1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 Amalie war die Stütze der Familie, sowohl in finanzieller als auch moralischer Hinsicht. Der Vater hatte noch immer keine feste Anstellung, obwohl sie ihm seit Jahren zugesichert worden war und sollte mit einem mickrigen Gulden und 24 Kreuzern am Tag auskommen. Der Bruder besuchte das Gymnasium; die beiden jüngsten Schwestern waren noch halbwüchsige Teenager. Diese familiäre Situation war für sie offenbar ein wichtiger Grund, weiter auf der Münchner Bühne zu spielen. Am Abend ihrer Vertragsunterzeichnung gab sie erneut die Amalie in Kotzebues »Taschenbuch«, eben jenem Lustspiel, in dem sie anlässlich ihres Probeauftritts im Dezember 1823 bereits geglänzt hatte. Das Münchner Publikum und die Zeitungskritiker dankten ihr die Treue: »Dlle [Demoiselle] Stubenrauch überraschte das Publikum durch ihre Darstellung der Olga auf die angenehmste Weise. Sie hatte den Charakter dieses weiblichen Engels mit tiefer Empfindung in sich aufgefaßt, und brachte denselben lebendig, seelenvoll und in seiner edlen Urgestaltung uns wieder zur Anschauung«, hieß es nach der ersten Aufführung von Ernst Raupachs Trauerspiel »Isidor und Olga«. 79 Und nach der Aufführung von Ifflands »Der Spieler« urteilte die Zeitschrift »Eos«: »Dlle Stubenrauch als Baronin von Wallenfeld war dießmal besonders gut und deutlich.« 80
Über dreißig Mal sah man Amalie im Laufe des Jahres 1827 noch auf der Münchner Bühne: in altbekannten Rollen wie der Lady Nottingham in »Essex«, der Kunigunde in Joseph Marius von Babos Trauerspiel »Otto von Wittelsbach«, als Dorothea in »Hermann und Dorothea«, einem idyllischen Familiengemälde in vier Akten von Carl Töpfer nach Goethes gleichnamigen Gedicht, als Kordelia in »König Lear«, als »Minna von Barnhelm« oder in Neueinstudierungen wie Kotzebues »Bayard« als Miranda, in Ignaz Franz Castellis »Die Waise und der Mörder«, in »Der entführte Offizier« als Gräfin Dorset, als Editha Plantagenet in »Der Löwe von Kurdistan«, einem romantischen Schauspiel nach Walter Scotts Roman »Talisman«, und immer wieder als Irene in Eduard Schenks romantischem Trauerspiel »Belisar« – eine Rolle, in der sie in München am häufigsten zu sehen war, und in der sie später auch auf anderen Bühnen brillieren sollte.
»Belisar«, ein romantisches Trauerspiel in fünf Aufzügen von Eduard Schenk (später von Schenk), war eines der meistgespielten Stücke in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in München, das sogar mehrfach als Oper vertont wurde. Eigentlich war Schenk promovierter Jurist und ein hoher bayerischer Staatsbeamter, oberster Kirchen- und Schulrat, doch bekannt wurde er vor allem durch das am 23. Februar 1826 am Münchner Hoftheater mit überwältigendem Erfolg uraufgeführte Drama.
Bereits bei der Uraufführung der gleichermaßen rührseligen wie heroischen Geschichte um den byzantinischen Feldherrn Kaiser Justinian spielte Amalie Stubenrauch Irene, die Tochter des Helden. Die Handlung folgt dabei nicht dem historischen Vorbild, sondern wurde durch einige der zahlreichen Legenden, die sich um Belisar ranken, ausgeschmückt und traf damit den Zeitgeist. Die Zeitungen waren voll des Lobes sowohl für das Stück, als auch die Schauspieler: »Der großartige Stoff dieses Trauerspiels wurde unter der Hand des geistreichen Dichters ein Meisterwerk. Die Auffassung ist grandios«, 81 hieß es, und: »Was Laokoon in der Plastik, ist dieser Belisar im Drama. Ein Atlas, der eine Welt von Größe und Leiden trägt, ohne zu erliegen. Und doch! was wäre er dem Publikum, wenn ihm diese Irene nicht an die Seite gestellt worden wäre?« 82
»Durch den rauschenden, sich stets erneuernden Beifall, durch das einstimmige Vorrufen des Herrn Eßlair – Belisar – am Schlusse des zweiten, dritten (hier mit Dem. Stubenrauch, welche die Irene spielte) und fünften Aktes, gingen sicher Dreiviertelstunden ohne Spiel vorüber und verlängerten, zum Ruhme des Dichters und der Mitwirkenden, die ruhmvolle Darstellung.« 83
Und in Dresden hatte man gehört: »Die talentreiche Dem. Stubenrauch übertraf die schönsten Erwartungen durch ein trefflich gelungenes Spiel.« 84 König Ludwig I. war hellauf begeistert. Als König Wilhelm I. von Württemberg und Königin Pauline 1827 nach München kamen, führte man ihnen dieses Stück mit großem Erfolg vor. Und noch Jahre später, als Amalie längst in Stuttgart fest engagiert war und auf Gastspielreise nach München kam, feierte sie als Irene Triumphe und den »fruchtbarsten unserer Bühnendichter ward die Freude, seinen Heros, den sieggekrönten Belisar, durch Eßlair und die Irene durch Dlle. Stubenrauch dargestellt zu sehen. Es war ein hoher Genuß für das so zahlreich versammelte kunstliebende Publikum.« 85
Die Wirkung auf das Publikum muss in der Tat umwerfend gewesen sein. Bei der Premiere spielte Amalie alias Irene so ergreifend, dass sich »Tränen der Rührung in den Sturm des Beifalls mischten.« 86 In einer späteren Vorstellung wurde »ein zuckersüßes Herrchen so stark ergriffen, daß es sich von seiner Nachbarin, die mit Sacktüchern wohl versehen war, eines entlehnen mußte; es ist ja nicht zu vergessen, anzuführen, daß das seine schon durchaus naß geweint war.« Und nach der Vorstellung meinte »ein naives Landmädchen zu ihrem Geliebten, als Belisar auf dem Tragsessel sterbend einhergetragen wurde, ›da gehe ich morgen auch mit zur Leichenbestattung‹.« 87 Zehnmal war Amalie allein in München in der Rolle der Irene zu sehen. Kaum dass sie in Stuttgart ihr Engagement angetreten hatte, wurde auch dort das »längst mit Sehnsucht erwartete« Stück einstudiert und noch siebenmal mit Amalie in der Rolle der Irene äußerst erfolgreich gegeben. 88
Weitere Schauspiele folgten von dem »begnadeten Dichter«, als der Eduard von Schenk damals angesehen wurde. In der Uraufführung des Trauerspiels »Henriette von England« am 1. Dezember 1826 war Amalie ebenfalls aufgetreten und zwar als Maria Theresia von Österreich, die Gemahlin Ludwigs XIV., der von Eßlair gespielt wurde. An den Erfolg von »Belisar« konnte dieses Stück nicht anknüpfen, was nicht zuletzt die wenigen Aufführungen beweisen. Dies traf allerdings nicht auf die weibliche Hauptdarstellerin zu. Amalie von Stubenrauch feierte weiterhin überwältigende Erfolge in München. Doch der Traum von einer Karriere auch außerhalb der weiß-blauen Grenzen war noch nicht ausgeträumt. Stuttgart stand ganz oben auf ihrer Wunschliste. Vielleicht hat
Abb. 2: Amalie von Stubenrauch, Lithographie von Friedrich Bernhard Elias, um 1830.
sie die Aufführung des »Belisar« am 24. September 1827 ihrem Traum ein Stückchen nähergebracht: Diese wurde überraschenderweise nämlich nicht nur vom bayerischen, sondern auch vom württembergischen Königspaar besucht.
»In dem ohne Ankündigung glänzend beleuchteten Hause erschienen heute Ihre K. Majestäten der König und die Königin von Würtemberg mit unserm geliebten Herrscherpaare in der k. großen Mittelloge. Das ausgezeichnete Spiel der Mad. Fries (Antonina) und des Herrn Eßlair (Belisar), die schönen Leistungen der Dlle Stubenrauch (Irene), des Hrn. Racke (Justinian) und des Hrn. Urban (Alamir) wurden vom Publikum mit derselben feierlichen Stille gewürdigt, welche den ehrfurchtsvollen Empfang der allerhöchsten Gäste bezeichnete.« 89
Es war zwar üblich, dem König bei seinem Eintritt ins Theater mit großem Applaus zu empfangen, dann gemäß der Etikette jedoch nicht mehr zu applaudieren. 90 Der hochherrschaftliche Besuch war allgemein eine große Überraschung, vermutlich auch für Amalie. Es ist nicht überliefert, ob Amalie bereits seit ihren Gastauftritten in Stuttgart mit König Wilhelm I. von Württemberg bekannt war. Doch da Amalie später selbst von 34-jähriger Freundschaft schrieb, dürften sie sich erst 1829/30 persönlich näher kennengelernt haben. 91 Auf jeden Fall sah der König den aufsteigenden Stern am Theaterhimmel in München in der Rolle als Irene im Stück »Belisar«.
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