Dan machte auf dem Absatz kehrt und ging wieder zu Galal zurück, der wartend in der Tür stehen geblieben war.
»Ich würde gern meine Leute anrufen«, sagte er und zog sein Handy hervor. »Haben Sie etwas dagegen?«
»Natürlich nicht«, antwortete Galal, »das müssen Sie ja tun.«
»Kann ich mich anschließend noch kurz hier umsehen? Das würde mir bei meinem Bericht helfen«, meinte Dan. »Ich werde Ihren Leuten auch bestimmt nicht in die Quere kommen.«
Der Polizist sah einen Moment lang besorgt aus, schien dann aber einzusehen, dass der schnellste Weg, den Engländer wieder loszuwerden, der war, einfach einzuwilligen.
»Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen«, sagte er schließlich. »Ich sage meinen Männern Bescheid, dass sie Sie unterstützen sollen, falls Sie irgendwelche Fragen haben.«
»Vielen Dank«, antwortete Dan und schüttelte ihm die Hand. »Ich werde auch nicht viel Zeit brauchen.«
»Ich muss jetzt los«, sagte Galal. »Das wird eine lange Nacht werden.« Er nickte kurz und ging dann in Richtung seiner Männer, die vor der Unterkunft gegenüber von Annas Bungalow patrouillierten.
Dan prägte sich ganz genau ein, wo sich die zweite Polizeistreife befand, und begab sich anschließend in den Schatten, um Mels Nummer zu wählen.
»Ich bin’s«, begann er mit lauter Stimme, weil er wusste, dass sich Galal immer noch in Hörweite befand. »Ich bin jetzt im Minencamp. Es ist einfach schrecklich. Benji van Wyk ist tot, und niemand weiß, wo sich Anna Collins momentan aufhält. Du holst mir besser sofort Ludlow ans Telefon, denn ich habe keine Ahnung, was ich machen soll.« Er strich sich mit der Hand über die kurz geschorenen Haare und stellte sicher, dass sein Gesichtsausdruck besorgt genug war, als Galal noch einen verstohlenen Blick in seine Richtung warf.
»Hast du sie gefunden?«
»Negativ«, antwortete Dan, wobei er seine Stimme senkte und Galal im Auge behielt, der gerade seine Männer von den Bungalows weg in Richtung des Rezeptionsbereichs zurückführte. »Hier treiben sich jede Menge Polizei und Mitglieder der Armee herum, aber niemand davon hat sie gesehen.«
»Verdammt. Meinst du, dass sie wirklich entführt wurde?«
»Das Zimmer wurde zwar verwüstet, aber es sieht so aus, als wäre das eher aus Wut geschehen. Das einzige Zeichen für einen Kampf ist ein zerbrochener Spiegel im Badezimmer. Ich würde mehr Schäden vermuten, wenn sie gewaltsam hier herausgeholt worden wäre.«
»Das klingt alles irgendwie eigenartig.«
»Wie ist die derzeitige Situation?«, fragte David und schnitt damit Mels nächste Frage ab.
»Im Moment untersucht ein Forensik-Team van Wyks Zimmer«, antwortete Dan. »Sieht ganz so aus, als würden sie Annas vorerst links liegen lassen. Sie scheint irgendwie keine Priorität für sie zu haben. Draußen vor dem Camp liegen noch sechs weitere Leichen und drei Krankenwagen haben den Tatort bereits verlassen, sodass ich mir vorstellen kann, dass es im Krankenhaus von Laâyoune auch mehrere Verletzte gibt, mit denen wir uns ebenfalls beschäftigen sollten.«
»Wie ist dein Plan?«
»Ich werde mich jetzt erst mal weiter umsehen. Hier stimmt irgendetwas nicht, aber ich kann noch nicht genau sagen, was.«
»Glaubst du, die Angreifer sind noch immer in der Gegend?«, fragte David.
»Vielleicht. Im Moment patrouilliert die Polizei in diesem Teil des Lagers, aber du weißt ja so gut wie ich, dass Terroristen die Angewohnheit haben, sich gern länger in der Umgebung ihrer Anschläge herumzudrücken, für den Fall, dass sie noch mehr Schaden anrichten können.«
»Apropos falscher Ort zur falschen Zeit«, warf Mel ein. »Alles, was Anna tun sollte, war, die Lieferanten der Minengesellschaft zu überprüfen.«
»Davon bin ich ehrlich gesagt nicht überzeugt«, entgegnete Dan. »Van Wyks Sachen wurden durchsucht. Er war geschäftlich hier, oder? Also sollte es einen Laptop und ein Handy geben, aber nichts davon ist da. Die Vertreter von Polizei und Armee konnten mir nicht sagen, warum. In Annas Zimmer ist es das gleiche … keine Spur von einem Computer. Welche Sorte Terrorist stiehlt einen Laptop?«
»Woran denkst du?«, fragte Mel.
»Das war kein Fall von falschem Ort oder falscher Zeit«, erklärte Dan. »Alle anderen wurden nur erschossen, um es wie einen zufälligen Terrorakt aussehen zu lassen. Das war ein gezielter Angriff. Sie haben in Wirklichkeit nur nach Anna und Benji gesucht.«
Galal brüllte seinen Männern einen Befehl entgegen und schickte sechs von ihnen in Richtung der Gästeunterkünfte.
Als er kurz zuvor ohne den Engländer im Schlepptau zurückgekehrt war, war Amjad Bassam fuchsteufelswild geworden.
»Er könnte für die Medien arbeiten«, hatte er geknurrt.
Der Polizist hatte den Kopf geschüttelt. »Nein, dafür hat er die falsche Art von Fragen gestellt«, behauptete er. »Außerdem ist er kein Entscheidungsträger. Bevor ich gegangen bin, hat er seinen Vorgesetzten angerufen. Er kann uns nicht schaden.«
Der Armee-Captain hatte das Gespräch daraufhin abgebrochen und war zu seinem eigenen Team zurückgekehrt, das sich nun langsam durch die Menge arbeitete und Zeugen befragte.
Galal kratzte abwesend an einem Mückenstich auf seinem Unterarm, während seine Gedanken rasten.
Das Verschwinden der Frau war unerwartet und besorgniserregend. Es war nicht Teil des Originalplans gewesen und jetzt, wo ihr Kollege tot war, konnte ihnen niemand mehr sagen, wo sie sich aufhielt.
Die Mitarbeiter des Camps hatten bestätigt, dass beide zur gleichen Zeit angekommen waren und seine Männer hatten den Fahrer bereits verhört, der sie einige Stunden zuvor, nach ihrem überstürzten Aufbruch aus den Büros der Minengesellschaft hier abgesetzt hatte.
Anna Collins war also, nachdem sie die Mine verlassen hatte, definitiv irgendwann hier im Camp gewesen. Die einzige Frage war: Wo steckte sie jetzt?
Er hatte seine Männer losgeschickt, um in der Nähe der Bungalows zu patrouillieren, denn er wusste genau, sollte er Taylor weiter bedrängen, würde er dessen Verdacht erregen und der Mann könnte sich daraufhin fragen, was wirklich im Minencamp vorgefallen war. Stattdessen hatte er dem Mann etwas Raum gegeben, in der Hoffnung, dass dieser herausfinden würde, wo die Frau steckte.
Falls sie wirklich geflüchtet war, hätte sie doch bestimmt ihre Kollegen angerufen und ihnen mitgeteilt, dass sie in Sicherheit war, oder etwa nicht?
Sobald er allein war, zog Galal ein Handy hervor, das ihm nicht von der Abteilung zur Verfügung gestellt worden war, und rief eine Nummer an, die er auswendig gelernt hatte.
»Ich bin's«, sagte er einleitend. »Wir haben vielleicht ein Problem. Die Frau ist den Angreifern entkommen, und jetzt ist plötzlich ein Engländer aufgetaucht. Er sagt, er ist von der Versicherungsgesellschaft, für die die Frau gearbeitet hat. Er hat Fragen gestellt.«
Er hörte dem Mann am anderen Ende der Leitung zu und kniff die Augen immer mehr zusammen, als er sich anstrengte, um den starken Akzent zu verstehen.
»Ich lasse meine Männer gerade in der Umgebung patrouillieren«, sagte er außerdem. »Sie werden ein Auge auf ihn haben.«
Er schwieg und ging dann neben dem Armee-LKW auf und ab. »Ich verstehe«, antwortete er. »Wenn Ms. Collins wieder auftaucht, sorge ich dafür, dass man sich unverzüglich um die Angelegenheit kümmert. Dauerhaft.«
Galal beendete den Anruf und fluchte leise.
Er war davon ausgegangen, dass er beim Verbergen seiner Spielsucht vorsichtig genug gewesen war. Er war immer darauf bedacht gewesen, dass niemand innerhalb der Polizei je seine Schwäche entdeckte.
Jetzt wünschte er sich, er wäre niemals gezwungen gewesen, dem Syndikat beizutreten.
Das Glücksspiel hatte die Monotonie in seinem Leben für eine Weile abgeschwächt, bevor die Männer, die jede Woche mit ihm Karten spielten, begonnen hatten, ihre Zurückhaltung aufzugeben und seine Schwäche zu ihrem Vorteil auszunutzen.
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