Ich habe, was ich damals im Hause Giusti über die Jettatura erfuhr, die im neuen Italien ausgestorben sein dürfte, später in der Novelle »Der Jettatore« in der »Stunde des Unsichtbaren« verwendet.
Das Haus Giusti war neben zwei Familien freundlicher schwäbischer Landsleute, beide Gasthofbesitzer und von Anfang an zu Edgars Klientel gehörig, unser frühster Umgang in Florenz.
Unsre nächste und für alle Zukunft bedeutsamste Begegnung war die mit Adolf Hildebrand. Der noch junge und wenig bekannte, nachmals so groß gewordene Bildhauer lebte mit seiner schönen Rubensfrau Irene, geb. Schäufelen, geschiedenen Kobell, in seinem köstlichen, selbsterworbenen Besitz, dem alten Kloster von San Francesco, das seine Gattin durch ihre reichen Mittel und ihre gesellschaftliche Kultur zu einem Sitz der Schönheit und des verfeinerten Lebensgenusses machte. Die Anknüpfung geschah nicht ohne eine gewisse kitzliche Besonderheit, die sich jedoch in Wohlgefallen auflöste. Adolf Kröner, der die schöne Lebensgenießerin aus den bacchantischen Tagen ihrer ersten Ehe kannte, hatte einmal beim Champagner, als sie sich in glückjauchzendem Übermut vermaß, dass diese Liebe ewig dauern müsse, mit ihr eine verwegene Wette auf das Gegenteil eingegangen. In einem scherzhaften Brief an meine Mutter ließ er die schöne Frau neckend an die verfallene Wette erinnern und gab seinen Anspruch auf zugunsten der von ihm empfohlenen Landsleute, die er freundlich zu empfangen und ihnen den Einstand in Florenz zu verschönern bat. Mama, die kein Arg bei der Botschaft hatte, ließ sie den Brief sehen, aber Frau Irene in ihrem neuen, so viel tieferen Glück mochte nicht gern an die Vergangenheit erinnert sein und war sichtlich von deren Wiedererweckung nicht ganz angenehm berührt. Doch mit dem Takt der großen Welt und ihrer angeborenen Verbindlichkeit antwortete sie, jene Irene sei tot und könne also für keine Wetten mehr einstehen; die neue wisse jetzt erst, was Liebe sei, aber sie freue sich über den willkommenen Besuch und bitte dem Vermittler ihren Dank zu sagen. Noch schöner und freier fiel die erste Begegnung mit ihrem Gatten aus, der wenige Minuten später mit seinen Siegfriedaugen ins Zimmer trat. Er hatte uns schon am Tor empfangen und ins Haus gewiesen, war aber von uns seines äußerst jugendlichen Aussehens und seiner bescheidenen Haltung wegen für einen Werkstattgehilfen angesehen worden. Um ihn war im Gegensatz zu seiner Gattin keine spielerische Grazie, nichts von gesellschaftlichem Glanz; er war durch und durch Natur und sagte mit jedem Wort genau was er meinte, aber was er meinte war immer etwas Besonderes und zugleich doch merkwürdig Selbstverständliches. Ich habe von dieser bedeutendsten Erscheinung unsres florentinischen Kreises schon zweimal eingehend erzählt. Zuerst in meinen »Florentinischen Erinnerungen« durch eine Festschrift zu seinem sechzigsten Geburtstag und später, zehn Jahre nach seinem Hingang, in einem ihm eigens gewidmeten kleinen Buche »Der Meister von San Francesco«, denn die Freundschaft, die sich an jenem Septemberabend in Florenz entspann, sollte ungetrübt durch vierzig Jahre bis zum Tode des Meisters und noch darüber hinaus in der Überlebenden weiterdauern. Sie wurde durch einen schnellen Gegenbesuch des Paares angebahnt, und bei dem ersten im Hause Hildebrand eintretenden Krankheitsfall durch die Berufung Edgars fest verklammert, der fortan durch alle Jahre seines Lebens die Familie ärztlich betreute und allen den rasch aufeinanderfolgenden Sprößlingen ins Leben half.
Seltsam berührt es mich in der Erinnerung, dass Böcklin, der damals am Lungo Mugnone sein lustiges und lüsternes Meergesindel malte, mir eines Tages unter vier Augen ernsthaft bedeutete, dass er als Vater mir nicht erlauben würde, im Hildebrandschen Hause zu verkehren, weil es für ein junges Mädchen nicht statthaft sei, eine Frau zur Freundin zu haben, die von ihrem ersten Gatten weggegangen sei, um mit einem andern zu leben. Er hatte sehr strenge Begriffe von der Ehe, der Basler Meister, von dem es ja bekannt war, dass er sich kein anderes weibliches Modell gestattete als seine schon stark ins Formlose übergehende römische Lebensgefährtin. Um welchen geistigen Gewinn ich ärmer geblieben wäre, wenn ich aus bürgerlicher Ängstlichkeit die Warnung befolgt hätte und ein Haus gemieden, dem ich nachträglich den stärksten Einfluss auf meine Entwicklung zuschreiben muss, ist nicht auszudenken.
Auf dem gleichen Stockwerk Tür an Tür mit uns wohnte ein russisches Schwesternpaar, die Fürstinnen Galitzin, von denen die ältere, Sophie, mit ihrem Kosenamen Sonja, vermählte Potemkin und Mutter eines kleinen Mädchens, die meiste Zeit ohne ihren Mann lebte, der sich, nachdem er das Vermögen seiner Gattin durch Luxus aufgezehrt hatte, mit allerlei Beschäftigungen auswärts herumtrieb und nur ab und zu schnell einmal nach Florenz kam. Die jüngere, Tatjana oder Tanja, war meines Alters, und zwischen uns entspann sich eine leidenschaftliche Freundschaft. Beide Schwestern waren hochgewachsen und schön, die ältere sogar eine wirkliche Schönheit, an byzantinische Madonnen erinnernd, dabei trotz ihrer Herkunft aus dem russischen Hoch- und Hofadel und aus ursprünglich märchenhaftem Reichtum so anspruchslos, dass die beiderseitigen Lebensverhältnisse keine Schranke bildeten. Freilich hatte der alte Fürst, ihr Vater, der als großer Musikfreund immerzu mit eigener Kapelle reiste und in allen Hauptstädten Europas Konzerte für geladene Gäste gab, durch geradezu orientalischen Aufwand sein Riesenvermögen verschwendet, sodass nicht viel auf die beiden Schwestern und den in der russischen Kriegsmarine dienenden Bruder gekommen war, und Herr Potemkin hatte, wie gesagt, noch seinerseits nachgeholfen, weshalb der Lebensstil der beiden Schwestern sich nicht allzu viel von dem meinigen unterschied. Durch sie kam ich in Verkehr mit der russischen Kolonie, die gewiss von allen in Florenz eingenisteten Fremdenkolonien die anziehendste, weil weitherzigste und freieste war, und die hohe Achtung, die in diesen Kreisen allem Geistigen gezollt wurde, überbrückte jeden Unterschied, war doch das zaristische Russland das einzige Land, wo Geist und Bildung ohne weiteres dem Adel gleichstellten. Edgar war schon vor unserer Ankunft als allgeschätzter junger Arzt in diesen Kreisen heimisch gewesen, und auch das in keine Kategorie zu bringende Wesen meiner Mutter, für das dem konventionell gebundenen Italiener jedes Verständnis mangeln musste, fand unter den Russen, denen ihr kurländisches Blut sich ohnehin immer nahe gefühlt hatte, die richtige Einreihung. Gesprochen wurde nur Französisch, da die Schwestern kein Deutsch konnten; auch die schwachen Reste des Russischen, die mir aus meinen Tübinger Studien und meinen Übersetzungen geblieben waren, mussten gelegentlich herhalten. Nur dass man einmal einen Serben neben mich setzte, der keine als seine Muttersprache kannte, und wir beide uns angstvoll abmühen mussten, aus den gemeinsamen slawischen Elementen der beiden Sprachen unter dem Lachen der Anwesenden wie unserem eigenen eine Unterhaltung zustande zu bringen, das fand ich grausam. Aber es wurde mir erklärt, dass sich schon alle anderen der Reihe nach mit dem unverdaulichen Bissen abgequält hätten, da sei es nicht mehr als billig, dass auch ich einmal dran komme.
Читать дальше