For tee, for tee!
Was das kleine Lied bei dem Umguss an Einfachheit verlor, das hat es durch das schöne Bild von der magischen Kugel an Schmuck gewonnen.
An dieser Stelle sei eines Unfugs der Lesewelt gedacht, gegen die von je die Dichter, aber vergeblich, sich verwahrt haben. Ich meine die öde Sucht, aus dem Gedicht seinen Wirklichkeitskern herauszubrechen, das was die Poesie aus der irdischen Schwere in überirdische Leichtigkeit, in Glanz und Ton und Rhythmus verwandelt hat, in seinen nunmehr verbrauchten, nicht mehr vorhandenen Rohstoff zurückverwandeln zu wollen, dabei die zärtlichste, verbotenste Stelle des Dichters, wo die Verwandlung vor sich geht, verletzend. War da einmal Wirklichkeit? War es nicht immer Vision? Wen geht es an, wenn der Nächstbeteiligte es nicht mehr weiß? Diese Poesielosen, die sich lieber mit Statistik als mit Dichtung befassen sollten, gleichen sie nicht den Kindern, die ein empfangenes Geschenk besser zu genießen meinen, wenn sie es in seine Teile zerbrechen, um zu sehen, woraus es gemacht ist?
So las ich irgendwo von Byron, dass ihn einmal ein Unberufener nach dem Urbild seiner Thyrza gefügt habe – der schönsten, geliebtesten Gestalt seiner Lieder, die er aus dem frühen Grab in den kristallenen Sarg seiner Dichtung gerettet hat. Und der Dichter, hieß es, sei in fassungslose Erregung geraten – um die tote Geliebte, meinten die Alltäglichen. Nein, nicht um die Geliebte, die längst durch seine Gedichte in ein überirdisches Gebilde verwandelt ist, wovor er in Andacht und seligem Schmerze kniet, wie er vor nichts Irdischem knien kann. Dass sie kommen, das Unberührbare stumpf und täppisch mit Fragen betasten: Wer war sie? Wie hieß sie? Wer die Eltern? Und würde der Dichter sie zur Lady Byron gemacht haben, vorausgesetzt, dass ihre Mitgift ausgereicht hätte, um seine Schulden zu zahlen? Das musste ihn außer sich bringen – seine Wutanfälle waren ja bekannt, und gewiss war keiner gerechter. Das Äußerste aber, was Seelenroheit vermochte, wurde eines Tages in Tübingen an dem kranken, wehrlosen Hölderlin verübt, als ein Häuflein Studenten bei ihm eindrang und ihn schlankweg nach Diotima fragte. Nach Diotima! Und kein Wunder geschah, um die Zunge des Fragers zu lähmen. Der Unglückliche musste sich selber schützen; und er fand dafür nur die unerhörte Form, dass er einen gemeinen Dialekt, den er gewiss nie zum Gebrauch gesprochen hat, in dem sich nur die Roheit der Frage spiegelte, zwischen sich und den Frager schob, ihn mit einer Flut von wirrem Unsinn übersprudelnd, um damit die schnöde Neugier aus dem Tempel seines Hyperion hinwegzutreiben.
Sollte nicht um jedes Heiligtum der Dichtung eine »Zone des Schweigens« vorgeschrieben sein wie um das Grab Dantes in Ravenna? Man hat im Lauf des Lebens zu soviel Unleidlichem schweigen gelernt; solche Dinge aber, die immer wiederkehren und gerade die zartesten Herzen aufs tiefste verletzen, müssen einmal gerügt werden.
Ich stand jetzt allein Aug in Auge mit dem unsichtbaren geflügelten Freund und verlangte sonst weiter nichts vom Leben. Er machte mich glücklich und unglücklich, je nachdem es ihm einfiel, wie es ein irdischer Geliebter an seiner Stelle auch getan hätte. Ich nannte ihn meinen »Anderen«. Er war der Helfer und Tröster, der große Leidverwandler, aber er war auch der Eifersüchtige, Vielverlangende, der mich ganz für sich allein wollte. Wenn ich ihn beim Glühen der Esse am stärksten in mir fühlte, kamen Augenblicke, wo die irdische Brust das Glück nicht mehr halten konnte und ich ins Freie stürzen musste, damit die Fibern nicht rissen. Dann wieder quälte er mich durch seine sich überstürzenden, durcheinandergewürfelten Einfälle, die ich nicht schnell genug zu Papier bringen, entwirren konnte, oder er sandte sie mir zu in Augenblicken, wo ich durchaus verhindert war sie aufzufangen, etwa an einem Reisetag, im Augenblick des Aufbruchs mit Mama, die sich beim Reisen über die Maßen aufzuregen pflegte. Wenn ich aber nur einen Seitenblick auf die Verlockungen des Lebens fallen ließ, so verschwand er. Und alsbald verlosch aller Daseinsglanz, die Sonne ohne ihn war keine Sonne mehr. Erst wenn ich dann genug gedarbt hatte, kam er wieder und bewarf mich mit Blumen. Am wenigsten vertrug er sich mit meinem armen Mütterlein, das ihn doch schon vor meiner Geburt für mich herbeschworen hatte. Er entfloh, wenn sie eintrat. Sie liebte zwar glühend die Gestalten, die ich schuf, und nahm sie wie Enkelkinder an ihr Herz, aber das Werdende zu schonen und zu fördern war ihr nicht gegeben. Wie gut sie die Eingebung, das eigentlich Dichterische mitempfand, so sehr fehlte ihr der Sinn für die Ausgestaltung, für das Handwerkliche, das Ringen um Maß und Einordnung und die letzte Feile. Wenn sie mich ein angefangenes Manuskript verwerfen oder viele Blätter eines laufenden in den Papierkorb wandern sah, weil entweder an einer Stelle die Lösung nicht geglückt war oder weil ein Zu viel nach einer Seite das Gleichgewicht des Ganzen gestört hätte, so klagte sie, dass ich eben niemals fertig würde.
Auch die Brütezeit, in der ich einen Stoff in der eigenen Seele vorwärmen musste, bevor er in der Arbeit zum Schmelzen kam, war ihrer Natur fremd; sie meinte, wenn ich nicht die Feder in der Hand hatte, dass ich jetzt müßig sei und zum Gespräch zu brauchen. Sie selber schüttelte ihre Eingebungen von sich, Gelungenstes und Misslungenes unbedenklich mischend, weil ihr das Feilen nicht lag und sie ihr Talent zu niedrig einschätzte, um es ernstlich zu pflegen. Zwar hatte sie bei meinem Vater das gleiche Ringen mitangesehen und es ängstlich behütet. Aber er war ein Mann und gehörte dem Werk. Die Frau war immer Frau, Hüterin und Helferin, bei der man Schutz und Schonung sucht, ohne ihr selber solche zu gewähren, denn das war ihr natürliches Amt: wenn sie Manneswerk tat, so musste es nebenher geschehen, ohne die dem Mann zustehenden Rücksichten und Rechte, und wenn ihr das Wunder gelang, so wurde es von niemand als ein solches angerechnet. Das war allen Geistern so tief eingebrannt, dass keinen einzelnen deshalb ein Vorwurf trifft. Das meiste, was ich in jüngeren Jahren Zusammenhängendes schrieb, ist zwischen Koffern wie auf der Flucht geschaffen. Sobald ich das geliebte mütterliche Haupt in guter Obhut wusste, reiste ich weg, und es war jedes Mal ein unbeschreibliches Aufatmen, dem unruhevollen Haushalt entronnen zu sein. Ich wollte dann nichts, gar nichts, als die Gesellschaft des Einen. Stockte einmal die Eingebung doch, so konnte es genügen ins Freie zu gehen, dass sie zurückkam; gelegentlich erhaschte ich auch aus dem Munde Vorübergehender ein Zufallswort, das als Stichwort wirkte und ein fehlendes Motiv erschloss: so fand ich auf der Straße unerwartete Mitarbeiter. Was jener Eine mir war, ist nur in Worten seiner eigenen Sprache auszusprechen, Prosarede vermag es nicht. Es war in einer der schönsten toskanischen Landschaften, dass ich an einem Waldrand sitzend mit dem Blick auf die weite, vom Silberband des Flusses durchzogene Arnoebene und die rauchenden Meiler von Vallombrosa, ihm an aufeinanderfolgenden Tagen ein langes Liebeslied »Immer zu Zweien« sang:
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