Er erreichte jetzt das obere Ende der Treppe und kam schwankend zum Stehen, dann suchte er auf dem überfüllten Fußweg nach dem Engländer. Sein Atem entwich laut keuchend seinen Lippen und er starrte wütend eine Frau an, die ihn angaffte, als er an ihr vorbeilief.
Daraufhin senkte sie ihren Blick, richtete ihren Hidschab und ging rasch davon.
Abbas schluckte. Wenn er den Engländer verloren haben sollte, würden seine Vorgesetzten wohl kaum Gnade zeigen.
Er schrie vor Erleichterung fast auf, als er den großen Mann auf halbem Weg die Straße hinunter entdeckte. Dessen Tempo war unverändert, obwohl er gerade eine steile Treppe hinaufgestiegen war.
Abbas drängte Passanten aus dem Weg, während er aufzuholen versuchte, und wurde dann erneut langsamer, als er zufrieden feststellte, dass er genau den richtigen Abstand zwischen sich und seinem Ziel erreicht hatte.
Nachdem der Mann England verlassen hatte, hatte es mehrere Wochen gedauert, ihn wieder aufzuspüren, wobei Abbas Vorgesetzte beinahe ihren Misserfolg hatten eingestehen müssen. Sie hatten ihn dann jedoch fast zufällig wiedergefunden, und Abbas hatte eines Abends einen Anruf erhalten, der ihn dazu veranlasst hatte, sofort in Aktion zu treten. Er hatte nie den Hass angezweifelt, den sein Vorgesetzter gegen Dan Taylor hegte, und seine Loyalität sorgte dafür, dass er nun alles in seiner Macht Stehende tat, um dem Mann, zu dem er aufblickte, Gerechtigkeit verschaffen zu können.
Er runzelte die Stirn, als der Engländer nach rechts und damit direkt in den Verkehr hinein abbog, wobei er offenbar darauf vertraute, dass ihm die Fahrzeuge Platz machen würden. Die ganze Körpersprache des Mannes strahlte laut schreiend Selbstvertrauen aus, außerdem wirkte er wütend.
Abbas lächelte schadenfroh. Zumindest hatte der Verlust des Bootes die Stimmung des Mannes getrübt.
Dan wurde nun langsamer, warf einen prüfenden Blick auf seine Uhr und begann dann, die Stufen des Gebäudes hinaufzugehen, das die ganze Seite des Blocks einnahm.
Abbas zog sich in den Schatten eines Vordachs vor einem Café zurück und holte sein Handy aus seinem Gewand. Er starrte einen Teenager, der an ihm vorbeiging böse an, denn der Jugendliche trug komplett westliche Kleidung, bis hin zu einem T-Shirt mit dem Aufdruck einer amerikanischen Universität. Dann gab er eine Kurzwahlnummer ein.
Sein Anruf wurde nach dreimaligem Klingeln angenommen.
Er hielt sich gar nicht erst mit Vorgeplänkel auf, denn das schätzte sein Vorgesetzter am anderen Ende der Leitung überhaupt nicht.
»Er war nicht auf dem Boot, als der Sprengsatz detoniert ist.«
»Was ist schiefgelaufen?«
»Er hat einen Anruf bekommen, als er das Hafengebiet betreten hat, und das hat seine Ankunft auf dem Boot verzögert.«
»Das ist äußerst bedauerlich.« Es folgte eine kurze Pause. »Hat dich jemand dort gesehen?«
»Nein.«
»Wo bist du jetzt?«
»Vor dem Argan Hotel. Er hat den Hafen direkt danach verlassen und ist gerade erst hier angekommen.«
»Checkt er dort ein?«
»Das ist schwer zu sagen. Er hatte nichts bei sich, allerdings war ja alles, was er besaß, auf diesem Boot.«
»Behalte die Situation weiter im Auge. Folge ihm, wenn er geht, und melde dich dann wieder bei mir. Töte ihn, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. Unsere Pläne schreiten zwar trotzdem weiter voran, aber es wäre dennoch besser, wenn Mr. Taylor nicht in der Nähe wäre, um zu versuchen, uns aufzuhalten.«
»Ich verstehe.«
Abbas beendete den Anruf und verstaute das Telefon wieder in seiner Tasche, dann überprüfte er die Umgebung, um sicherzugehen, dass sein Gespräch nicht belauscht worden war, und schlenderte anschließend unter das Vordach eines anderen Cafés, bestellte einen Kaffee und setzte sich an einen der Tische, um anschließend seinen Blick auf die Eingangstüren des Hotels zu konzentrieren.
Er war auf eine lange Wartezeit vorbereitet.
Dan nickte dem Türsteher in seiner Uniform kurz zu, während er über die Schwelle des Fünf-Sterne-Hotels und in die Kühle des Empfangsbereichs trat.
Die Hotelbesitzer hatten vier traditionelle dreistöckige Häuser renoviert, die einen ruhigen Innenhof umschlossen. Dessen Hauptattraktion war ein Springbrunnen in der Mitte der Mosaikbodenfliesen. Daneben stand ein knorriger Arganbaum, dessen ältere Äste in den Mittagsstunden, in denen die Sonne direkt darüberstand, Schatten spendeten.
Die Rezeption lag links neben der Eingangstür, Weinranken wucherten von den darüber liegenden Terrassen herab und bildeten eine ungewöhnliche, aber effektvolle Kulisse.
Dans Stiefel verursachten laute Geräusche auf dem Marmorfußboden, und er scheuchte den Mann, der sofort hinter der Rezeption hervorkam, um sich ihm zu nähern, unwirsch und mit einem vernichtenden Blick weg, weshalb dessen Lächeln augenblicklich verblasste.
Dan befestigte seine Sonnenbrille am Kragen seines T-Shirts, während er den Grundriss des Hotels abzuschätzen versuchte. Dann entdeckte er die Marmortreppe, die sich in der hinteren Ecke der Empfangshalle befand.
Als er den zweiten Stock erreichte, begann er sich zu fragen, ob er hier gerade einen gewaltigen Fehler beging.
Was, wenn das Ganze eine Falle war? Was, wenn David plante, ihn verhaften zu lassen und ihn wieder nach Großbritannien zu verfrachten?
Wer zum Teufel hatte sein Boot zerstört?
Die Treppe endete in der dritten Etage und Dan trat auf einen breiten Flur hinaus, dessen Marmorboden von Sonnenlicht gesprenkelt war, das durch kleine Öffnungen in den Wänden hereinfiel. Das Mauerwerk verlieh dem Raum eine angenehme Kühle, die mit einer ruhigen Gelassenheit einherging, die im starken Kontrast zu der Hitze und der lärmenden Geschäftigkeit draußen, stand.
Von seiner Position aus hatte er freie Sicht auf die Rezeption und die Eingangstür. Der Rest des Hotels schien verlassen zu sein, da all die ausländischen Gäste den Tag über auf Erkundungstour waren.
Er warf einen prüfenden Blick auf seine Uhr. Er hatte zwanzig Minuten gebraucht, um das Hotel zu erreichen, und fragte sich nun, wie sich sein Leben wohl in der nächsten Stunde verändern würde. Falls er es sich anders überlegen wollte, hieß es: jetzt oder nie.
Das Geräusch einer Tür, die sich hinter ihm öffnete, unterbrach seine Gedanken, und er drehte sich sofort kampfbereit um. Doch dann entspannte er sich wieder.
»Mel.«
»Hey.«
Die große, blonde Melissa Harper war eine erstklassige Analytikerin und hatte offenbar, wenn sie gerade mit David hier war, auch noch Agentin im Außendienst zu ihrer umfangreichen Liste von Fähigkeiten hinzugefügt.
Dan umarmte sie kurz. »Der Hut und die Piercings sind ja weg.«
Ein schwaches Lächeln tauchte auf ihren Lippen auf, als sie auf ihre Jeans und ihr T-Shirt herabblickte. »Ein kleiner Kompromiss«, antwortete sie und zuckte dabei mit den Achseln.
Dan nickte. Augenscheinlich hatte sich die Zwanzigjährige bei der Energy Protection Group gut eingelebt. »Was ist los?«
»Nicht hier«, antwortete sie und deutete auf die Türen zu den anderen Hotelsuiten. »Zu viele Ohren. Nun mach schon.«
Sie ging zu der offenen Tür, aus der sie gekommen war, und wartete darauf, dass Dan ihr folgte, dann schloss sie die Zimmertür sorgfältig hinter ihnen.
Ein Mann wandte sich daraufhin vom Fenster ab. Er war etwas kleiner als Dan und sein Haar zeigte bereits erste graue Strähnen. Er streckte seine Hand aus.
»Dan.«
»David.«
Der Leiter der Energy Protection Group deutete auf einen Esstisch, der offenbar als temporärer Kommandoposten eingerichtet worden war. »Sollen wir uns setzen?«
Dan verschränkte die Arme vor der Brust. »Lieber nicht.«
Sein Blick durchsuchte den Raum und er nahm dabei den marokkanischen Einrichtungsstil wahr – Sofas mit Kelim-Kissen, auf denen es sich die Gäste bequem machen konnten, ein farbenfrohes Teeservice aus Glas auf einem niedrigen quadratischen Tisch und helle Teppiche, die den Steinboden bedeckten.
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