5. Die nihilistischen Consequenzen der jetzigen Naturwissenschaft (nebst ihren Versuchen in’s Jenseitige zu entschlüpfen). Aus ihrem Betriebe folgt endlich eine Selbstzersetzung, eine Wendung gegen sich , eine Antiwissenschaftlichkeit. Seit Copernikus rollt der Mensch aus dem Centrum in’s x.
6. Die nihilistischen Konsequenzen der politischen und volkswirthschaftlichen Denkweise, wo alle »Principien « nachgerade zur Schauspielerei gehören: der Hauch von Mittelmäßigkeit, Erbärmlichkeit, Unaufrichtigkeit u.s.w. Der Nationalismus. Der Anarchismus u. s. w. Strafe. Es fehlt der erlösende Stand und Mensch, die Rechtfertiger –
7. Die nihilistischen Consequenzen der Historie und der » praktischen Historiker«, d. h. der Romantiker. Die Stellung der Kunst: absolute Un originalität ihrer Stellung in der modernen Welt. Ihre Verdüsterung. Goethe’s angebliches Olympierthum.
8. Die Kunst und die Vorbereitung des Nihilismus: Romantik (Wagner’s Nibelungen-Schluß).
I. Nihilismus.
1. Nihilismus als Consequenz der bisherigen Werth-Interpretation des Daseins.
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2.
Was bedeutet Nihilismus? – Daß die obersten Werthe sich entwerthen. Es fehlt das Ziel. Es fehlt die Antwort auf das »Wozu?«
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3.
Der radikale Nihilismus ist die Überzeugung einer absoluten Unhaltbarkeit des Daseins, wenn es sich um die höchsten Werthe, die man anerkennt, handelt; hinzugerechnet die Einsicht, daß wir nicht das geringste Recht haben, ein Jenseits oder ein An-sich der Dinge anzusetzen, das »göttlich«, das leibhafte Moral wäre.
Diese Einsicht ist eine Folge der großgezogenen »Wahrhaftigkeit«: somit selbst eine Folge des Glaubens an die Moral.
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4.
Welche Vortheile bot die christliche Moral-Hypothese?
1) sie verlieh dem Menschen einen absoluten Werth , im Gegensatz zu seiner Kleinheit und Zufälligkeit im Strom des Werdens und Vergehens;
2) sie diente den Advokaten Gottes, insofern sie der Welt trotz Leid und Übel den Charakter der Vollkommenheit ließ, – eingerechnet jene »Freiheit« –: das Übel erschien voller Sinn;
3) sie setzte ein Wissen um absolute Werthe beim Menschen an und gab ihm somit gerade für das Wichtigste adäquate Erkenntniß ;
4) sie verhütete, daß der Mensch sich als Mensch verachtete, daß er gegen das Leben Partei nahm, daß er am Erkennen verzweifelte: sie war ein Erhaltungsmittel.
In summa: Moral war das große Gegenmittel gegen den praktischen und theoretischen Nihilismus .
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5.
Aber unter den Kräften, die die Moral großzog, war die Wahrhaftigkeit: diese wendet sich endlich gegen die Moral, entdeckt ihre Teleologie, ihre interessirte Betrachtung – und jetzt wirkt die Einsicht in diese lange eingefleischte Verlogenheit, die man verzweifelt, von sich abzuthun, gerade als Stimulans. Wir constatiren jetzt Bedürfnisse an uns, gepflanzt durch die lange Moral-Interpretation, welche uns jetzt als Bedürfnisse zum Unwahren erscheinen: andererseits sind es die, an denen der Werth zu hängen scheint, derentwegen wir zu leben aushalten. Dieser Antagonismus – Das, was wir erkennen, nicht zu schätzen und Das, was wir uns vorlügen möchten, nicht mehr schätzen zu dürfen – ergiebt einen Auflösungsproceß.
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6.
Dies ist die Antinomie:
Sofern wir an die Moral glauben, verurtheilen wir das Dasein.
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7.
Die obersten Werthe, in deren Dienst der Mensch leben sollte, namentlich wenn sie sehr schwer und kostspielig über ihn verfügten, – diese socialen Werthe hat man zum Zweck ihrer Ton-Verstärkung, wie als ob sie Commando’s Gottes wären, als »Realität«, als »wahre« Welt, als Hoffnung und zukünftige Welt über dem Menschen aufgebaut. Jetzt, wo die mesquine Herkunft dieser Werthe klar wird, scheint uns das All damit entwerthet, »sinnlos« geworden, – aber das ist nur ein Zwischenzustand.
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8.
Die nihilistische Consequenz (der Glaube an die Werthlosigkeit) als Folge der moralischen Wertschätzung: – das Egoistische ist uns verleidet (selbst nach der Einsicht in die Unmöglichkeit des Unegoistischen); – das Nothwendige ist uns verleidet (selbst nach Einsicht in die Unmöglichkeit eines liberum arbitrium und einer »intelligiblen Freiheit«). Wir sehen, daß wir die Sphäre, wohin wir unsere Werthe gelegt haben, nicht erreichen – damit hat die andere Sphäre, in der wir leben, noch keineswegs an Werth gewonnen: im Gegentheil, wir sind müde, weil wir den Hauptantrieb verloren haben. »Umsonst bisher!«
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9.
Der Pessimismus als Vorform des Nihilismus.
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10.
A. Der Pessimismus als Stärke – worin? in der Energie seiner Logik, als Anarchismus und Nihilismus, als Analytik.
B. Der Pessimismus als Niedergang – worin? als Verzärtlichung, als kosmopolitische Anfühlerei, als »tout comprendre« und Historismus.
– Die kritische Spannung: die Extreme kommen zum Vorschein und Übergewicht.
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11.
Die Logik des Pessimismus bis zum letzten Nihilismus: was treibt da? – Begriff der Werthlosigkeit, Sinnlosigkeit: inwiefern moralische Werthungen hinter allen sonstigen hohen Werthen stecken.
– Resultat: die moralischen Werthurtheile sind Verurtheilungen, Verneinungen; Moral ist die Abkehr vom Willen zum Dasein…
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12.
Hinfall der kosmologischen Werthe.
A.
Der Nihilismus als psychologischer Zustand wird eintreten müssen, erstens, wenn wir einen »Sinn« in allem Geschehen gesucht haben, der nicht darin ist: sodaß der Sucher endlich den Muth verliert. Nihilismus ist dann das Bewußtwerden der langen Vergeudung von Kraft, die Qual des »Umsonst«, die Unsicherheit, der Mangel an Gelegenheit, sich irgendwie zu erholen, irgendworüber noch zu beruhigen – die Scham vor sich selbst, als habe man sich allzulange betrogen … Jener Sinn könnte gewesen sein: die »Erfüllung« eines sittlichen höchsten Kanons in allem Geschehen, die sittliche Weltordnung; oder die Zunahme der Liebe und Harmonie im Verkehr der Wesen; oder die Annäherung an einen allgemeinen Glücks-Zustand; oder selbst das Losgehen auf einen allgemeinen Nichts-Zustand – ein Ziel ist immer noch ein Sinn. Das Gemeinsame aller dieser Vorstellungsarten ist, daß ein Etwas durch den Proceß selbst erreicht werden soll: – und nun begreift man, daß mit dem Werden Nichts erzielt, Nichts erreicht wird… Also die Enttäuschung über einen angeblichen Zweck des Werdens als Ursache des Nihilismus: sei es in Hinsicht auf einen ganz bestimmten Zweck, sei es, verallgemeinert, die Einsicht in das Unzureichende aller bisherigen Zweck-Hypothesen, die die ganze »Entwicklung« betreffen (– der Mensch nicht mehr Mitarbeiter, geschweige der Mittelpunkt des Werdens).
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