Anderseits waren die »Frommen« – ich meine jene Bürgerlich-Orthodoxen, die in dem höchsten Wesen einen eifersüchtigen, humorlosen, jeden Verstoß gegen das Zeremoniell jähzornig rächenden Gott Zebaoth sahen, – höchlich entrüstet und riefen Zeter über mich, wogegen aber wiederum ein wahrhaft Frommer, der Dichter-Prälat Gerok, der Verfasser der »Palmblätter«, sein gewichtiges Wort in die Schale warf und erklärte, er finde keine Schuld an dem Gedicht. Dem poetischen Gemüt machte der glühende Liebeshymnus des sterbenden Gottessohnes an die Erde, seine süße Braut, den Mutwillen der beiden anderen Teile gut. Das Ja und Nein stand also in gleicher Waage, aber die Vorsicht überwog: die Gedichte erschienen mit anderem Firmennamen in Frauenfeld.
Allein wie es zu gehen pflegt, wenn man allzu viel nach dem Urteil der anderen fragt, also, um mit der Fabel zu reden, »den Esel trägt«, dass sich dann plötzlich einer erhebt und wissen will, warum das Grautier nicht auf eigenen Beinen gehe, so erhob nunmehr der »Staatsanzeiger für Württemberg« seine beherrschende Stimme und fragte, wie es komme, dass ein Buch, das der Heimat zur Ehre hätte gereichen können, in einem ausländischen Verlag habe erscheinen müssen. Man wäre auf den Grund begierig. – Dies hatte die angenehme Folge, dass die nächste Auflage in der Cottaschen Buchhandlung mit Verlagsort Stuttgart, die im Jahre 1888 in den Besitz Adolf Kröners übergegangen war, erscheinen konnte.
Die Wirkung der Gedichte in der Öffentlichkeit war fast noch stärker als ein Jahr später die der »Florentiner Novellen«. Aus allen Pressestimmen ging hervor, dass etwas Überraschendes geschehen sei. Noch zu meinem achtzigsten Geburtstag erinnerte eine berufene Stimme daran, wie die Menschen damals aufhorchten bei dem neuen Ton. Man weiß ja heute gar nicht mehr, dass die Frauenlyrik in jenen Tagen noch gebundener war als das Frauenleben selbst. Aus den Goldschnittbänden damaliger Lyrikerinnen klang das Gefühlsleben des Weibes nur wie das schwache Zirpen eines unflüggen Vogels; stärkere Töne wären als unweiblich verworfen worden. Wer kann sich solche Drosselung heute noch vorstellen, nachdem die Blocksbergorgien entfesselter Weiblichkeit den deutschen Parnass durchrast haben mit Überbietung aller männlichen Blocksbergsprünge nach der Hexenregel: »Geht es zu des Bösen Haus, / das Weib hat tausend Schritt voraus«. Aber bevor das erdrückte Geschlecht sich mänadenhaft vertobte – Mänaden leider ohne die Weihe ihres Gottes –, hatte eigentlich nur der männliche Dichter das Amt und den Auftrag, weibliches Fühlen, so wie er es verstand, der Welt zu verdolmetschen, und das geschah nach einem angenommenen Kanon falsch verstandener, zuckersüßer Weiblichkeit. Die Frau selber hatte, wie auf allen anderen Gebieten, auch auf diesem ihrem eigensten, zu schweigen. Saß doch auch die große Annette mit dem kühnen Weitblick ihres Geistes wie ein gefesselter Adler auf ihrem Hochsitz, die ganze Glut ihres Frauenherzens ins Religiöse verströmend. Da war es freilich verwunderlich, dass auf einmal Eine kam, die unverfälscht und unschuldig die natürliche Sprache ihres Geschlechtes sprach, ohne den Kanon zu befragen. Wer am meisten aufhorchte und den stärksten Widerhall gab, war die Männerwelt. Theobald Ziegler, der Philosoph an der Straßburger Hochschule, war einer der wärmsten Sprecher; es war wie die Antwort des männlichen Geistes an den weiblichen, nur dass ihm der Fehlschluss mitunterlief, einer so ausgesprochen lyrischen Begabung jede epische Ader abzusprechen, eine Behauptung, die schon im Folgejahr von den »Florentiner Novellen« widerlegt wurde. Ein anderer zugeneigter Gönner legte in der »Ulmer Post« gläubiges Zeugnis für mich ab und trat zugleich in seinem Eifer vorgreifend zwischen mich und den Tadel Philistäas, indem er versicherte, aus bester Quelle zu wissen, dass ich mich nicht nur auf das Dichten verstünde, sondern auch auf Nähen, Sticken, Strümpfeflicken und andere löbliche Verrichtungen, was gewiss sehr gut gemeint, auch einigermaßen richtig war, aber ein wenig komisch wirkte, wennschon sehr bezeichnend für die Zeit. Von nah und fern wo Deutsche wohnten, auch von Übersee, selbst von der Insel Haiti, brachte die Post freudige Zurufe, gereimte und ungereimte Grüße. Die Anthologien stürzten sich auf die Verse, auch in Schulbücher gingen sie über, die Jugend nahm sie mit Liebe auf. Es war eine Zeit reicher Erfüllungen, nur dass die fertigen Dinge schon nicht mehr mein, sondern bereits von mir abgefallen waren, dass es mir schien, als gälten alle die Lobsprüche nicht mir, sondern einer, die eben hinausgegangen wäre. Ich selber aber stünde beschämt mit leeren Händen, weil mir der Vogel entflogen war und nichts übrig das mir allein gehörte.
Es ist eine eigene Sache um lyrische Dichtung, der Maßstab gut und schlecht reicht für sie nicht aus. Viel schlechter als ein schlechtes Gedicht ist ein unnötiges. Jedes Gedicht, das einmal auf Menschenherzen gewirkt hat, ist zuvor schon im Bedürfnis dagewesen; wenn es niemands Bedürfnis war, so ist es besten Falles ein Kunststück. Freilich muss das echte Gedicht aus der Wurzel des Persönlichen gewachsen sein, aber es muss seine Blätter und Blüten weit hinaus in die Lüfte der Allgemeinheit breiten, nur noch durch ein leises Aroma an seinen Ursprung erinnernd. Denn der Dichter muss Sprecher sein für viele, er muss ihnen das Wort, das sie suchen, aus dem Munde nehmen, sie müssen sich in ihm erlöst fühlen. Am schönsten tönte mir der Widerhall aus einem herrlichen englischen Gedicht meines Freundes Grant, worin er meine Lieder als die Sturmvögel besang, die über dem Wogenaufruhr schweben und mit ihren Stimmen den Sturm durchtönen; ich habe es leider bei einem der unzähligen Umzüge meiner späteren Jahre eingebüßt zusamt dem ganzen Pack seiner durchaus bedeutenden Briefe. Ich muss mich anklagen, die Reliquien dieses mich so tiefliebenden Freundes, der sich immer mühte mir hilfreich zu sein, zu wenig sorgsam behütet zu haben. Seinen Manen möge es einen schwachen Dank bedeuten, wenn ich hier aus der Erinnerung seine Übersetzung eines kleinen Liedchens aus meiner Frühzeit, das mit in die Sammlung der »Gedichte« gekommen war, niederlege.
For tee
What broke sleeps magic sphere asunder,
Where love appears?
Why was my pillow wet, I wonder,
At dawn with tears?
I know not to what picture growing
Tat dream might be.
I only know, those tears were flowing
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