Kurze Zeit später fuhr er vom Flughafen aus auf die Autobahn, die nach Süden zur Phosphat-Mine und zu dem Camp führte, wo Anna Collins zuletzt gesehen worden war.
Zehn Minuten später fand er einen Truck-Stop und bog auf den staubigen Parkplatz ab, verriegelte die Fahrzeugtür und betrat den kleinen Laden, wo er sich mit Snacks und einer großen Menge Trinkwasser eindeckte, bevor er seine Fahrt fortsetzte.
Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete, wenn er im Camp angekommen war, oder wann er und Anna es schaffen würden, einen Flug außer Landes zu bekommen … falls er sie überhaupt finden würde.
Er versuchte nicht an die beiden Alternativen zu denken; dass er zu spät sein oder dass sie spurlos verschwunden sein könnte.
Sobald er die Stadt verlassen hatte, führte die Schnellstraße in Richtung Süden und die Landschaft verwandelte sich wieder in felsiges, flaches Gelände. Dan erinnerte sich an ein arabisches Wort aus seiner Zeit im Mittleren Osten – hamada –, das die schroffe Erde und ihre kläglichen Versuche, das Leben zwischen den Steinen und Felsbrocken aufrechtzuerhalten, beschrieb.
Der SUV rumpelte über Schlaglöcher und Risse in der Straße, deren Asphalt durch eine Kombination aus den extremen Wüstentemperaturen und den Lastwagen, die unentwegt zwischen der neuen Mine und der Hauptstadt hin und her donnerten, um die schweren Baumaschinen zu transportieren, aufgebrochen worden war. Hier und da lagen auch tote Füchse und Kaninchen am Straßenrand, Opfer des erhöhten Verkehrsaufkommens.
Dans Finger umschlossen das Lenkrad etwas fester, und er zwang sich, sich auf die vor ihm liegende Straße zu konzentrieren. Er durfte es nicht riskieren, am Steuer einzuschlafen und vor einen der Lastwagen zu geraten, die ihm auf der Gegenfahrbahn entgegenkommen könnten.
Nach zwanzig Minuten machte die Straße einen Bogen nach links und die untergehende Sonne leuchtete jetzt über Dans Schulter auf eine lange Stahlkonstruktion, die sich so weit erstreckte, wie er sehen konnte.
Er stellte fest, dass es das Förderband war, dass das Phosphat-Erz von der bereits vorhandenen Bou Craa Mine bis zum Hafen von Laâyoune transportierte. Laut dem von Mel zusammengestellten Informationsmaterial, hofften die neuen Minenbesitzer, dieses Förderband gegen eine Bezahlung auch zum Transport ihres eigenen Erzes nutzen zu können.
Die Straße machte eine lang gezogene Kurve und folgte dann dem Förderband in südöstlicher Richtung. Die stählernen Türme der Strommasten wechselten von einer Straßenseite zur anderen und lieferten die nötige Energie, um das Förderband Tag und Nacht in Betrieb halten zu können.
Als die Scheinwerfer der Gerüste, die über die Bou Craa Mine hinausragten, am Horizont auftauchten, war die Sonne bereits verschwunden und Dunkelheit umhüllte den SUV von allen Seiten.
Dan hatte komplett vergessen, wie abrupt in der Wüste die Nacht hereinbrach. Es gab keine Dämmerung und kein sanftes Hinübergleiten in die Dunkelheit. Er griff nach vorn und schaltete die Klimaanlage aus, anschließend ließ er die Scheibe hinunter, denn bereits jetzt war die Temperatur draußen deutlich gesunken, und er ahnte, dass er für das Sweatshirt, das er am Flughafen gekauft hatte, noch dankbar sein würde.
Als er sich einer Straßenkreuzung näherte, wurde er langsamer und entdeckte einen Wegweiser, der ihn darauf hinwies, dass die neue Mine sechs Meilen entfernt war. Dan betätigte den Blinker, bog nach links ab und holperte dann mit dem Wagen über die nicht asphaltierte Straße, die die Hauptlast der Baufahrzeuge ertragen musste.
Er blinzelte erschrocken, als hinter einer Kurve plötzlich Scheinwerfer auftauchten und ein anderes Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit genau auf ihn zuraste.
»Was zum Teufel?«
Dan lenkte seinen Wagen zur Seite und fuhr an den Straßenrand, um das andere Auto passieren zu lassen.
Während er das tat, bemerkte er, dass es sich dabei um ein Polizeifahrzeug handelte, dessen beschriftete Wagenseite blitzschnell an seinem Fenster vorbeischoss. Ein zweites Fahrzeug folgte direkt danach, und im Licht der Rückleuchten des vorderen Wagens konnte er das Gesicht des Fahrers sehen … eine Maske der Konzentration.
Dan fluchte, als er erkannte, dass das andere Fahrzeug dem örtlichen Gerichtsmediziner gehörte.
Er lenkte seinen Wagen wieder auf die Straße zurück und drückte dann das Gaspedal durch, woraufhin der SUV förmlich die felsige Oberfläche entlang schoss.
Dan musste kämpfen, um zu verhindern, dass das Fahrzeug auf den losen Steinen und auf dem Schotter ins Rutschen geriet und legte die Entfernung bis zum Lager in nur wenigen Minuten zurück.
Beim Anblick all der blinkenden blauen Lichter auf dem Parkplatz der Unterkunft wurde ihm sofort schwer ums Herz und er atmete heftig, als er den SUV zum Stehen brachte.
Zwei Militärfahrzeuge waren an der Seite geparkt worden und Soldaten lungerten Zigaretten rauchend mit müden Gesichtern herum.
Zu ihrer Linken lagen sechs Gestalten unter weißen Laken, während sich gerade das Fahrzeug eines zweiten Gerichtsmediziners vom Parkplatz entfernte und in Richtung Schnellstraße fuhr.
Dan schaltete die Scheinwerfer aus und beobachtete die Situation einen Moment lang, damit er die Rangordnung unter den Beamten herausfand, die auf dem Grundstück herumliefen, dann zog er die Schlüssel aus der Zündung und legte seine Finger auf den Türöffner.
»Wird schon schiefgehen«, murmelte er und trat in die Nacht hinaus.
Wegen seiner Größe und seines offensichtlich westlichen Aussehens war Dan nur wenige Schritte gegangen, bis ihn einer der Soldaten bemerkte und ansprach.
»Wer sind Sie?«
Dan hielt seine Hände in die Höhe, um den jüngeren Mann zu beruhigen, und ging dann langsam auf ihn zu. »Ich bin von der Eastern Commercial Insurance«, sagte er. »Zwei Personen, die für uns arbeiten, sind hier momentan untergebracht. Haben Sie die beiden gesehen? Was ist denn überhaupt hier los?«
Die Haltung des Soldaten entspannte sich daraufhin etwas, obwohl seine Gesichtszüge immer noch müde wirkten. Er deutete in Richtung seines befehlshabenden Offiziers, der gerade mit einem hochrangigen Polizisten sprach. »Darüber sollten Sie besser mit Captain Bassam reden«, antwortete er.
Dan dankte ihm und ging nun auf die leitenden Beamten zu. Dort wiederholte er seine Vita.
»Captain Amjad Bassam«, sagte der Armeeoffizier und schüttelte Dan die Hand, »und das ist Farid Galal von der Anti-Terroreinheit.«
»Was ist denn los?«, wiederholte Dan seine Frage. »Zwei unserer Mitarbeiter wohnen hier. Ich habe etwas von einem Angriff auf das Lager gehört. Stimmt das?«
»Mr. Taylor«, begann Galal, »ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, dass einer Ihrer Mitarbeiter, Benji van Wyk, bei dem Angriff getötet wurde. Es gab leider viele Opfer.« Er deutete auf die Reihe von Leichen, die darauf warteten, vom Gerichtsmediziner weggebracht zu werden. »Es tut mir sehr leid.«
»Was ist mit Anna Collins? Wo ist sie?«
Galal bewegte sich unbehaglich und warf Bassam einen mahnenden Blick zu.
»Wir wissen es nicht«, antwortete der Captain nach kurzem Schweigen. Er deutete mit dem Kopf auf seine Soldaten. »Wir haben das gesamte Gelände durchsucht, seit es als sicher erklärt worden ist, haben sie aber nicht gefunden.«
Dan schluckte. »Glauben Sie etwa, dass sie entführt worden ist?«
Bassam zuckte mit den Schultern. »Es ist noch zu früh, um etwas Genaueres dazu zu sagen.«
»Aber wenn sie nicht hier ist, dann könnte sie entführt worden sein, oder nicht?«
»Mr. Taylor«, erwidere Galal. »Wir stehen noch ganz am Anfang unserer Ermittlungen. Der Angriff ist erst vor wenigen Stunden geschehen. Wie Captain Bassam Ihnen schon mitgeteilt hat, können wir jetzt noch nichts dazu sagen.«
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