Wie Red’ aus treuer Brust,
Dem Steine lass das Schweigen,
Es bringt ihm wenig Lust.
Der erlösende Anruf, der wieder und wieder ausgebliebene, endlich war er von einem Norddeutschen, einem Berliner, gekommen. Diese Dichterfreundschaft sollte denn auch dem Einsamen zum Trost und stärksten Inhalt seiner späten Jahre werden. Das feurige Geben und Nehmen einer überreichen Gedankenwelt musste ihm bis zum Ende die fehlende Gemeinde ersetzen, während Heyses leichtschreitende, nie rastende Muse an dem älteren wuchtigeren Genossen den unermüdlichen, in jede Einzelheit liebevoll eingehenden Berater fand. Denn alle die rasch nacheinander entstehenden Werke Heyses wurden zuerst als Manuskript oder als Fahnendruck in Tübingen vorgelegt und gründlich durchgeprüft. Meine Mutter, die bei dem Freundespaar, ich weiß nicht warum, die Pythia hieß, war im Bunde die stürmisch liebende und bewundernde Dritte. Der Überschwang ihrer Dankbarkeit – denn bei ihr wurde jedes Gefühl zum Überschwang – färbte ihr den schönen und liebenswürdigen jungen Freund in einen Heiland um, dem sie wie ein Frommer jedes Heil zu danken glaubte und ihm mit unermüdlicher Inbrunst Altarkerzen entzündete. Mein Vater, der sie mit den Übertreibungen ihrer Schwärmerei zu necken pflegte, stand selber ebenso unter dem Zauber. Er, der seit seinen Mannesjahren mit jedem Gegenstand ringen musste wie Jakob mit dem Engel, um ihm sein Tiefstes zu entreißen, sah staunend und entzückt, wie der Dichterjüngling spielend von einem Stoff in den andern glitt, um ihn mit meisterlicher Leichtigkeit, wenn nicht immer für die künftigen Tage, so doch gewiss für das Wohlgefallen auch der Besten seiner Zeit, zu formen. Wenn einmal der Heyse-Kurz-Briefwechsel ans Licht tritt, dessen Benutzung leider durch eine testamentarische Verfügung der Witwe Heyses erschwert ist, so wird man sehen, welch unverbrauchte Begeisterung noch in dem Frühverstummten lebte, dem Heyse auf das Adlerlied hin den berauschendsten Stoff der Antike, keinen Geringeren als den Alkibiades zur dichterischen Gestaltung vorschlug, ja nahezu aufdrängte, damit eine jähe Flamme weckend, die angesichts der Unmöglichkeit des wirtschaftlichen Durchhaltens bei so weit gespanntem Plan traurig in sich erlosch. Der liebevolle Dränger, hinter dem meine Mutter stand, hatte nicht bedacht, dass ein loderndes Welt- und Lebensgedicht wie das vorgeschlagene, in Stanzen nach Art von Byrons »Don Juan« geschrieben, zu seinem Dichter, wenn auch nicht einen Lord, so doch einen Mann erfordert hätte, der nicht für den täglichen Bedarf einer großen Familie zu sorgen hat. Wäre es ihm nur wenigstens vergönnt gewesen, die begonnene freie Umgestaltung seines Tristan, mit der er sich bis zu seinem Tode trug, zu vollenden; wie glücklich wäre er mit diesem Lied auf den Lippen hinweggeschieden, von dem er selber sagt: Die großen Sänger starben dran. So gut sollte es ihm nicht werden. Nach seinem Heimgang übernahm der jüngere Dichterfreund Wilhelm Hertz die Fortführung. Aber unter der Arbeit änderte er seine Absicht und stellte mit Ausschluss der von meinem Vater hinterlassenen Bruchstücke eine völlig neue Übersetzung des mittelhochdeutschen Gedichtes her. Mit kundiger Gärtnerhand beschnitt er – fast ein wenig zu sehr, wenigstens ich für meinen Teil misse ungern den Sängerstreit – das geile Wachstum der Gottfriedschen Verse und schuf ein schönes, wohlabgewogenes Kunstwerk, nur dass an der Stelle, wo die Gottfriedsche Unterlage durch den Tod des alten Sängers abreißt, dem neuen die Fülle des Stoffes ausgeht und er dem Prachtbau nur noch aus älteren Resten einen kurzatmigen, erfindungsarmen Schluss wie ein Notdach aufgesetzt hat. Damit wurde das Gedicht Meister Gottfrieds der Allgemeinheit bequemer zugänglich gemacht, was übrigens auch die Absicht meines Vaters gewesen, aber zugleich etwas Einziges, Unersetzliches, der von Hermann Kurz gedichtete Schlussgesang, aus dem Lichte gedrängt. Wohl hatte Hertz gewünscht, das mächtige Finale seines Vorgängers in das eigene Werk zu übernehmen, aber die Hinterbliebenen konnten dem nicht zustimmen, denn die Einwilligung hätte notwendig auch zu der Erlaubnis eingreifender Änderungen führen müssen, weil sonst bei der Verschiedenheit der beiden Dichtertemperamente und auch der Altersstufe, auf der sie schufen, ein Einklang nicht herzustellen war; und solche Eingriffe in das Werk des Geschiedenen wären, besonders in der frischen Trauer, nicht tragbar gewesen. So musste sich auch an dieser Waise, die zuerst von Freundeshand zur Pflege übernommen worden war, das alte Missgeschick meines Vaters erfüllen und ihm sein Ruhmesteil gekürzt werden. Denn gerade an der tragischen Bruchstelle, wo das Gottfriedsche Wundergewebe den Händen seines sterbenden Meisters entsank, hatte sich in dem jugendlichen Hermann Kurz der eigene Dichtergenius losgerungen und aus dem gleichen Reichtum einen weitgeschwungenen episch-lyrischen Abschluss gedichtet, den sein Nachfolger Hertz hochpoetisch nennt und dem er die Ehre erwies, gar nicht mit ihm wetteifern zu wollen. Hier werden die lyrischen Abschweifungen, mit denen auch Gottfried je und je den epischen Fluss unterbricht, wie vom Schwung des Erdballs mit hinausgerissen: vom Einzelschicksal zum Allgemeinen strebend und wieder zurück zum Einzellos, erreichen sie nach Art der griechischen Chorgesänge eine Höhe und Weite, worin neben dem Sturm der menschlichen Leidenschaften die reinigende Kraft des Weltatems weht. Man kann ja, wenn man kritteln will, dagegen einwenden, dass die gehobene Sprache mit der immer objektiven Gottfrieds keine Stileinheit bildet und dass die vertiefteren Seelentöne, in denen alles Irren und Büßen einer unwiderstehlichen, mit dem irdischen Gesetz zerfallenen Liebe in tiefstem Wohllaut ausströmt, einem anderen Zeitalter angehören. Aber es geschieht der alten Dichtung nur, was immer ohne Schaden an den alten Domen geschah, dass liebende Hand sie aus einem neuen Zeitstil zu Ende baute. Den Vergleich zwischen dem Werke Gottfrieds und dem Dom von Straßburg hat mein Vater selbst schon am Schlusse des Gedichts gezogen:
Es gleicht dem Münster, so deucht es mir,
Mit seinen Massen und seiner Zier,
Es gleicht dem steingewordenen Strahl,
Dran Türme und Türmchen ohne Zahl
Mit leichten Steingeweben
In die Lüfte des Himmels streben.
Ein halbes Werk von großer Hand
Wie noch so manches im deutschen Land,
Das fromme Treue sich jetzt erlas
Читать дальше