dafür machte ich nun die Erfahrung, was es auf sich hat, wenn man die gefundene sichere Krippe verlässt und nach ganz neuen Weiden sucht. Ich hatte einmal als junges Mädchen in dem Münchner Dichterkreis Wilhelm Hertz äußern hören, nichts werde dem Dichter schwerer verziehen als Vielseitigkeit. Ein mir unverständliches Wort, denn was könnte, so schien mir, erstrebenswerter sein, als sich nach vielen Richtungen aufgeschlossen und schaffensstark zu erweisen? An den »Italienischen Erzählungen«, die ich zunächst den »Florentiner Novellen« folgen ließ, sollte ich die Wahrheit des Wortes erproben. Indem ich diesmal die Stoffe aus der lebendigen Umwelt holte, zeitlose Vorwürfe, wie sie sich unter einfachen Menschen immerzu ereignen und die nur der Deutung harren, konnte ich unmittelbarer erfassen, was das Menschenherz bewegt. Ich wusste, dass ich damit einen entscheidenden Schritt über die »Florentiner Novellen« hinaus tat und der Gefahr ausgewichen war, den einmal erhaschten Faden nur weiter in die Länge zu spinnen. Die Lebensmächte an sich darstellen ohne blendenden äußeren Rahmen und auch an Geschicken wie denen eines armen Dienstmädchens zeigen, dass es in der Dichtung nicht Hohes und Niederes gibt, wenn nur das Hohe im Niederen kennbar wird und eins wie das andere Symbol ist, das war die Aufgabe, die ich mir dabei stellte. Eigentlich war ich damit einer Forderung der Zeit entgegengekommen; auch gab ich insofern ein grundsätzlich Neues, als die »Italienischen Erzählungen« dem damals noch geübten literarischen Brauch widerstritten, alles Italienische in einen romantischen Nimbus zu kleiden, der dem starken Wirklichkeitssinn dieses Volkes gar nicht entsprach. (Dass gerade solche Darstellungen in Italien selbst gefielen, ändert an diesem Umstande nichts; wer sieht sich nicht gerne einmal fantastisch aufgeschmückt in einem fremden Spiegel!) Aber der innere Fortschritt wurde nicht durch äußeren Erfolg belohnt: das Beharrungsvermögen der Menschen wollte mich lieber an dem Platze finden, wo man mich zu Anfang gesehen hatte. Es war als müsste ich meine Laufbahn von vorn beginnen, so schwer war es, die neue Sammlung im einzelnen wie im ganzen durchzubringen. Der seitherige Inhaber des Göschenschen Verlags war schon vor der Drucklegung weggestorben, und der Nachfolger stellte sich so kühl und geschäftsmäßig zu dem neuen Verlagswerk, dass sich danach die Beziehungen völlig lösten. An der Kritik lag es nicht, wenn der neue Band sich viel langsamer durchsetzte als der erste; die künstlerische Würdigung blieb nicht aus. Richard Weltrich, der sich in die tragische Unschuld meiner armen kleinen Pensa verliebt hatte, stellte diese Liebende in einer großen Münchner Tageszeitung geradezu an die Seite der zartesten Shakespeareschen Mädchengestalten.
Der gleiche Vorgang wiederholte sich bei meinen nachfolgenden Büchern: dass ich immer wieder nach neuen Gegenständen und neuen Lebenskreisen griff, wie es meinem eigenen vielgestaltigen Dasein entsprach, und dass diese sich immer aufs neue bei einer Lesergemeinde einzuführen hatten, die mich an einem früheren Platz erwartete, als wo ich stand.
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