Interessanterweise war das bei Inspector James Parry nicht der Fall gewesen. Von ihm hatte sie sich von Anfang an wie eine Lady behandelt gefühlt.
»Sie scheinen ja mit dem Stock ganz gut zurechtzukommen«, kommentierte er, als sie im Aufzug standen. »Ich hab schon vorher mal nach Ihnen gesehen, aber Sie waren gerade im Labor beschäftigt gewesen, also …«
»Manchmal brauche ich ihn mehr … kommt drauf an, wie lange ich schon auf den Füßen bin«, entgegnete sie.
Es war ein wunderschön gefertigter Stock mit einem silbernen Knauf, der ihr als Willkommensgeschenk von J.T. und den anderen in ihrem Labor in Quantico überreicht worden war, als sie nach ihrer langen Reha nach Hause kam. Der Prozess, nach dem ein Verrückter in die Abteilung für geistig Kranke in einer staatlichen Hochsicherheitseinrichtung gelandet war, hatte ebenfalls seine Tücken gehabt. Bis heute hatte ›Mad‹ Matthew Matisak Einfluss auf einige ihrer Emotionen. Wie Donna, ihre gut bezahlte Psychologin, mit der sie mittlerweile per du war, ihr gesagt hatte: »Wenn du in den Abgrund starrst, dann starrt er manchmal auch in dich.«
Der Heilungsprozess nach dem Leid, das ihr Matisak zugefügt hatte, dauerte Jahre, und selbst jetzt war sie noch weit von einer vollständigen Genesung entfernt und trug immer noch die Narben, besonders die unsichtbaren. Matisak hatte sie aus ähnlichen Gründen wie der Passat-Killer mit einer Klinge verstümmelt und hier war sie nun und starrte erneut in den Abgrund, suchte nach Antworten auf Fragen, die die meisten Leute gar nicht hören wollten … wühlte durch den Unrat der hässlichsten Abgründe der menschlichen Natur, zu der Vergewaltigung, Blutvergießen, Folter, Verstümmelung und Lustmord gehörten.
Sie fragte sich, ob Jim Parrys Sorge um ihr Wohlergehen auf dem beruhte, was ihr zugestoßen war, weil er von ihrer Begegnung mit ›Teach‹ Matisak erfahren hatte. Sie wusste, dass sie noch tiefer in den Abgrund gestarrt hatte als er, und für sie starrten Matisaks Augen, in denen der Wahnsinn loderte, aus dem Abgrund zurück. Parry war intelligent, beflissen und sensibel. War er an ihr interessiert, fragte sie sich, oder an dem, was sie aus erster Hand über Serienkiller wusste?
Wie alle anderen im FBI war Jim sicher gut informiert über das, was sie durchgemacht hatte, wusste von ihrer Nahtoderfahrung unter den Händen von Matisak. Wie sie Otto an Matisak verloren hatte …
Bei seinem Wagen angekommen, nahm er ihren Stock und hielt ihr seine Hand hin, während sie auf den Sitz rutschte. Einen Moment betrachtete er den wunderschön gefertigten Stock und machte eine Bemerkung über die hervorragende Handwerkskunst. Es war zwar keine Rolex, aber er hatte sicher eine Stange Geld gekostet … und er wusste bestimmt, dass es derselbe Stock war, der zum Ende der dämonischen Mordserie von Simon Archer, auch bekannt als die Klaue, beigetragen hatte. Sie konnte es an seinem Blick ablesen. »Sie wollen sicher etwas über Simon Archer und Matthew Matisak wissen, stimmtʼs?«, fragte sie.
»Nein, nein.«
Sie glaubte ihm nicht. Sie wusste schließlich, wie faktenbesessen Parry war, und dass es manchmal für einen gewissenhaften Ermittler nicht genügte, nur über Fallakten zu brüten. Das war seine Stärke und was ihn anziehend machte, und sie wusste auch, dass er vor Neugier nach den kleinsten Details fast umkam.
»Wenn ich dadurch in Ihrer Gunst steige«, sagte sie mit einem schiefen Lächeln. »Dann könnte ich Ihnen wohl von Matisak und Archer erzählen.« Das könnte sogar therapeutisch wirken, hörte sie Donna Lemonte in ihrem Kopf flüstern.
Er ging auf die Fahrerseite, den Stock immer noch in der Hand, legte ihn auf den Rücksitz und stieg ein. »Jessica, Sie müssen nicht darüber reden.«
Seine Aufrichtigkeit war mit einer kräftigen Dosis der üblichen Neugier eines Polizisten gefärbt, was sie verstand und respektierte. »Nein, nein«, begann sie, »es ist ja ziemlich offensichtlich, was Ihnen im Kopf herumspukt.«
»Wirklich«, beharrte er, »wir können auch über etwas anderes reden.«
»Ja, vielleicht«, entgegnete sie, »wenn das mal aus dem Weg ist.«
»Jess!«, sagte er und tat, als wäre er verärgert.
Sie begann von ›Mad‹ Matisak zu erzählen, indem sie die Autopsie schilderte und zwei Exhumierungen, die sie auf einer langen verwickelten Spur schließlich zu Matisaks Unterschlupf geführt hatte.
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