»Ja, die arme Frau. Eigentlich war es ein Mord«, stellt Sophie fest. »Auch wenn die Anruferin das vielleicht nicht so krass gewollt hat.«
»Wer Liselotte Hagemeister kannte, konnte aber damit rechnen. Die wusste sich nicht anders zu helfen. Sie war auch ein bisschen naiv und ziemlich einfach gestrickt.«
»… sonst wäre sie auf diesen Mist auch nicht hereingefallen«, stellt Anne fest.
»Und gerade deshalb finde ich das gemeine Miststück.« Berta ist schon auf dem Kriegspfad. »Morgen gehe ich erst mal zu Brigitte und sehe mir den Brief selbst an. Polizei können wir uns sparen, dazu braucht man Menschen- und Ortskenntnis.«
Am Strand ist nichts mehr zu tun. Arno Potenberg hatte keine Lust, mit Plötz in der Hütte herumzusitzen, er wollte lieber bei Sophie sein. Im Moment läuft es mit den beiden gerade wieder ganz gut. Sophie ist jetzt Mitte fünfzig und die Routine, die sich in ihrer Beziehung entwickelt und die sie als langweilig gefürchtet hat, empfindet sie inzwischen als angenehm. Sie braucht keine Aufregung und kein Herzklopfen mehr, für Abwechslung in ihrem Leben sorgen ihre Pension und Tante Berta. Arno machte sich also auf den Weg zu Sophie, Paul beschloss, seinen Kollegen zu begleiten.
Jetzt sitzen sie beide am Stammtisch. Der alte Fischer trägt zwar immer noch seine Cordhosen, aber auf dem karierten Hemd sind heute mal keine Fischschuppen. Und er hat die grauen Haare sorgfältig gekämmt. Arno hat sich umgezogen. Der dunkelblaue Pullover, den er über einem Hemd trägt, betont seinen Wikingertyp.
Berta sieht auf die Uhr. »Für Grog ist es noch zu früh«, stellt sie fest, »für Bier auch. Wir trinken Kaffee.«
»Ohne Kuchen?«, mault Plötz, der sich zwar hauptsächlich von Fisch und Kartoffeln ernährt, aber auch gern mal was Süßes isst.
»Tut mir leid«, sagt Sophie. »Wir haben gerade gar keinen Kuchen da. Soll ich schnell was holen?«
»Lass mal, ich weiß was Besseres. Fangt ruhig schon an!«, entgegnet Berta.
Während ihre Nichte die beiden Männer, Anne und sich selbst mit Kaffee versorgt, geht die alte Köchin in die Küche. Zehn Minuten später kommt sie mit einem Tablett in der Hand wieder. »Hier«, sagt sie und stellt es auf dem Tisch ab, »frisches, warmes Weißbrot. Ich hab es noch mal in den Ofen geschoben. Mit Butter und Honig schmeckt das besser als jeder Kuchen.«
»Tante Berta, das war gemein«, stöhnt Anne nach einer halben Stunde und streicht sich theatralisch über den Bauch. »Weißt du, wie viele Kalorien wir uns da gerade reingepfiffen haben?«
»Ach was, Hauptsache, es hat geschmeckt.«
»Hast du eigentlich was Neues über die Einbrüche herausgefunden?«, fragt Plötz und schiebt seinen Teller beiseite.
»Ach siehst du, das wollte ich dir doch erzählen«, fällt Arno ein, bevor Berta antworten kann. »Ich habe mich ein bisschen umgehört. Bei uns im Dorf ist auch ein paar Mal eingebrochen worden. Und stell dir vor, wenn man nachfragt, stellt sich heraus, dass es alles Gäste von euch waren.«
»Scheiße!«, entfährt es Sophie. »Du willst doch nicht sagen, …?«
»Das kann natürlich Zufall sein«, beschwichtigt Arno. »Wenn die Einheimischen essen gehen, dann entweder beim Chinesen, beim Griechen oder sie kommen zu euch. Also war fast jeder aus dem Dorf schon mal hier. Und die meisten wissen ja eben nicht genau, wann der Einbruch passiert ist, weil sie erst später gemerkt haben, dass etwas weg ist. – Aber«, fügt er betont hinzu und sieht Berta eindringlich an, »eine Familie weiß genau, dass sie bei euch gegessen hat, als jemand in ihrem Haus war. Die Frau wollte gleich, als sie zurückgekommen sind, ihre Ohrringe in ein Schmuckkästchen legen und das war leer. Zwei Stunden vorher, als sie den Schmuck rausgenommen hat, lagen noch ein wertvolles goldenes Armband und eine Bernsteinkette drin.«
»So«, nickt Berta beinahe zufrieden, »da haben wir die Bescherung. Ich habe es geahnt. Also, wer steckt dahinter und vor allem, wie macht er es?«
»Mir fällt Gesa Huber dabei ein«, erklärt Paul. »War da nicht mal was vor dreißig, fünfunddreißig Jahren? Da hing sie doch drin, oder?«
»Ja«, gibt Berta zu. »Ich habe es Sophie und Anne schon erzählt, obwohl ich eigentlich nicht mehr darüber reden wollte. Ich dachte, es wäre vorbei und verjährt. Aber wenn das nun wieder passiert – die Ähnlichkeit ist schon auffallend.« Sie berichtet, wie Gesa damals Kollegen die Wohnungsschlüssel aus der Tasche gestohlen hat und bei ihnen zu Hause eingebrochen ist, während die gearbeitet haben. »Ich habe sie erwischt. Aber angezeigt hab ich sie dann doch nicht. – Ja, ich weiß«, wehrt sie die verständnislosen und empörten Bemerkungen der anderen ab, »ich hätte es tun sollen, aber sie tat mir eben leid. War schon immer ein armes Würstchen, unglücklich und unzufrieden, hat nichts auf die Reihe bekommen. Und dann hatte sie ja die Kleine, die war gerade ein oder zwei Jahre alt. Sie hat sich bei allen entschuldigt und alles zurückgegeben. Ich hab dann aufgepasst und es ist auch nicht wieder passiert.«
»Du denkst aber auch, dass du immer alles weißt«, stänkert Plötz, der Einzige in der Runde, der es wagt, Bertas Kompetenz wenigstens hin und wieder einmal anzuzweifeln. »Vielleicht hat sie sich danach nur geschickter angestellt. Außerdem hat sie ja nicht nur geklaut. Sie hat auch Leute erpresst. Sogar Fischer. Kollegen von uns. Das weiß ich genau. Sie hatte nämlich eine Zeit lang was mit Cuno, bevor der geflüchtet ist. Der Dussel hat sich schön von ihr ausfragen lassen. Vielleicht ist er ja sogar ihretwegen abgehauen.«
»Und so was sitzt bei uns am Stammtisch?«, empört sich Sophie. »Also ehrlich, Tante Berta!«
»Wo soll sie denn sonst hin?« Da sie selbst merkt, dass dieses Argument nicht zieht, fährt die Alte schnell fort: »Jedenfalls kann sie diesmal nicht die Einbrecherin sein. Wie hätte sie das machen sollen? Gut, sie hätte den Gästen die Schlüssel aus der Tasche klauen können. Aber wie weiter? Uns wäre doch aufgefallen, wenn sie zwischendurch mal eine Stunde verschwunden und dann wiedergekommen wäre. Und zurückbringen musste der Dieb die Schlüssel, die waren ja nicht weg.«
Eine Zeit lang denken sie schweigend nach.
»Vielleicht ist es doch ein Zufall und hat gar nichts mit uns zu tun?«, hofft Sophie unsicher.
Berta zuckt mit den Schultern. »Kann sein, glaub ich aber nicht. Lasst uns mal alle Möglichkeiten durchgehen!«
»Evelin?«, wirft Anne ein. Der Kellnerin würde sie so ein perfides Verhalten zutrauen. Außerdem ist sie Gesas Tochter. »Gesa könnte ihr doch davon erzählt haben und nun macht sie es nach.«
»Ja, das wäre naheliegend«, gibt Berta zu. »Aber wenn es passiert ist, während die Leute hier gegessen haben, hat Evelin ein Alibi. Sie kann nicht zwischendurch verschwinden, ins Dorf fahren und eine Wohnung ausrauben, ohne dass wir es bemerken.«
»Stimmt. Was ist mit Ben?«, überlegt Sophie, obwohl es ihr unangenehm ist, ihre Angestellten zu verdächtigen. Aber wenn es einer von ihnen war, wäre Ben ihr noch am liebsten. »Sonst ist doch abends keiner mehr da. Die Zimmerfrauen sind schon nachmittags weg und Renate …«
Berta schüttelt unwillig den Kopf. »Wenn wir nur genau wüssten, an welchen Tagen die Einbrüche stattgefunden haben«, denkt sie laut nach.
»Den einen Tag weiß ich«, wirft Arno ein. »Als meiner Nachbarin der Schmuck geklaut wurde, war das am 23. August. Da hatten die nämlich Hochzeitstag, am gleichen Tag wie meine Eltern.«
»Jetzt erinnere ich mich«, fällt Sophie ein. »Das sind sehr nette Leute. Der Mann hatte den Tisch bestellt, er wollte noch extra Blumenschmuck haben. Er hat gesagt: ›Meine Frau hat Hochzeitstag.‹ Das weiß ich noch.«
»Ja, das war er«, bestätigt Arno. »Die sind wirklich nett. Wäre schon gut, wenn wir herauskriegen, wer die beklaut hat. Vielleicht kriegt sie ihren Schmuck dann wieder.«
Читать дальше