Probleme treten besonders in den folgenden Bereichen auf:
Soziale Kommunikation und Interaktion
Emotionale Reziprozität, Gefühle, Interessen und Initiative
Kommunikation, Blickkontakt, Blickverfolgung, Gestik. Mimik und Körpersprache
Spiel und Beziehung zu anderen
Eingeschränkte und wiederholte Verhaltensweisen und Interesssen
Stereotype Bewegungen mit dem eigenen Körper oder Objekten
Festgefahrene Routinen und Interessen
Viele Eltern berichten, dass ihr Kind »in einer eigenen Welt lebt«, mit sich selbst zufrieden ist und ohne erkennbaren Anlass lacht und weint. Es gibt Kinder, die ohne erkennbaren Grund stundenlang weinen und nicht getröstet werden können. Mangelndes Interesse an Erwachsenen und Kindern, fehlende Nachahmung und Ausbleiben von Sprache und normalem Spiel sind oft für Eltern Anlass zum Aufsuchen eines Spezialisten. Nach Definition des »Frühkindlichen Autismus« muss eine autistische Behinderung vor dem Alter von 36 Monaten auftreten (DSM-IV, 1994). Der Höhepunkt der Auffälligkeiten liegt bei dieser Auffälligkeit tatsächlich zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr (Klicpera et al., 2001).
Demgegenüber werden Kinder mit dem »Asperger-Syndrom« meist erst später auffällig, wobei Sonderinteressen, festgefahrene Routinen, ungeschickte Motorik und einseitige Kommunikation oft erste Zeichen für Andersartigkeit sind (Boroson, 2011; Wilkins & Burmester, 2015). Da die Unterscheidung zwischen dem »Asperger-Syndrom« und dem »High Functioning Autism« nicht eindeutig ist, werden diese Begriffe im Folgenden gemeinsam mit dem Ausdruck »Betroffene am oberen Ende des Spektrums« eingesetzt (Noterdaeme, Wried, & Höhne, 2009).
1.4 Was ist für die Prognose von Kindern mit ASS wichtig?
Für die Prognosestellung eines Kindes mit autistischem Verhalten ist es wichtig zu wissen, wie schwerwiegend die autistische Symptomatik ist und ob die mit ihr verknüpften Probleme therapierbar sind. Daneben sind entscheidende Kriterien, wie das Entwicklungsniveau des Kindes ist, ob es funktionale Sprache vor dem Alter von fünf Jahren entwickelt, ob organische Probleme bestehen wie zum Beispiel ein Anfallsleiden und wie sich die therapeutischen, schulischen und familiären Umstände darstellen. Im Allgemeinen gilt eine leichte autistische Problematik als prognostisch günstig bei Kindern mit normaler Intelligenz, funktionaler Sprache, intensiver Förderung zwischen zwei und vier Jahren und Unterstützung durch Therapeuten, Lehrer und Familienmitglieder (Lovaas, 1987; Howlin, 1997; Howlin, Magiati & Charman, 2009). Retrospektive Videoaufnahmen zeigten, dass Kinder mit guter Prognose im Vergleich zu Kindern mit schlechter Prognose bereits bei den Erstaufnahmen spontane Sprache zeigten (Prizant & Wetherby, 1998).
Prognosekriterien für die Entwicklung von Kindern mit ASS
Autistisches Verhalten
Art und Schweregrad der Probleme
Therapierbarkeit
Spezielle Defizite und Fähigkeiten
Entwicklungsniveau
Sprache vor dem Alter von fünf Jahren
Sensorische Störungen
Motivation und Interessen
Organische Auffälligkeiten
Art und Schwere der Probleme
Therapierbarkeit
Komorbide Auffälligkeiten
ADHS
Ängste
Zwänge
Depression
Familie und Fördermöglichkeiten
Optimismus
Förderungsangebote
Finanzielle Situation
Für Individuen am oberen Ende des Autismus-Spektrums waren bisherige Untersuchungen zur Vorhersage der Entwicklung nicht eindeutig. Bei einer Langzeituntersuchung von Farley et al. (2009) von 41 Betroffenen mit normaler oder überdurchschnittlicher Intelligenz zwischen dem durchschnittlichen Alter von 7,2 Jahren zu Beginn der Studie und durchschnittlich 32,5 Jahren am Ende der Untersuchung wurde die Hälfte der Betroffenen als »sehr gut« bzw »gut« eingestuft. Hierbei standen die Diagnose, die kognitiven Fähigkeiten sowie die Selbständigkeit im Vordergrund. Auch innerhalb dieser Gruppe gab es jedoch erhebliche Variation, was voraussichtlich nicht unwesentlich an der Art der therapeutischen Hilfen, dem sozialen Umfeld und den beruflichen Chancen liegt.
Mittlerweile liegen zahlreiche Bücher von Individuen am oberen Ende des Autismus-Spektrums vor, die erfolgreiche berufliche Karrieren gemacht haben, verheiratet sind und sogar Kinder haben (Grandin, 1996). Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Betroffenen selbst mit hohem IQ erhebliche Nachteile bei der Berufsfindung, der sozialen Integration und der Lebensqualität haben (Howlin & Moss, 2012).
1.4.1 Fähigkeits- statt defizitorientiertes Vorgehen
Aber auch in dem Fall, dass die Ausgangs- und Rahmenbedingungen nicht optimal sind, ist es für die Betroffenen mit ASS wichtig, dass ihr familiäres, soziales und therapeutisches Umfeld nicht ihre Schwächen, sondern ihre Fähigkeiten betont und ihre Stärken in die Förderung einbezieht. Weitaus bedeutsamer, da erfolgsversprechender ist es zum Beispiel, ein Kind darin zu bestärken, komplexe Puzzle zu lösen, andere Kinder nachzuahmen, sich spontan mitzuteilen oder auch nur beim »Kuckuck-Bah/Da-Spielen« den Partner anzulächeln, als stattdessen mit endlosen Listen seines Nicht-Könnens alle Beteiligten zu entmutigen. Da positives Denken der Eltern einen entscheidenden Einfluss auf die Prognose des Kindes hat (Durand, 2004), sollten auch die Einstellungen der Eltern und die Fördermöglichkeiten des sozialen Umfeldes mit in die Therapieplanung einbezogen werden. Das Vorhandensein von jüngeren oder gleichaltrigen Modellen und das Spielen mit anderen Kindern ist in vielen Fällen hilfreich (Schuler & Wolfberg, 2000, Wolfberg, 2019).
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