Humberto spielte die Melodie ihrer Liebe.
Alexzander bat Capitán Jesus Garcia, ihm einen zweitägigen Fronturlaub zu gewähren. Der betrübte Soldat hoffte, nach Süden in sein Dorf zu reiten, seine trauernde Ehefrau zu trösten und ein weiteres Kind zu zeugen, ehe er seine verzweifelte und aussichtslose Mission antrat. Der hochrangigere Offizier erwartete, dass ein Trupp texanischer Boten in naher Zukunft durch den Pass kommen würde, und lehnte das Ersuchen ab.
Der Balladensänger schlug heftig in die Saiten seiner Guitarrita und dämpfte sie dann. Unter der Galgenplattform standen siebenundzwanzig Zuschauer, von denen sich jeder eine persönliche und eindeutige Version der Geschichte, die er erzählte, ausmalte.
Alexzander schickte seiner Frau einen Brief, in welchem er sie darum bat, nach Norden zu reiten und sich in der verlassenen Scheune zu verstecken, die am östlichsten Rand der Hacienda stand. Er wusste, dass sie dieses Schreiben frühestens in sechs Tagen erhalten würde.
Humberto schwang seine langen Fingernägel und beschleunigte das Lied.
Alexzander und seine vier Freunde begaben sich zu dem Pass, in dem sie den texanischen Boten auflauern würden. In einem primitiven Unterstand versteckte sich das Quintett und wartete. Zwei Wochen später kamen die texanischen Boten durch den Hohlweg – eine Gruppe von dreißig bleichen Gringos.
Der Balladensänger schlug wilde Triolen an; die Menge der einunddreißig Menschen war reglos und still.
Obwohl zahlenmäßig sechs zu eins unterlegen, griff Alexzanders Einheit, mit alten Pistolen und Messern bewaffnet, den Feind an. Die Hälfte der bleichen Texaner wurde im Kampf erschlagen, und vier der Mexikaner fielen tot auf die Erde, die ihnen rechtmäßig gehörte. Alexzander wurde in den Bauch gestochen und ins linke Bein geschossen.
Humberto zupfte seine Guitarrita heftig und legte eine Pause ein. Ohne Begleitung durch sein Instrument sprach er weiter.
Die Mission war ein Fehlschlag.
Der Balladensänger zupfte eine langsame und zarte Melodie in Moll.
Alexzander erhob sich auf seine Hände und Knie und kroch auf die Hacienda zu. Ihm war kalt und er hatte Durst, aber er gab nicht auf.
Die langsame und zarte Mollmelodie wurde wiederholt.
Alexzander erreichte die Hacienda und kroch durchs Gras, auf die Scheune zu, in der er hoffte, sich mit seiner Liebsten, Gabrielle, zu treffen. Die Nacht senkte sich herab, während er sich vorwärts kämpfte, langsam und unter großen Schmerzen, doch der Mexikaner blieb unerbittlich.
Im Morgengrauen betrat Alexzander die Scheune. Er kroch durch das Heu, vorbei an Kühen mit zerrissenen Eutern und blutigen Ziegen, die ihresgleichen gefressen hatten. Gabrielle rief seinen Namen, stieg von ihrem Versteck herab und eilte an seine Seite.
Humberto spielte die Melodie ihrer Liebe.
Kurz nachdem sie das Baby gezeugt hatten, das heranwachsen würde, um dieses Lied zu schreiben und zu singen, starb Alexzander in Gabrielles Armen.
Die Zuschauer unter dem Galgen applaudierten und riefen anerkennende Worte, während der letzte Akkord verklang.
»Gracias«, sagte Humberto. »Gracias.«
Durch seine Ballade lebte Alexzander weiter und die Mexikaner kannten seinen Namen und dachten an die vielen rühmlichen Opfer, die über fünf Jahrzehnte zuvor vom treuen Volk des Landes im Kampf gegen die bleichen Texaner erbracht worden waren. Dem Künstler wurde warm ums Herz, als er sah, wie sich zwei Achtzigjährige feuchte Spuren von ihren runzligen Wangen wischten.
»Bonita cantando«, lobte eine faltige Siebzigjährige, die die langgezogenen Hälse zweier schwarzer Hennen in ihrer gebräunten Faust gepackt hielt.
Gold- und Silberpesos klimperten und bedeckten das blaue Filzfutter des Guitarritakoffers, den Humberto zuvor am Fuß des Galgens aufgestellt hatte. Zu seinen Wohltätern sagte der Balladensänger: »Gracias. Amigos, gracias.«
Die Menge war nicht groß genug, um eine bedeutende Geldsumme zusammenzubringen, aber Humberto machte sich nicht allzu viele Sorgen. Die Reiter aus Amerika würden seinen finanziellen Problemen bald ein Ende bereiten.
Gringa Madre
Der Mann, der nach Fischinnereien roch, drückte die Nasenlöcher der Frau zu und verschloss ihren Mund mit der Handfläche seiner anderen Hand. Sein nackter Bauch schleifte nach Norden und Süden über ihren Unterleib wie eine haarige Nacktschnecke, die eine Spur aus saurem Schweiß hinterließ. Zwischen den Beinen der Frau brannte ein Feuer.
Im Bemühen, den Mann, der nach Fischinnereien roch, zu einem schnellen Höhepunkt zu bringen, bäumte sie sich auf. Sie war sicher: Sobald er einmal seine Körperflüssigkeiten vergossen hatte, würde er sie loslassen, sich entschuldigen und reumütig werden. Es war nicht das erste Mal, dass er sie würgte. Der Mann sah zu, wie ihre gebissenen Brüste wogten, und murmelte: »Madre.« Die Frau, eine Gringa, die zehn Jahre jünger war als er, wusste, dass es das spanische Wort für »Mutter« war.
Eine volle Minute ohne Luft verstrich.
Der Schmerz zwischen den Beinen der Frau wurde stärker und die Wunden auf ihrem Rücken schrien auf. Im Inneren ihrer misshandelten Hülle erstickte sie. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen, während der Mann in sie hinein hämmerte.
Obwohl nichts Reizvolles an dem Leben war, das sie jetzt führte, wollte die Frau nicht unter einem stinkenden Mistkerl sterben, der ihr Dahinscheiden erst bemerken würde, wenn ihre Körpertemperatur der Kälte des unterirdischen Raumes entspräche. Ihr Tod sollte eine größere Bedeutung haben.
»Gringa madre.«
Der ganze Körper der Frau pulsierte im Einklang mit ihrem verzweifelten Herzen und ihre sauerstoffhungrige Lunge brannte.
»Madre.« Der Atem des Mannes ging schneller und sein fettiger Bauch quietschte über ihren Unterleib, schwang von Nord nach Süd.
Die Frau spürte, wie ihr das Herz im Hals schlug.
»Gringa madre.« Der haarige Bauch quietschte.
Die Frau verlor das Sehvermögen und schlug dem Mann ins Gesicht, so hart sie konnte.
Heiße Flüssigkeit ergoss sich in sie.
Die Hände, die ihren Mund und ihre Nase verschlossen, zogen sich zurück.
Sie schnappte nach Atem. Kalte Luft strömte in ihre brennende Lunge. Nach zwei tiefen Zügen konnte die Frau wieder sehen, verschwommen und mit aufblitzenden Lichtkugeln vor den Augen.
»Entschuldigung«, sagte der Mann, der nach Fischinnereien roch.
Die Frau begann zu husten.
»Keine Keime.« Um seine Sicherheit besorgt zog der Mann sein abschwellendes Glied aus ihr und stand vom Bett auf.
»Gottverdammt.« Die Frau presste ihre zerschrammten Beine zusammen.
Der Mann zog seine rote Hose an, band sich einen Seilgürtel um die Taille, schlüpfte mit den Füßen in ein Paar Sandalen aus Leder und Holz, ging zu einer Nische hinüber, griff hinein, durchwühlte seine Habseligkeiten, zog eine flache Flasche heraus und brachte sie der Frau. »Bebes.« Er stellte ihr das Gefäß auf den Bauch. »Gutes Getränk.«
Die Frau begutachtete den hölzernen Flachmann, in den das Wort oder der Name »Coco« eingraviert war, zog seinen Stopfen heraus und nahm einen Schluck. Die Spirituose schmeckte nach fruchtigem Lampenöl, aber sie trank sie, begierig, alles erträglicher zu machen.
Nach ihrem vierten Schluck zog sie eine klamme Decke über ihre wunden Extremitäten und sah in Cocos hässliches Gesicht. »No sofocarse.« Sie wusste nicht, wie man: »Schön, Sie kennenzulernen«, auf Spanisch sagte, aber sie kannte: »Nicht ersticken.«
»Entschuldigung.« Am anderen Ende des Holzbettes ließ Coco seinen plumpen Kopf hängen und starrte seine schrecklichen Zehen an, die wie in zwei Fünfergruppen arrangiertes Wurzelgemüse aussahen. Sein Ausdruck war voller Reue.
Die Frau erkannte ihre Chance.
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