JEANETTE
ERAZO HEUFELDER
Der
argentinische
Krösus
Kleine Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule
Vorwort
1898–1930
Ein Reich aus Weizen
Vom Kronprinzen zum Vertrauten des Vaters
Plötzlich Revolutionär!
Doppelleben in Buenos Aires
Der Institutsstifter
Im Visier der politischen Polizei
Krach mit Moskau
Das Mausoleum
Das Wesen von Freundschaft
Stiller Teilhaber im Malik-Verlag
Der Kaufmann von Berlin
Panzerkreuzer Potemkin
Letzte Tage in Berlin
1930–1950
Ende der Getreide-Ära
ROBEMA in Rotterdam
Zwischen politischen Emigranten und Berufsrevolutionären
Auf der Suche nach einer sinnvollen Aufgabe
Ausflug in die Realpolitik
Ein Zeppelin am Himmel über Buenos Aires
Der Erbstreit
Eine für alle Beteiligten schauerliche Geschichte
Wachsende Abhängigkeiten
Die Finanzen
Jakobowicz und der polnische Oberst
Fietje Kwaak
Das New Yorker Institut
Das argentinische Rätsel
Zum Abschied ein Geschenk
1950–1975
Die letzten 25 Jahre
Die Memoiren
Ein glückliches Leben oder nur Glück gehabt?
Anmerkungen
Nachlässe und Archive
Bibliografie
Dank
… aus London, Rotterdam oder Antwerpen kommen Telegramme mit den Notierungen für die Gebietsvertreter von, etwa, Weil Brothers, deren Gewinne über Jahre die Forschungen der Frankfurter Schule finanzierten, die das orthodoxe ökonomische und mechanistische Trugbild von Basis und Überbau zu überwinden trachtete .
SERGIO RAIMONDI, Weil Brothers
»Seit gestern ist der 16jährige Frank Weil, einziger Sohn von Felix, aus seiner ersten Ehe hier. (…) Er erinnert in vielem an seinen Vater in dessen Jünglingszeit, als ich ihn sehr gern leiden mochte. Leider fehlt das beste, die Leidenschaft für die Enterbten und die Revolution .
Aber die Zeit ist heute allerdings eine andere. Wie sollte heute ein Jüngling, auch wenn er Imagination hätte, sich für die Arbeiter, Sozialismus, Kommunismus und Revolution begeistern?«
KARL KORSCH, 13.2.1941, Brief an Paul Mattick
Fukumoto Kazuo drückte auf den Auslöser: Seminarteilnehmer stehend (von links): Hede Gumperz, Friedrich Pollock, Eduard Ludwig Alexander, Kostja Zetkin, Georg Lukács, Julian Gumperz, Richard Sorge, Karl Alexander (Sohn), Felix Weil, unbekannt; vorne sitzend (von links): Karl August und Rose Wittfogel, unbekannt, Christiane Sorge, Karl Korsch, Hedda Korsch, Käte Weil, Margarete Lissauer, Béla Fogarasi, Gertrud Alexander
Es gibt kaum Fotos von Felix Weil (1898–1975). Eines der wenigen, auf denen der Gründer des Frankfurter Instituts für Sozialforschung abgebildet ist, datiert vom Mai 1923. Auf der als Gruppenbild inszenierten Aufnahme ist er der Zweite von rechts in der letzten Reihe. Ein schlaksiger, hochgewachsener, noch etwas knabenhaft wirkender Mann mit schmalem Gesicht und vom Wind zerzausten, in die Stirn fallenden Haaren, der von den anderen auf dem Foto freundschaftlich ›Lix‹ genannt wurde und gerade dabei war, der linken Intelligenz seiner Generation in Frankfurt ein Institut zu bauen. Das Foto entstand während eines in der thüringischen Provinz veranstalteten Diskussionsseminars und liefert eine Momentaufnahme aus der Entstehungsphase dieses Instituts, das ein Jahr später in dem von Felix Weil gestifteten Neubau in der Frankfurter Viktoria-Allee seinen regulären wissenschaftlichen Betrieb aufnehmen sollte. Auf völlig unterschiedliche Weise hat fast jeder der zwanzig Seminarteilnehmer, die sich am Rande eines Feldackers für das Erinnerungsfoto aufgereiht hatten, zur Legendenbildung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung beigetragen: Friedrich Pollock, der es mit Max Horkheimer später leitete. Bertolt Brechts marxistischer Lehrer Karl Korsch. Richard Sorge, der die eingeschlagene wissenschaftliche Laufbahn verließ, um als sowjetischer Meisterspion in die Geschichte einzugehen. Julian Gumperz und Karl August Wittfogel, deren ideologische Entwicklung in entgegengesetzter Richtung verlief und sie zu überzeugten Antikommunisten machte. Und schließlich Felix Weil, der sich höchst kreativ in dem Spannungsfeld von Geld und Geist zu bewegen wusste, wodurch 1924 überhaupt erst die Existenz eines marxistischen Instituts in einer erzkonservativen Universitätslandschaft möglich geworden war. Legenden entwickeln eine Eigendynamik, sind aber im Kern nicht weniger wahr als die historisch verbriefte Lesart der Wirklichkeit. Nur verdrängt im Fall Felix Weils die Legendenbildung – jüdischer Erbe eines Weizenimperiums kann seinen Vater dafür gewinnen, ein marxistisches Institut zu finanzieren –, dass sich Felix Weils Rolle nicht auf die Stiftung einer akademischen Einrichtung an der Frankfurter Universität beschränkte. Der Argentinier Felix Weil unterstützte in Deutschland kommunistische Freunde, sozialistische Gelehrte, linke Theatermacher, Buchverleger und Künstler, beteiligte sich an avantgardistischen Kinoproduktionen und politischen Wissenschaftspublikationen, ließ zur Geschichte der Arbeiter- und Sozialbewegungen forschen und sammeln und baute eine wertvolle marxistische Spezialbibliothek auf – ein geborener Mäzen wie sein Freund, der Maler George Grosz, einmal bemerkte. 1Er pendelte zwischen Ländern und Kontinenten, Gelehrten- und Kaufmannswelt, Großbürgertum und Arbeiterbewegung, war in der Kommunistischen Internationale und in der US-Air Force aktiv. Wie ein eleganter Maßanzug schmiegen sich die Widersprüche einem Leben an, dem die politisch explosive Grundstimmung der Zeit den roten Faden verlieh. Wo immer sich die Möglichkeit bot, griff Felix Weil diesen Faden auf, um mit ihm Verbindungen zum Marxismus zu knüpfen. Er war Mittelsmann und Netzwerker, und er sah sich als Macher, nicht so sehr als Denker. 2So erklärt es sich auch, dass ein Buch über den Gründer eines Instituts, das die Zeit des Nationalsozialismus im Exil überlebte und in der BRD unter dem Namen Frankfurter Schule berühmt werden sollte, ohne Exkurs auf die Theoriegeschichte dieses Instituts auskommt. Nach dem Tod Max Horkheimers im Jahr 1973 schrieb Felix Weil einen Brief an den Spiegel , in dem er um eine Richtigstellung bat: Im Nachruf auf Horkheimer hatte das Nachrichtenmagazin erwähnt, dass er – Weil – und andere im Institut im New Yorker Exil eine Heimstatt gefunden hätten. Weil wies den Spiegel darauf hin, dass er als gebürtiger Argentinier nie Deutscher und in New York somit auch nie ›Refugee‹ gewesen sei. »Wenn also von einer ›Heimstatt‹ geredet werden kann«, schrieb er, »so fand nicht ich eine beim Institut, sondern es bei mir, denn ohne meine neue Gabe von 100.000 Dollars hätte es nicht weiterbestehen können.« 3Felix Weil war ›the man with the money‹, 4der – radikalisiert durch die revolutionäre Stimmung nach dem Zusammenbruch der wilhelminischen Ära – die Weimarer Kultur dort förderte, wo sie links und politisch war, und auf diese Weise mitprägte, was zum Bleibenden und Gültigen dieser Epoche gehört. Immer am Puls der Zeit und überall die produktivsten Geister an sich ziehend.
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