Und eines Nachmittags, als es schon warm genug war, um es sich mit einer Decke auf dem Rasen und meinem zerlesenen Lieblingsband von Jane Austen (Sinn und Sinnlichkeit, ich liebte einfach diese romantischen Liebesgeschichten und den feinen Witz der Autorin, auch wenn Anni darüber immer die Augen verdrehte) gemütlich zu machen, blieb ich vor Schreck stocksteif stehen.
Ich hatte Unkraut in Mamas Gemüsebeet entdeckt. Und nicht wenig! Hier zog sie Salat, Mohrrüben, Erdbeeren und sogar eigene Kartoffeln, irgendeine alte, spezielle Sorte, die man im Laden gar nicht mehr kaufen konnte. Normalerweise war das Beet immer säuberlich geharkt und kein grüner Stängel, der dort nicht hingehörte, hatte eine Chance, zu überleben. Doch nun wucherten eindeutig wilde Pflanzen zwischen den Gemüsesorten meiner Mutter.
Ich beschloss, mein mulmiges Gefühl zu ignorieren. Vielleicht war es ja auch ein gutes Zeichen, dass meine Mutter nicht mehr alles perfekt machen wollte, vielleicht konnte sie sich endlich mal ein bisschen entspannen. Beim Abendessen beobachtete ich sie heimlich genauer, aber sie gab sich wie immer. Trotzdem, ein mulmiges Gefühl blieb irgendwie bei mir.
Zwei Tage später radelte ich früher als sonst von der Schule nach Hause. Schmidtchen, der schmächtige Physiklehrer mit der hohen Stimme, war krank und so blieb uns sein langweiliger Vortrag heute erspart und die letzten beiden Stunden fielen aus. Ich wollte zu Hause nur schnell etwas essen und mich dann wieder mit Anni treffen. Bei dem schönen Wetter hatten wir Lust auf einen Eisbecher bei Mario, dem Italiener mit den besten Eissorten in der Gegend. Die halbe Klasse wollte am Nachmittag dorthin.
Als ich mit meinem Fahrrad schwungvoll um die Ecke bog und in die Einfahrt unseres Hauses fahren wollte, bremste ich allerdings abrupt ab. Etwas war anders. Die Vorhänge des Schlafzimmers meiner Mutter waren ... zugezogen. Mittags. Adrenalin rauschte durch meinen Körper und ich blieb stocksteif mitten in der Einfahrt stehen. Mein Gehirn weigerte sich, zu denken. Weigerte sich, Erinnerungen zuzulassen an die Zeit der Sonnig- und Traurigtage. Als nach Hause kommen manchmal wunderschön und manchmal schrecklich war. Bis es immer schlimm war und sie gar nicht mehr aufstand. Und dann weg war, in der Klinik.
Schlagartig riss ich mein Rad herum, sprang auf und raste los. Ich trat und trat in die Pedale, immer weiter, nur wegwollte ich. Das durfte einfach nicht sein. Es konnte doch nicht alles wieder von vorne losgehen! Mittlerweile lief mir der Schweiß in Strömen über das Gesicht und ich merkte, dass ich unseren Ort schon weit hinter mir gelassen hatte.
Weiter hinten erkannte ich den Hof von Martens Eltern. Er ging in meine Klasse, aber ich hatte wenig mit ihm zu tun. So weit war ich schon gefahren, ohne es zu merken.
Plötzlich hupte es hinter mir laut und durchdringend und ein tuckernder Trecker kam neben mir zum Stehen. Es waren Marten und sein Vater.
„Mensch, Mädchen, träumst du, oder was? Steht hier rum als wär das die Fußgängerzone! Nun mach mal Platz!“, schimpfte Herr Brauer.
Marten sah mich entschuldigend an, ihm war der Auftritt seines Vaters sichtlich peinlich.
Es dauerte lange, bis ich an diesem Tag nach Hause fuhr. Als ich verschwitzt und völlig erschöpft das Rad in die Einfahrt schob, sah ich meine Mutter im Garten über das Gemüsebeet gebeugt. Sie bemerkte mich, fragte aber nichts und widmete sich wieder den Salatköpfen. Sie sah müde aus.
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