Doch er beachtete all das nicht weiter und ging jetzt quer durch den Raum zum Fenster, stellte sich daneben und schob den Vorhang leicht zur Seite.
Im gegenüberliegenden Gebäude entdeckte er im Erdgeschoss mehrere Cafés und eine internationale Fast-Food-Kette. Die Tische und Stühle waren von Einheimischen und Touristen besetzt und ein weiteres Hotel nahm die oberen beiden Etagen in Beschlag. Dan ließ seinen geübten Blick über die Fenster auf der anderen Seite gleiten und stellte fest, dass sie alle verschlossen waren.
»Ich bin überrascht, dass du niemanden hier hast, der dir den Rücken freihält«, sagte Dan.
»Du bist in manchen Kreisen zwar ein gesuchter Mann, Taylor, aber doch keine Bedrohung.«
»Wessen brillante Idee war das eigentlich? Deine?«
»Wie ich bereits sagte, war es der General persönlich, der dich vorgeschlagen hat, und der Premierminister hat zugestimmt.«
»Er will wohl wirklich nicht, dass ich es lebend zurück nach Großbritannien schaffe, oder?«
»So ist das nicht, Dan. Er versucht nur zu helfen. Trotz allem, was passiert ist, hat er wohl eingesehen, dass das, was sein Vorgänger mit dir gemacht hat, falsch war.«
»Du meine Güte … ein Politiker mit einem Gewissen?«
David seufzte. »Sei bitte nicht so sarkastisch.«
Dan starrte durch das Fenster auf den Gehweg hinunter und beobachtete zwei Mädchen, die gerade am Hotel vorbeigingen. Nach ihren nackten Beinen zu urteilen wahrscheinlich europäische Touristen. »Was hat das alles mit mir zu tun?«
»Der jetzige Premierminister ist der Einzige, der die Macht besitzt, jede strafrechtliche Verurteilung gegen dich sofort aufzuheben«, erklärte David. »Alle anderen müssen sich danach an das offizielle Protokoll halten. Er weiß genau, wozu du in der Lage bist und unter welchen Umständen du das Land verlassen hast.«
»Also will er mich bestechen, damit ich ihm helfe?«
»Sieh es doch endlich ein, Dan. Er ist deine einzige Chance. Du hast die Dinge durch deine Flucht ja nicht gerade einfacher gemacht.«
Dan fluchte. »Wenn ich es tue, kannst du dann herausfinden, wer mein Boot zerstört hat?«
»Du kannst dich selbst darauf konzentrieren, wenn du Anna gerettet hast und sie in einem Flugzeug zurück in die Vereinigten Staaten sitzt.« Er ignorierte den ungläubigen Blick, den ihm Dan jetzt mit blitzenden Augen zuwarf. »Ich werde mich erkundigen und sehen, ob ich hier jemanden dazu bringen kann, eine Untersuchung einzuleiten, während du weg bist. Das wird dir einen Vorsprung verschaffen, okay?«
Dan schloss die Augen und zwang sich, nicht vor lauter Verärgerung loszufluchen. David hatte ihn in die Ecke gedrängt und wusste es.
»Schau mal, das wird auch für die Energy Protection Group eine gute PR sein«, fuhr David fort. »Es wird zeigen, dass wir als Auftragnehmer auch Aufgaben der Special Forces erledigen können, und nicht einfach nur eine Abteilung sind, die der Regierung untersteht.«
Toll , dachte Dan. Noch mehr verdeckte Operationen.
Er stöhnte und wandte sich vom hellen Sonnenlicht ab, dann blinzelte er mehrmals, um seine Augen wieder an das gedämpfte Licht des Hotelzimmers anzupassen. »Okay, du hast gewonnen. Ich werde es machen«, sagte er.
»Ausgezeichnet. Ich lasse es den Premierminister sofort wissen.«
»Ich tue das nur, weil es die Tochter des Generals ist.«
»Natürlich.«
»Leute? Können wir den ganzen Hickhack jetzt beenden?«, unterbrach sie Mel. »Da ist immerhin eine Jungfrau in Not, die gerettet werden muss.«
Dan drehte sich zu ihr um und hob die Augenbrauen. »Du solltest vielleicht wissen, dass Anna Collins eine der besten zivilen Scharfschützen ist, die ich jemals im Leben gesehen habe«, sagte er. »Ich würde sie also lieber nicht als Jungfrau in Nöten bezeichnen.«
»Wie auch immer«, antwortete Mel und zeigte auf ihren Computerbildschirm. »Komm hier rüber und sieh dir die Informationen an, die ich bereits für dich zusammengestellt habe.«
Dan zog sich einen Stuhl heran und setzte sich mit einem entnervten Seufzer zu ihr. Er wollte Anna ja helfen, doch er wünschte sich, er würde direkt mit dem General verhandeln können und nicht wieder Befehle von David entgegennehmen müssen. Die Art und Weise, wie der Mann Informationen immer nur stückchenweise rausrückte, war ihm schon bei ihrer letzten Zusammenarbeit unfassbar auf die Nerven gegangen, und es schien so, als ob sich in der Zwischenzeit nichts daran geändert hätte.
Mel drehte ihren Laptop-Bildschirm so, dass Dan ihn ebenfalls sehen konnte. »Vor drei Wochen sind Anna Collins und ihr Kollege Benji van Wyk in der Westsahara angekommen und vom internationalen Flughafen Laâyoune zu diesem neuen Minen-Entwicklungsstandort hundert Meilen östlich der Stadt gefahren.«
»Was befindet sich dort genau?«
»Eine neue Phosphat-Mine«, antwortete David. »Äußerst umstritten, da Marokko einem amerikanischen Auftragnehmer die Schürfrechte auf einem Gebiet überlassen hat, das es nach dem Völkerrecht illegal besetzt hält.«
»Die Schürfrechte wurden auf der Grundlage gewährt, dass die marokkanische Regierung jeden Gewinn zugunsten der sahrauischen Bevölkerung, die in der von Marokko besetzten Westsahara lebt, verwenden würde«, fügte Mel hinzu. »Aber wenn die Vergangenheit eines gezeigt hat, dann, dass sie die Gewinne wahrscheinlich dazu benutzen werden, stattdessen ihre militärische Präsenz in dem Gebiet zu verstärken.«
»Warum waren Anna und ihr Kollege überhaupt dort?«
»Anna arbeitet für eine forensische Buchhaltungs- und IT-Organisation mit Sitz in Rotterdam«, erklärte David. »Sie ist seit ihrem Universitätsabschluss dort tätig. Die Organisation ermittelt in Betrugsfällen und Finanzdiebstählen bei Unternehmen auf der ganzen Welt.«
»Ich habe mit ihrem Geschäftsführer gesprochen«, sagte Mel. »Der Bergbau-Unternehmer, der die Phosphat-Mine erschließt, hatte Aufträge für Ausrüstungen mit langer Lieferzeit erteilt, die für den Bergbau-Betrieb benötigt werden. Insbesondere für einen Schürfkübel-Bagger, der mehrere Millionen Dollar gekostet hat und mit dem an der Abbaustelle Erde und Steine von den Wänden weggekratzt werden sollten, um die Phosphat-Adern freizulegen.«
»Was ist passiert?«
»Das Computersystem der Minengesellschaft wurde gehackt, und leider haben sie es erst bemerkt, als es bereits zu spät war«, antwortete Mel. »Sie haben die zweite Meilensteinzahlung für die Ausrüstung veranlasst, doch diese ging nie auf dem Bankkonto des Lieferanten ein.«
»Das Ganze ist vor zwei Monaten geschehen«, sagte David. »Als die Buchhaltungsabteilungen in den beiden Unternehmen erkannt haben, was passiert ist, war es natürlich bereits zu spät. Der Bergbau-Unternehmer kontaktierte daraufhin seine Versicherer und das FBI, um den Diebstahl zu melden.«
»Und wie ist Anna in die Sache hineingezogen worden?«, fragte Dan.
»Die Versicherer des Bergbau-Unternehmens haben die Untersuchung an Annas Arbeitgeber abgegeben«, erklärte David, »denn sie gelten als Experten auf ihrem Gebiet. Anna und Benji wurden anschließend beauftragt, dem Geld zu folgen, um herauszufinden, wohin es verschwunden ist und welche Finanzinstitutionen möglicherweise dazu verwendet wurden, um die Gelder durchzuschleusen. Ein Teil ihrer Untersuchung bestand darin, die Mine zu besuchen und das beteiligte Personal zu befragen, um eine Zeitleiste aufzubauen und herauszufinden, wie das System durchbrochen werden konnte. Van Wyk war der technische Guru, Anna war für die finanzielle Seite der Untersuchung zuständig.«
»Und warum um alles in der Welt ist sie jetzt auf der Flucht?«
»Der General hat heute früh, kurz nach neun Uhr Ortszeit, eine Nachricht von Anna auf seine Mailbox erhalten. Er hat die Nachricht leider erst dreißig Minuten später abhören können. Alles, was Anna ihm sagen konnte, war, dass sie in Schwierigkeiten steckt. Mel, hast du eine Kopie der Original-Nachricht?«
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