1 Die vielen Ausrufe sind Zigeunerstil. <<<
2 Dass es eine Grille Mörikes war, die diesen bedauerlichen Umstand veranlasste, ist in meiner Hermann-Kurz-Biografie vermerkt. – A. d. V. <<<
3 Geschrieben 13. Nov. 1919 <<<
4 Ich teile auch diese geistreiche Bemerkung mit, weil sie so unübertrefflich den Gegensatz zwischen der liebeleeren scharfspähenden Kunst des großen französischen Naturalisten und dem breiten, ganz in Liebe getauchten Pinsel des seherischen deutschen Menschenschinders ausdrückt. Darum ist Maupassant auch nur in seinen köstlichen kleinen Ausschnitten aus dem Leben der unsterblichen Erzähler; wo er die Weite des Menschendaseins im Roman darstellen will, da scheitert er jämmerlich und – langweilig. <<<
5 Selbst diesem gründlichsten Forscher ist noch eine übersetzerische Leistung meines Vaters entgangen, die zwar keinem ernsten oder bedeutenden Gegenstand gewidmet ist, aber doch ein weiteres Mal Zeugnis ablegt für die unvergleichliche Schmiegsamkeit und Spannkraft seiner Sprachkunst. Ich meine die zehn Canzonen des Boccaccio, die in den Decamerone eingeflochten sind und die dem ersten vollständigen Boccaccioübersetzer Gustav Diezel wegen ihrer großen Schwierigkeit so misslangen, dass er bei der dritten Auflage seiner Übersetzung (1855) meinen Vater zu Hilfe rief, der dann auch mit gewohnter Meisterschaft die aus der bequemen Reimfülle und dem beweglichen Satzbau des Italienischen geborenen Lieder mit all ihrer spielerischen Grazie in unserer so reimarmen und an eine starre Syntax gebundenen Sprache wiedergab. <<<
6 Vormals: »Hermann Kurz, ein Beitrag zu seiner Lebensgeschichte« <<<
Fünftes Kapitel – Noch einmal die Jugendstadt
Als ich im Jahr 1918, kurz vor dem Zusammenbruch Deutschlands, die Denkwürdigkeiten »Aus meinem Jugendland« schrieb, da lag über jenen frühen Tagen in meiner Erinnerung ein Schein, der nur um so goldener aus der rings umgebenden, noch von ihren letzten Vernichtungsblitzen durchzuckten Weltnacht glänzte. Ich hatte keineswegs die Absicht, meine Frühzeit erschöpfend zu schildern, sondern nur aus dem farbigen Bilderbuch meiner Jugend bald dieses, bald jenes bedeutsamere Blatt herauszunehmen, das außer mir nur noch wenige kannten und das ein paar Jahre später ich selber nicht mehr imstande gewesen wäre, mit Sicherheit in meiner Erinnerung wiederherzustellen. Weislich nannte ich das Buch »Aus meinem Jugendland«, um anzudeuten, dass es nicht das Ganze, sondern nur ein Ausschnitt war, und ich hatte mir dazu die lichtesten, farbenfrohsten Stücke ausgesucht; die dunklen, leidvollen ließ ich versinken: ich hatte für meinen Zweck nicht nötig, ihren nachwirkenden Spuren in meinem Schicksal nachzugehen. Wer dieses sonnige Gegenstück nicht kennt, wird geneigt sein, einen Lebensmorgen, wie ich ihn auf den vorangegangenen Blättern dargestellt habe, für etwas sehr Beklagenswertes zu halten; wer es kennt, dürfte sich vielmehr über den Widerspruch der Auffassungen verwundern. Und doch sind beide Bilder wahr, das sonnige und das düstere, sie waren sogar gleichzeitig vorhanden und lagen so übereinandergeschichtet, Gewitterhimmel und Sonnenlandschaft, dass eines durch das andere hindurchschien. Nur dass ich in meiner Darstellung die Schatten lichtete, besonders die unbegreiflichen, über dem Verhältnis des Kindes zu dem umgebenden Spießertum lastenden. Bei Abfassung des Buches stand mir ja mein Jugendfreund Ernst von Mohl, der nach vierzigjähriger Trennung als geadelter russischer Staatsrat zurückgekehrt war, mit seinem vorzüglichen Gedächtnis zur Seite. Ich habe diesem Treuesten der Treuen, dessen Leben sich auch aus der weitesten Ferne durch alle die Jahrzehnte wie ein immer frischer Kranz um das meinige schlang, ein eigenes Büchlein »Ein Genie der Liebe« gewidmet, daher auf diesen Blättern nicht mehr viel von ihm die Rede sein kann, weil alles schon gesagt ist. Unter der wärmenden Bestrahlung dieses liebenden Herzens wandelte sich alles gemeinsam Erlebte ins Festlich-Fröhliche: ihm war es für immer der Höhepunkt seines Daseins und eine heilig-schöne Erinnerung. Es hätte ihn geschmerzt, aus meiner Feder zu lesen, wie viel Bitteres für mich mit den ihm so strahlenden Tagen verknüpft war. Vor allem aber war, was mir einst Leides geschehen, längst schon ehrenvoll gesühnt. 1913, zu der glänzenden Hundertjahrfeier meines Vaters in Stuttgart, für die ich den Prolog dichtete, hatte Tübingens philosophische Fakultät ihren Dekan, den Literaturforscher und Herausgeber der Werke meines Vaters, Hermann Fischer, dorthin entsandt, mir feierlich in Gegenwart des Königspaares das Doktordiplom honoris causa als erster Frau, der von dieser strengen Stelle her solche Ehre widerfuhr, zu überreichen. Die Dinge waren völlig verschoben. Meine Widersacher und Widersacherinnen waren tot, vergessen, zum Teil wohl auch bekehrt, weil die Zeitentwicklung längst die Wege ging, auf denen man zuvor nur mich gesehen hatte. Dem Frauenstudium standen alle Hörsäle offen, Körperpflege, Körperübungen waren nicht mehr verfehmte, vom Bösen eingegebene Dinge, sie galten als schmückende Vorzüge, bevor sie gar wie heute zu einem Pflichtfach der Erziehung wurden. Aus meiner Jugendstadt kamen mir nur noch Zeichen liebenden Verstehens und Erinnerns. Sie kamen häufig von den Kindern gerade solcher, die mich in meiner Jugend verfolgt und verketzert hatten, und von mehr als einer Seite wurde mir versichert, dass man die eigenen Kinder ganz in meinem Sinn erziehen lasse.
Es könnte demnach kleinlich erscheinen, wenn ich trotz der mir zuteil gewordenen reichen Vergütung noch einmal auf das alte Missverhältnis zu reden komme, das meine Kinder- und Jungmädchentage getrübt hat. Aber ich habe jetzt, wie schon gesagt, nicht mehr mit Personen zu tun, nur noch mit den Zeit- und Gedankenmächten, die mein inneres und äußeres Schicksal beeinflusst haben, und unter diesen war doch keine so nachwirkend wie der Kleinkrieg, den eine ganze Stadt gegen mich führte, vom Gemeinderat bis zur Gassenjugend herunter. Niemand, der die Kindesseele kennt, wird glauben, dass Wunden, wie sie damals dem jungen Herzen beigebracht wurden, spurlos vernarbt wären. Zurückhaltende Miene gegenüber der Außenwelt war die dauernde Folge: man musste mich suchen, ich suchte niemand. Um dem Philistertum keinen Triumph über mich zu gönnen, presste ich meinen zornigen Schmerz so tief in mich hinab, dass er zu mir selber nicht mehr sprechen konnte. Allein im untersten Grund verkrampfte sich etwas, das auf das seelische Gefüge einwirkte, sodass ich nicht leicht an ein unmittelbares, unbefangenes Wohlwollen vom Menschen zum Menschen glaubte und dass es immerdar der stärksten Proben bedurfte, um mir zu beweisen, dass ich wirklich geliebt war; zarte, scheue Neigungen blieben übersehen. So konnte sich nachmals wiederholt der gewiss ungewöhnliche Fall ereignen, dass ein Zug des Herzens, der in der Jugend den Weg zu mir nicht hatte finden können, sich plötzlich nach Jahrzehnten, sogar nach einem halben Jahrhundert, wie aus der Ewigkeit herüber offenbarte.
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