Als er jedoch den Straßenlärm hinter sich ließ und der alten Stadtmauer folgte, wo sie sich mit Türmen und Basteien tief unten im Grün des Tales halb verbirgt, gesellte sich ihm der Genius loci, von dem sich manches erfragen lässt, worüber Lebende und Tote Auskunft schuldig bleiben. Ihm erzählte er die Mär von der schönen Galiana.
Die Mär von der schönen Galiana
Er wollte nicht gleich mit der Sprache heraus, denn es hatte ihn verdrossen, dass der Liebende der Natur unter Benzingedüfte und Hupenzeichen in seine mittelalterlichen Straßen eingefahren war, obwohl seine eigenen Landsleute ihn längst an solchen Ehrfurchtsmangel gewohnt hatten. Allmählich ließ er sich aber doch gewinnen und sagte:
Nein, die Galiana war keine Fantasiegeburt, sie hat gelebt, sonst hätten nicht acht Jahrhunderte nach ihrem Tode noch ihr Andenken bewahrt; auf eben den Wegen, wo wir jetzt gehen, ist sie in Fleisch und Bein gegangen. Und wenn auch der Chronist, der nach ihr lebte, Irrtum und Wahrheit durcheinanderwarf, so bleibt doch bestehen, was er berichtet: nämlich dass die Stadt Viterbo sie unter ihre fünf Kleinodien oder »Nobilitäten«, wie man damals sagte, gezählt hat. Unter diesen waren die drei vornehmsten: erstens ein freies Gemeinwesen zu sein, keinem Oberherrn weder im Krieg noch im Frieden dienst- oder zinspflichtig, allein den Kaiser ausgenommen. Zweitens einen wundertätigen tragbaren Altar zu besitzen – wo man den aufstellte, da verlieh er den Waffen von Viterbo den Sieg –, und drittens das schönste Mädchen der ganzen Erde in ihren Mauern zu haben. Dieses Mädchen war die Galiana.
Wenn ich sagen würde, sie sei schön wie ein Engel gewesen, so hätte ich mich falsch ausgedrückt, denn die Engel haben kein Geschlecht, können also auch im natürlichen Menschen keine Liebesbrunst entzünden. Die Galiana aber erweckte in jedem jüngeren Mann, der ihrer ansichtig ward, das heftigste Verlangen sie zu besitzen, und ein Blick ihrer Augen hat manchem auf lange Zeit den Schlaf geraubt. Wenn sich nicht die ganze männliche Jugend von Viterbo um ihretwillen die Hälse brach, so war es nur, weil nicht allzu viele das Glück oder Unglück hatten, ihr Angesicht zu sehen, denn die Mädchen jener Tage konnten sich nicht ungehindert bewegen, und die Galiana wurde von Eltern und Brüdern ganz besonders streng gehütet. Übrigens war sie seit den Windeln einem edlen Jüngling von Viterbo verlobt und die beiderseitigen Eltern warteten mit der Vermählung nur, bis ihre Kinder das heiratsfähige Alter erreicht hätten.
Du hast bei deiner Einfahrt über dem Römischen Tor die Ghibellinenzinnen gesehen, weißt also, dass Viterbo zeitweilig hohenstaufisch gesinnt war. Als Friedrich Barbarossa auf seiner schicksalsvollen vierten Romfahrt in Viterbo rastete, bereitete die Stadt ihm den feierlichsten Empfang. Triumphbögen, kostbare Teppiche an allen Fenstern, Glockengeläute und das Pflaster mit Blumen bestreut, worüber die Rosse des Weltbeherrschers und seiner Reisigen hingingen: es war ein schöner Tag und ganz Viterbo wollte ihn mitgenießen. Deshalb wurde der erhabene Gast mit seinem Gefolge nicht den kürzesten Weg zum Rathaus geführt, wo ein erlesenes Festmahl seiner harrte, sondern die Lenker der Stadt hatten es mit Bedacht so eingerichtet, dass der Zug auch die entlegenen Winkel berühren musste, damit alle das Angesicht des Kaisers sähen. Auch die enge Gasse, die noch heut nach der schönen Galiana heißt, war in die Strecke einbezogen, denn der reiche Galiani gehörte zu den feurigsten Ghibellinen und hätte es übel vermerkt, wenn sein Palast, der mit am glänzendsten geschmückt war, nicht von dem kaiserlichen Augenstrahl getroffen worden wäre. Ein Triumphbogen gerade unterhalb der Gasse, der sich durch Pracht vor der andern hervortat, wies die Einziehenden von selber auf diesen Weg.
Zu der Gefolgschaft des Kaisers gehörte der Graf von Vico, der bei dem Rotbart in hohen Ehren stand, denn er hatte sich überall in seinen Diensten mannhaft hervorgetan und ihm noch kürzlich Tortona und Mailand zerstören helfen. Er war einer der stolzesten und mächtigsten römischen Barone und sein Stammschloss stand an dem einst schönen See von Vico, von dem das Geschlecht den Namen führte. Dieser Herr von Vico ritt mit dem Kaiser durch besagte Triumphpforte und durch die schmale Gasse, wo die Galiana festlich geschmückt auf dem Söller stand. Ihre Schönheit heute strahlend vor aller Augen zu zeigen, das war ein hoher Stolz nicht nur für die Sippe, sondern für die ganze Stadt. Und so geschah es, dass der von Vico und die schöne Galiana sich aus nächster Nähe in die Augen blickten.
Der Graf von Vico war von kühnem Wuchs und stolzer Haltung, wie er so zu Pferde saß, aber er hatte ein ausnehmend hässliches, ja abstoßendes Gesicht mit finsteren, dunkelumbuschten Augen. Man sagte, dass sein Blick den Feind in der Schlacht verzaubere und wehrlos mache wie der Blick des Basilisken, doch vielleicht hat man ihm diese Eigenschaft nachträglich angehängt. Merkwürdig war, dass wenn er einmal lächelte, was nicht häufig geschah, dieses hässliche Gesicht sich in eigener Weise verschönte und geradezu etwas Anziehendes bekam. Deshalb gefiel er den Frauen trotz dem hässlichen Gesicht, ja sie fanden, wenn solch ein Lächeln wie ein plötzlicher Sonnendurchbruch es erhellte, dass seine Hässlichkeit ein Vorzug sei. Und er gefiel auch der Galiana, denn als er sie anschaute, brach der Sonnenblick auf seinen Zügen durch und machte, dass die Liebliche zurücklächelte. Da war es um den Grafen geschehen. Jäh und unwiderstehlich flammte in seinem Blute das Verlangen auf, diese einzige Gestalt zu umfassen und festzuhalten und sie mit sich in sein Haus zu führen, koste es was es wolle. Er enthüllte dem kaiserlichen Freunde die Gluten, die ihn verzehrten, und bat um seinen Beistand. Friedrich sagte ihm die Erfüllung seiner Wünsche zu und übernahm es selbst für ihn zu werben. Allein der Vater der Galiana besorgte von einer solchen Verwandtschaft Gefahren für den Frieden der Sippe und der ganzen Stadt, denn der Graf stand im Rufe, ein Händelsucher und Unterdrücker zu sein, der wo er einmal Fuß fasste, sich alsbald zum Oberherrn aufzuwerfen suchte. Deshalb berief er sich auf das frühere Verlöbnis, um dem kaiserlichen Antrag auszuweichen. Nun erbot sich der Herrscher, der seines Schützlings Sache mit Eifer führte, den ersten Verlobten durch ein Lehensgut zu entschädigen, wenn er seinem Anspruch an die Braut entsage. Die Frage wurde den Weisesten der Stadt zur Beratung vorgelegt, worauf alle einmütig antworteten:
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