»Wie alt sind Sie?«
»Siebenundzwanzig.«
»Universität?«
»UConn«, sagte ich. Dann fügte ich den vollständigen Namen hinzu: »Universität von Connecticut.«
Er nickte. »Lieblingssport?«
»Eishockey.«
»Spielen oder anschauen?«
»Anschauen. Ich war nicht schnell genug, um selbst zu spielen«, verriet ich ihm lächelnd. Die Befragung machte irgendwie Spaß. Wenigstens redete er mit mir.
»Aber Sie können Schlittschuh fahren?«
»Ja.«
»Welche Haarfarbe haben Sie?«
»Schwarz.«
»Augen?«
»Braun.«
»Hautfarbe?«
»Was?«
Isaac neigte den Kopf. »Ihre Abstammung? Sind Sie schwarz, weiß, Asiate, Europäer?« Er schürzte ungeduldig die Lippen und ließ mir keine Zeit zu antworten. »Es ist eine berechtigte Frage. Sie wissen, wie ich aussehe. Also würde ich auch gern wissen, wie Sie aussehen.«
»Ist das wichtig?«, fragte ich.
Er lachte, aber es war kein fröhliches Geräusch. »Warum zum Teufel soll es wichtig sein, wie Sie aussehen? Warum sollte es mich kümmern? Ich kann den Unterschied zwischen einem weißen und einem schwarzen Mann nicht sehen, wissen Sie? Für mich ist das vollkommen egal.« Er holte tief Luft und begann von Neuem. »Ich versuche mir nur ein Bild von Ihnen zu machen.«
»Ich bin weiß, europäische Abstammung…« Ich wusste nicht so recht, wie ich es erklären sollte. Ich war noch nie in einer vergleichbaren Situation gewesen. »Ich verbringe so viel Zeit im Freien wie möglich, also bin ich ein bisschen gebräunt.«
»Was tun Sie im Freien?«
»Campen, wandern«, antwortete ich. »Na ja, jedenfalls zu Hause bin ich wandern gegangen«, gab ich zu. »Hier habe ich noch keine Gelegenheit gehabt, mich umzusehen. Aber das werde ich noch.«
Isaac nickte, dann fragte er nach kurzer Stille: »Sind Sie verheiratet?«
»Nein.«
»Eine Freundin?«
Ich zögerte. »Nein.«
»Sie haben gezögert.«
Ich lächelte. »Habe ich?«
»Ja«, gab er zurück. »Das verrät mir entweder, dass Sie gelogen haben oder dass es ein schwieriges Thema ist.«
»Sie müssen meinen Bruder entschuldigen«, sagte Hannah und brachte uns zwei Eistees. Einen reichte sie Isaac. »Er hat so viel Taktgefühl wie eine Abrissbirne.«
Isaac zuckte mit den Schultern. »Hat keinen Sinn, groß um den heißen Brei herumzureden. Ich kann mir den Luxus nicht leisten, anhand von Gesichtsausdrücken die Ehrlichkeit eines Menschen abzuschätzen.«
Hannah schnaubte. »Du kannst dir auch den Luxus von Manieren nicht leisten.«
Isaac seufzte und ich lachte in mich hinein, während ich Hannah in der Küche verschwinden sah. Sie waren genau, wie ich mir Geschwister immer vorgestellt hatte. Und ich stellte fest, dass Isaac mich faszinierte. Sicher, er sah gut aus, sehr gut sogar, aber es war mehr als das. Er war blind, ja, aber er wirkte selbstsicher, stolz und sogar hochmütig. Es war eine Mauer, die er um sich herum hochgezogen hatte, um sich zu schützen. Das war mir bewusst.
Ich konnte nicht anders, als mich zu fragen, wie der wahre Isaac Brannigan war.
Seine Lippen zuckten nachdenklich, aber bevor er etwas sagen konnte, rief Hannah uns aus der Küche etwas zu und unterbrach uns. »Carter, bleiben Sie zum Abendessen?«
»Oh, ich kann nicht«, entgegnete ich. Ich stand auf und wandte mich Hannah zu. »Danke für das Angebot, das ist wirklich nett. Aber ich sollte gehen. Zu Hause wartet eine sehr ungeduldige Dame auf mich.«
»Ich dachte, Sie hätten gesagt, dass Sie weder Ehefrau noch Freundin haben«, sagte Isaac vom Sofa aus.
Ich lächelte. »Die sehr ungeduldige Dame, auf die ich mich beziehe, ist ein Border-Collie-Mix namens Missy. Sie ist meine Hündin.«
»Sie haben nicht erwähnt, dass Sie einen Hund haben«, antwortete er.
»Sie haben nicht gefragt.«
Isaacs hielt den Mund und schmollte geradezu. Hannah lachte.
»Findest du irgendetwas lustig, liebe Schwester?«, fragte Isaac gereizt.
Sie lachte erneut. »Jepp.« Dann wandte sie sich mir zu. »Vielen Dank, dass Sie das Pulver vorbeigebracht haben.«
»Kein Problem«, gab ich zurück. »Ich habe diese kleine Befragung ziemlich genossen.«
»Sie meinen die Spanische Inquisition?«, stichelte sie und kam zu uns.
Ich lachte wieder in mich hinein.
Offensichtlich gern bereit, den Seitenhieb zu ignorieren, erhob sich Isaac und drehte sich in unsere Richtung. Er spannte die Schultern an. »Haben Sie irgendwelche Fragen an mich?«
Ungefähr eine Million. Aber plötzlich wollte ich sie nicht stellen. Ich wollte den Fortschritt des heutigen Abends nicht ruinieren, indem ich das Falsche fragte.
»Nur eine.«
Er legte den Kopf schief, offensichtlich überrascht von meiner Reaktion. Dann hob Isaac stolz das Kinn. Abwehrend. »Nur zu.«
»Habe ich bestanden?«
Für einen Moment herrschte Stille. »Was bestanden?«
»Die Spanische Inquisition? Den kleinen Test, dem Sie mich unterzogen haben. Habe ich bestanden?«
Isaac wandte das Gesicht ab. »Vielleicht.«
Ich grinste und Hannah stieß mich heimlich mit dem Ellbogen an.
»Dann sehe ich Sie nächste Woche«, sagte ich zu ihm.
Ich weiß nicht, warum mir seine Bestätigung so wichtig war, aber ich grinste auf der ganzen Heimfahrt.
Die nächsten beiden Wochen vergingen wie im Flug. Dr. Fields hörte auf und ich nahm seinen Platz ein, was bedeutete, dass ich eine Menge lose Fäden verknüpfen musste. Und ich hatte viel zu lernen. Die Grundlagen waren dieselben, aber ich musste mich auf ein anderes Team, andere Persönlichkeiten, andere Szenarien und an andere Routinen gewöhnen.
Meistens arbeitete ich bis spät abends und wenn ich heimkam, ging ich lange mit Missy spazieren. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, meine neue Nachbarschaft kennenzulernen – ich nahm jeden Abend eine andere Route – und Zeit und konnte so nach der Arbeit runterkommen.
Entweder Mark, mein bester Freund aus Hartford, rief mich alle paar Tage an oder ich meldete mich bei ihm, um Neuigkeiten auszutauschen. Zu Hause geschah nicht viel, das tat es nie. Dieselben Leute, dieselben Kreise, derselbe Scheiß. Aber ich vermisste ihn.
Mark war bisexuell. Sein Motto lautete, nicht wählerisch zu sein, was schlicht bedeutete, dass er bereit war, alles zu ficken, was sich bewegte. Und normalerweise tat er das auch. Nur mich nicht. Wir haben uns vor ein paar Jahren bei einem Blind Date kennengelernt. Ein gemeinsamer Freund eines Freunds war der Meinung gewesen, wir könnten gut zueinander passen. Wir trafen uns und verstanden uns fantastisch, aber nicht im Sinne einer romantischen Beziehung.
Ich hatte ihm gesagt, dass ich nichts für One-Night-Stands übrighabe. Daraufhin hatte er gelacht und erwidert, dass er noch nie hart für eine Nummer arbeiten musste. Und mit harter Arbeit meinte er ein zweites oder drittes Date. Ich hatte über seine brutale Ehrlichkeit gelacht und auch wenn aus uns kein Paar werden würde, hatten wir doch viel gemeinsam und passten einfach zueinander.
Vier Jahre später waren wir uns so nah, wie Freunde sich sein konnten. Ohne Sex.
»Wie läuft's?«, fragte Mark eines Abends.
Ich seufzte ins Telefon. »Alles bestens.«
»Keine Reue?«
Es war nicht das erste Mal, dass er mich das fragte. »Kein bisschen.«
»Irgendwelche Aussichten?«, fragte er. Ich konnte das Lächeln in seiner Stimme hören.
Gedanklich sprang ich zu meiner Überraschung direkt zu Isaac Brannigan. »Nicht wirklich«, sagte ich ausweichend. »Vielleicht.«
»Hmm«, brummte er und ich wusste, dass sein Interesse geweckt war. »Erklär mir, was Nicht wirklich, vielleicht bedeutet.«
Ich seufzte erneut. »Jemand vom Empfang beziehungsweise aus der Assistenz auf der Arbeit versucht mit mir zu flirten«, gab ich zu.
Читать дальше