Der Borgia seinerseits ist kein Eisenfresser. Er geht lieber dem offenen Kampf aus dem Wege, der auch Opfer kostet, solange er hoffen kann, den Gegner durch falsches Paktieren und trügliche Verheißungen ins Garn zu locken. Mit seinen zwei Trompetern ist er bis hart vor den Graben geritten und hat die erlauchte Gräfin von Forli und Imola zur Unterhandlung gerufen. Der lautlose Schall der gelben Trompeten geht dem Beschauer durch Mark und Bein: die Gerufene ist erschienen. Jetzt – sei es die Magie des Mondlichts, sei es Spiel der überreizten Fantasie – jetzt sind die Gestalten kein Werk der Webkunst mehr, keine flachen farbigen Schatten, sie werden körperlich, sie bewegen sich, leben! Das gespannte Ohr vernimmt, wenn nicht den Stimmklang, doch den Sinn ihrer Rede.
Madonna, ruft der Reiter hinauf, wie lange wollt Ihr das gefährliche Spiel noch spielen? Von Tag zu Tag mehren sich Eure Verluste –
Die Euren auch, ruft es von oben herab.
Madonna, lasst Euch erweichen, ich bitte, ich beschwöre Euch, hört auf die Stimme eines Mannes, der nur gezwungen Euer Gegner ist, der Euch bewundert und alles daran setzen möchte, Euch zu retten. Meine Leute dringen auf den Sturm, der Euer Untergang werden muss, die Franzosen, die Schweizer verlangen das gleiche, aber Eure Person ist mir heilig – ich würde mich für den unseligsten aller Menschen halten, wenn ich eine Handlung befehlen müsste, die Eure Sicherheit gefährdet.
Vom Turm kommt eine helle Lache.
Madonna, fährt der Herzog fort, Ihr habt den Ruhm, eine große Kriegerin und eine Kennerin des Kriegswesens zu sein. Als eine solche müsst Ihr einsehen, dass Eure Sache verzweifelt steht. Nicht weil Ihr ein Weib seid und gegen Männer kämpft – o nein, wir wissen es, dass Ihr an Tapferkeit und Kriegskunst keinem Manne nachsteht. Aber Ihr seid allein gegen drei Heere. Eure Bundesgenossen haben Euch verlassen, Eure Untertanen sind von Euch abgefallen –
Die Elenden! Meine Vergeltung wird sie zu treffen wissen, ruft es zurück.
Der Herzog von Mailand, Euer Oheim, von dem Ihr Entsatz hofftet, ist landflüchtig –
Aber meine Schwester sitzt neben dem edlen Maximilian auf dem Kaiserthron, ist die triumphierende Antwort.
Erlauchte Frau, gestattet mir zu bemerken, dass ich fürchte, Seine kaiserliche Majestät habe zur Zeit größere Sorgen als die um Ew. Herrlichkeit Wohlergehen.
Kommt zum Schluss, Herr Herzog, ich habe keine Zeit für müßiges Geplauder.
Ich komme zum Schluss und biete Euch ehrenvollen Abzug mit Eurer ganzen Besatzung und Eurem Hofstaat, mit allen Euren Waffen und Euren Juwelen. Seine Heiligkeit löst Euch vom Bann und verstattet Euch zu wohnen und Hof zu halten, wo es Euch beliebt. Eine jährliche Rente wird Euch ausgeworfen, die nicht im Verhältnis zu unserer Armut, nur zu Euren Ansprüchen steht.
Versprechungen des Hauses Borgia, höhnt es von oben.
Madonna, ich unterdrücke das Gefühl gerechten Schmerzes über Euer Misstrauen und stelle Euch Bürgen meines Wortes, die edelsten, die Ihr verlangen könnt. Es sind die besten Paladine Seiner Majestät des Allerchristlichsten Königs: hier der Herzog von Vendôme, mein sehr erlauchter Freund –
Ein vornehmer Reiter lässt sein Pferd um drei Schritte vorwärtsgehen und verbeugt sich tief mit abgezogenem Federhut, als wären sie bei Hofe, was von der Dame mit königlicher Anmut erwidert wird.
Und hier der Führer dieser tapferen Schar, Monseigneur d’Allègre, dessen ins Buch der Geschichte eingeschriebener Name Euch bekannt sein muss –
Auch der Haudegen macht seine Verbeugung, nachdem er zuerst den Schnauzbart aufgezwirbelt hat, und empfängt gebührenden Gegengruß.
Und hier, fährt der Herzog fort, mein ehrenwerter Freund, der Bailli von Dijon, dem die wackeren Schweizer untergeben sind – (die nämliche Zeremonie).
Sie alle sind Bürgen für die ehrenvollen Bedingungen, die Euch Seine Heiligkeit Alexander VI. durch meinen Mund bietet.
Wieder erschallt ein Lachen vom Turme.
Herr Herzog, der Löwe kann für den Fuchs nicht Bürge sein, denn er kennt seine Schliche nicht. Lassen wir die Flausen. Ich halte diese Burg als Vormünderin meines Sohnes, des Grafen Ottaviano Riario, Herrn von Forli und Imola, zu dessen Erbteil sie gehört, sie kann mir nur mit meinem Leben entrissen werden.
Hohe Frau, Euer Tun ist Wahnsinn, es gibt keine Herren mehr in diesem Land außer Eurem unterwürfigsten Diener, der zu Euch spricht. Seine Heiligkeit will, dass fortan die ganze Romagna einem Zepter gehorche. Werft Euch nicht in die Räder des Schicksals, sie müssten über Euch hinweggehen.
Ich bitte Eure Hoheit, dass Ihr mir gestattet, mich zu entfernen. Meine militärischen Pflichten rufen mich.
Sie taucht unter und es wird stille. Das Mondlicht ist weitergewandert und alles Leben auf diesem Fleck erloschen; die gewebten Figuren stehen dämmernd und unbeweglich wie zuvor. Aber nun beginnt sichs auf dem nächsten Felde zu regen, das jetzt in Klarheit heraustritt.
Hier ist nochmals die Rocca, aber von einer anderen Sicht. Die Zugbrücke ist niedergelassen, die Dame bewegt sich sorglos außen auf dem beschneiten Wiesenplan an der Seite des Kavaliers. Diesmal kann er sich nicht über sie beklagen. Die Unerschrockene hat sich herausgewagt im Vertrauen auf sein fürstliches, im Angesichte des ganzen verbündeten Heeres gegebenes Wort, das er nicht durch eine Gewalttat brechen kann. Die Bewaffneten haben sich von der einen wie von der anderen Seite zurückgezogen, es ist ein beinahe friedliches Bild. Die Haltung beider ist von zeremoniöser lächelnder Verbindlichkeit, nicht anders würden sie sich in einem höfischen Prunksaal bewegen. »Dame Cathérine« hat noch einmal, aber ohne Schroffheit, die Übergabe abgelehnt. Der Herzog begleitet sie artig gegen die Rocca zurück. Caterina betritt die niedergelassene Brücke, ihre einladende Gebärde scheint noch ein letztes Wort des Gegners zu erwarten. Da fällt ihm ein junges Mädchen von seltsamer Schönheit in die Augen, das unter dem Tor zwischen zwei älteren Ehrendamen auf die Gebieterin wartet und ihm den Anlass zu einer letzten Warnung gibt.
Habt Ihr auch bedacht, welchem Schicksal Ihr Eure Frauen aussetzt, wenn Ihr uns zwingt zu stürmen –? will er noch fragen, und unüberlegt setzt er den Fuß auf die Zugbrücke. Ein Knirschen der Eisen, ein Zittern der Planken, er springt noch eben zurück, während mit Kettengerassel die Brücke hochgeht und was sich darauf befindet, Madama und die zwei aufgestellten Knechte mit hinüberreißt. Hölle und Teufel! Eine Falle! Sie wollte ihn fangen. Wahrlich eine gute Prise, der Sohn des Papstes, der künftige Herrscher Italiens! Eine Geisel, um die es sich lohnte! Aber nein, was Geisel? Es galt sein Leben. Sie hätte ihn über diese Brücke nicht lebend zurückgelassen. Töten wollte sie ihn, sein Haupt den Belagerern zuwerfen, wie sie es noch kürzlich mit den Geiseln von Imola getan, als diese Stadt sich seinen Waffen ergab. Ein abgefeimter Verrat, wie er selbst, der Sohn des Abgrunds, bisher noch keinen geübt hat, denn der Tag von Sinigaglia ruht noch im Schoße der Zukunft. An diesem Weibe hat er seinen Meister gefunden. Ohne seine flinken Tänzerfüße, was geschähe ihm in diesem Augenblick? Und wenn der Papst alle Blitze des Himmels losließe, er könnte ihm das Leben nicht wiedergeben. Sein Gesicht ist gelb wie eine Quitte und bekommt den ganzen Tag die natürliche Farbe nicht zurück. Aber er schweigt und schluckt seine zehrende Wut, bis die Feste sturmreif ist und die Rache beginnen kann.
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