Johann von Burgund hingegen hielt sich nach dem Tod Bonnes d’Artois sehr oft am Hofe des Herzogs, durchaus aber auch bei der neuen Herzogin Isabella von Portugal und deren Sohn Karl auf. Die Écroes des Fürstenpaares der 1430er bis 1450er Jahre belegen die häufige Anwesenheit Johanns am Hof des Herzogs oder der Herzogin. 121 Der im Jahre 1434 zum Grafen von Étampes erhobene Johann 122 heiratet 1435 in Brüssel durch die Vermählung mit Jacqueline d’Ailly, Dame von Ingelmunster und Tochter des Vidame Raoul d’Amiens, in eine der reichsten Familien der Picardie ein. 123 Dieser ersten Ehe 124 entsprangen zwei Kinder, Elisabeth 125 und Philipp. Der kränkelnde Sohn verstarb allerdings bereits im Jahre 1452. Jacqueline, Gräfin von Étampes, in den Écroes als mademoiselle d’Estampes nachweisbar, wurde eine der bevorzugten Hofdamen Isabellas von Portugal und verbrachte die meiste Zeit an deren Seite. Auch ihre Tochter Elisabeth wuchs am herzoglichen Hof auf. 126 Sie wurde später von Herzog Philipp in eine äußerste vorteilhafte Verbindung mit dem Herzog von Kleve gegeben. 127
Johann von Burgund scheint bei Philipp dem Guten in hohem Ansehen gestanden zu haben. Der Herzog übertrug dem Grafen mehrere Male in seiner Abwesenheit die Regentschaft für Teile seiner Länder 128 oder stellte ihn dem Grafen von Charolais als Berater zur Seite. So empfahl der Herzog seinem Sohn vor seiner Reise zu einem Treffen mit Kaiser Friedrich III. in Regensburg sowohl die Meinung des grand conseil einzuholen als auch diejenigen des Grafen von Étampes, Adolphs von Kleve und Johanns von Coimbra. 129
Ausgezeichnet hat sich Graf Johann von Étampes am herzoglichen Hof besonders durch seine militärischen Aktivitäten. Wir finden ihn beispielsweise bereits 1434 bei der Eroberung der Stadt Saint-Valéry, 130 1438 im Kampf Burgunds gegen die Engländer bei Calais, mit Anton, Bastard von Burgund, in Holland 131 oder beim Kampf des Herzogs von Burgund gegen Luxemburg, wo er auch in beratender Funktion beim Herzog erwähnt wird. 132 Besonders aber scheint sich der Graf im Kampf gegen die Genter (1451/52) ausgezeichnet zu haben, wie die Chronisten in ihren Werken hervorheben. 133 Während des in diesen Konflikt fallenden Kampfes um Oudenarde wurde der Graf, der die picardischen Kämpfer anführte, laut Olivier de la Marche durch den Bastard von Saint-Pol zum Ritter geschlagen. 134 Bei diesem Chronisten wird Johann von Burgund oft in Kampfsituationen beschrieben, wohingegen Mathieu d’Escouchy den Grafen als einen wohlüberlegten Mann darstellt, der sich in neuen Situationen mit seinen Begleitern berät. Trotzdem scheint auch bei letzterem der militärische Ehrgeiz des Grafen durch. So beschreibt d’Escouchy, dass Johann unzufrieden mit der Vergabe der Vorhut an den Grafen von Saint-Pol gewesen sei. 135 Aus dieser Situation sei eine Abneigung der Fürsten gegeneinander erwachsen, die – wie d’Escouchy an anderer Stelle erwähnt – den Grafen von Étampes in eine Opposition gegen den Grafen von Saint-Pol trieb, die sich auch auf den Herzog von Burgund zu übertragen schien. 136
Die Wertschätzung, die der Herzog von Burgund für die Fähigkeiten des Grafen empfand, zeigten sich besonders in der Ernennung Johanns zum lieutenant, gouverneur général des pays de par deça en l’absence de mondit seigneur, also zum Statthalter in den burgundischen Niederlanden zwischen Mai 1434 und Mai 1435. 137 Der Herzog zeigte weiterhin sein Vertrauen in Johann, als er nach dem Vertrag von Arras 1435 den Grafen als lieutenant et capitaine général 138 der überaus wichtigen Somme-Städte einsetzte. 139 Bereits im Vorfeld des Vertragsabschlusses wurde der Graf von Étampes vom Herzog zu Treffen mit französischen Gesandten geschickt und befand sich auch im weiteren Verhandlungszeitraum in der Gefolgschaft Philipps. 140 Mit der Benennung als lieutenant et capitaine général des Herzogs in der Picardie oblag dem Grafen damit die Verantwortung über Ländereien, die während des Hundertjährigen Krieges ein stark umkämpftes Gebiet waren, die aber auch direkt an der fragilen Grenze zwischen Frankreich und Burgund lagen und in den folgenden Jahren immer wieder für Konflikte zwischen diesen beiden Parteien sorgten. 141 Auch ein reger schriftlicher Kontakt zwischen Herzog Philipp und Johann über die Belange dieser Ländereien, den Marie-Thérèse Caron konstatiert, 142 schmälert den Eindruck einer vertrauensvollen Überantwortung der Gebiete an den Grafen nicht. Bereits in dem Schreiben des Herzogs an die Stände, in dem er die Einsetzung des Grafen damit begründet, dass er selbst nicht immer in der Region sein könne, diese aber gegen die Engländer verteidigt werden müsse 143 , spricht er dem Grafen von Étampes mit folgenden Worten gegenüber den Ständen sein Vertrauen aus:
»Aufgrund der Zuneigung zu jenem selbst, für den Verstand, Diskretion, Umsicht und die hohen und edlen Tugenden, die, wie wir wissen, in der Person unseres Neffen, dem Grafen von Étampes, vereint sind, und durch das volle und ungeschmälerte Vertrauen, das wir in ihn, der ein naher Verwandter unserer Linie und unseres Blutes ist […], haben, hat er eine sehr große und außergewöhnliche Neigung, sich einzusetzen.« 144
Auch militärisch waren die Gebiete sowohl dem Herzog als auch dem Grafen eine willkommene Unterstützung. Von den Chronisten besonders hervorgehoben wurden in diesem Zusammenhang die picardischen Bogenschützen, die auch im Kampf gegen Gent eine wichtige Rolle spielten. 145
Im Anschluss an ebendiese Revolte von Gent hielt Herzog Philipp 1454 in Lille das Banquet du vœu de Faisan ab, auf dem der Wille des Herzogs, einen Kreuzzug zu führen, durch den Schwur auf einen Fasan eindrucksvoll bekräftigt wurde. 146 Als Familienmitglied gehörte der Graf von Étampes zu einer Vœuder ersten Personen, die nach dem Herzog und dessen Sohn schwören durften. 147 Bemerkenswert an den Fasanenschwüren ist, dass einige Teilnehmer nicht nur dem Herzog ihre Gefolgschaft schworen, sondern versprachen »dass, wenn es geschieht, dass die Angelegenheiten meines sehr hochverehrten Herrn so sind, dass er nicht auf die genannte heilige Reise gehen kann, und mein sehr hochverehrter Herr, der Herr von Charolais, oder mein sehr hochverehrter Herr, mein Herr der Graf von Étampes dorthin gehen, werde ich ihnen auf vergleichbare Weise auf der genannten heiligen Reise mit meinem Körper und meinem Vermögen dienen.« 148 Diese Formulierungen findet man zwar vereinzelt auch bei Schwüren für andere Fürsten, 149 allerdings ist die Nennung des Grafen von Étampes mit Abstand die häufigste in den von Mathieu d’Escouchy aufgeführten Schwüren. Zudem finden sich hier auch Formulierungen, in denen die Herren den Grafen von Étampes erwähnen und ihm ihre Begleitung antragen. 150 Diese Bindung nicht nur an den Herzog oder dessen Sohn, sondern auch an Johann von Burgund, kann zum einen darauf zurückgeführt werden, dass es sich bei den Schwörenden, die den Grafen von Étampes mit einbezogen, vielfach um dessen Bedienstete handelte. 151 Aber auch das Verhalten des Grafen während des Genter Aufstandes, der erst kurz vor dem Fest zu Ende gegangen war, und seine dort präsentierten Fähigkeiten auf und außerhalb des Schlachtfeldes, scheinen den Grafen als fähig ausgezeichnet haben, auch einen Kreuzzug anzuführen. Solcherlei Überlegungen mögen in die Schwüre mit eingeflossen sein. Der Graf von Étampes wurde also neben dem Grafen von Charolais als einer der wahrscheinlichsten Männer angesehen, die den Herzog bei einer möglichen Verhinderung auf dem Kreuzzug ersetzt hätten. Während der Feierlichkeiten legte der Herzog zudem fest, dass in seiner Abwesenheit während des Kreuzzuges sein Sohn Karl die Regentschaft übertragen bekommen sollte. Ihm zur Seite wurde allerdings ein bewährtes Ratsgremium gestellt, zu dem auch der Graf von Étampes gehörte. 152
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