Ulrich Hammer
Kapitel 1 Der Hack
Kapitel 2 Ulmen-Campus
Kapitel 3 Falk und Mirko
Kapitel 4 Kammerhof
Kapitel 5 Grundloses Moor
Kapitel 6 BRB im Einsatz
Kapitel 7 Obduktion
Kapitel 8 Hoher Besuch
Kapitel 9 Muggels
Kapitel 10 Tagesbefehl
Kapitel 11 GCP
Kapitel 12 Kolossal
Kapitel 13 »Vahör«
Kapitel 14 Auf Station
Kapitel 15 Angriff
Kapitel 16 Der »ßucka« löst sich auf.
Kapitel 17 Mooreinsatz
Kapitel 18 Obduktion Nr. 2
Kapitel 19 Der Jäger
Kapitel 20 Torsten
Kapitel 21 Nachricht aus Berlin
Kapitel 22 Doktor Brandenburg im Netz
Kapitel 23 Berlin-Pankow
Kapitel 24 Feuerkorb
Kapitel 25 Die Kogge
Kapitel 26 Katharina
Kapitel 27 EVA
Kapitel 28 Friedhofsgeflüster
Kapitel 29 Falk
Kapitel 30 Staatsanwältin Kernbach
Kapitel 31 Tag X
Kapitel 32 Kommissar Bergers brillante Affären
Kapitel 33 Inventur
Kapitel 34 Die Jagd nach den Beweismitteln
Kapitel 35 »Autowech«
Kapitel 36 Verhandlungsbeginn
Kapitel 37 Die nächsten Verhandlungstage
Kapitel 38 Sachverständige
Kapitel 39 Bestenfalls Nötigung, Bedrohung, Erpressung
Erster Epilog Begegnung am Salzhaff
Zweiter Epilog Herbsttagung
Dritter Epilog Geschüttelt oder gerührt?
Danksagung
»Yeah«, hallte es plötzlich durch den Raum, »ich bin drin! Die Säcke, die … Ich hab sie! Dafür krieg ich das Bundesverdienstkreuz!«
Der Aufschrei war aus dem gemeinschaftlich genutzten Wohnzimmer mehrerer Informatikstudenten gekommen. Dort saß Torsten Bentlin zwischen der Zimmerecke und dem Kopfende eines reichlich gebrauchten Sofas, das in seinem Leben schon einiges erlebt zu haben schien. Auf dem Schoß des jungen Mannes stand ein Laptop der Sonderklasse, den er aber günstig bei eBay erstanden hatte. Seine Finger flogen über die Tasten, um den so lang ersehnten Zugang so schnell wie möglich wieder zu schließen. Mit einem zweiten »Yeah«, nicht mehr so impulsiv und laut, sank er erschöpft in die Zimmerecke, schloss die Augen und atmete zweimal tief durch.
Sein Gefühlsausbruch hatte sich über Bande den Weg durch den Flur in die Gemeinschaftsküche gebahnt, in der seine drei Mitbewohner beim Kaffee zusammensaßen.
»Was is’ los, Torte!?«, rief einer zurück.
»Ich bin drin!«
»Ich dachte, du bist alleine.«
Lautes pubertäres Gelächter der anderen.
Torsten stand mit dem Laptop in der Hand in der Küchentür, nunmehr aufgeregt flüsternd: »Ich hab den Zugang!
Diese Geocaching Profile in Berlin, die GCP. Ich sage euch, das ist ein superfetter Happen. Das ist das große Ding. Die machen Sachen, die sind so dark wie das Netz.«
»Wie bist du reingekommen?«
»Na ja, neulich war ich mal nicht alleine. Hab jemanden kennengelernt. Eine Mail geschrieben, Trojaner, Keylogger gesetzt und dann über VPN. Kein Problem.«
Die anderen schüttelten den Kopf. »Du hättest mit dem Hacken in der zehnten Klasse aufhören sollen, du Spinner! Du bist genauso dark wie die, wenn du bei denen rumrührst.«
»Hört auf!«, gab er hastig zurück. »Da ist richtig was zu holen. Und ich weiß auch schon wie.« Als er das sagte, schweiften seine Gedanken bereits von der Szenerie der Küche ab. Sein Blick verlor sich an der graubraunen Decke des Raumes, die wie die ganze Wohnung schon vor Jahren mit frischer Farbe hätte gestrichen werden müssen. Er ritt mit seiner Vision wie auf einem fliegenden Drachen in eine paradiesische Ferne.
Seine Mitbewohner wollten sich von diesem Virus jedoch keineswegs infizieren lassen und wehrten eine weitere Vertiefung des Themas ab, indem sie ihre Unterhaltung wieder aufnahmen.
Die Studenten-WG lag in der KTV, der Rostocker Kröpeliner-Tor-Vorstadt, Budapester Straße. Eine schon unmittelbar nach dem Mauerfall angesagte Gegend mit Szenekneipen und einem dichten Menschenmix aus allen Studiengängen, die die altehrwürdige Alma mater zu bieten hatte. Alternative Szenen hatten mit ihrer Schwarmintelligenz aus der geerbten Tristesse ein lebendiges Viertel gemacht.
Torsten Bentlin war ein mittelgroßer, schlanker, schüchterner 21-Jähriger mit dunkelblonden Haaren, der von seiner Wirkung auf Frauen seiner Altersgruppe noch immer nicht wirklich etwas ahnte. Der junge Mann war froh, dass ihm ein Zuzug und damit ein Dazugehören gelungen war. Sein Leben war auch das Leben der Anderen. Was früher fremd war und bespitzelt wurde, bot sich heute unbekümmert feil. Seine Eltern waren im Rostocker Stadtteil Lütten Klein nicht weit weg. Dennoch schickten Sie ihm über unzählige Telefonate die immer gleichen Sorgenpakete, so wie das Eltern eben machen, um zu bewahren, was langsam aber sicher flügge geworden war. Informatik war seine Welt. Hier war der Fakt noch ein Fakt. Hier wurde nichts hineininterpretiert oder spitzfindig ausgelegt, hier war die 1 eine 1 und die 0 eine 0. An dieser durch ihre Einfachheit bestechenden Grundlage hatte sich nie etwas geändert. Fantasien mit einer informationstechnischen Formulierung zu unterlegen, war die Faszination, die ihn in diese Studienrichtung getrieben hatte. Das passte zu ihm. Rostock war für ihn die erste Adresse, als es um die Wahl des Studienortes gegangen war. Nicht nur, weil er hier aufgewachsen war, sondern weil die Fakultät für Informatik und Elektrotechnik ein sehr günstiges Studenten-Professoren-Verhältnis hatte und auch bundesweit einen Spitzenplatz einnahm.
Die WG war für ihn in den zurückliegenden Monaten zu einer zweiten Familie geworden. Er hatte gelernt, wie wichtig die Interaktion mit anderen Studierenden ist. Da er ohne Geschwister aufgewachsen war, musste er sich anfangs überwinden, hatte sich dann aber mehr und mehr geöffnet. Er hatte schnell gelernt, dass das Wohl und Wehe des einen in der WG auch immer jeden anderen Mitbewohner berührte. Das reichte von der Fahrradluftpumpe über den Kochtopf, über schwierige Studienaufgaben, bis zum Einkaufen oder Kranksein.
Torsten Bentlin nahm sich vor, mit der Bahn nach Rügen zu fahren und dort Freunde zu besuchen, die er noch aus der Schulzeit kannte. Deren Eltern besaßen in Sellin ein kleines Ferienhaus, in dem er einige Tage verbringen wollte. Das Wetter war top und er hatte nicht vor, bis zum Wochenende zu warten. Das Semester hatte zwar gerade angefangen und die neue Woche auch, aber er wusste natürlich, wie seine Abwesenheit nicht auffallen würde. Eigentlich war angedacht, seinen WG-Kumpel Bruno mit an die frische Inselluft zu nehmen. Es war früher Nachmittag.
»Ich kann wirklich nicht mit«, krächzte der, »hab voll den Rotz. Fahr allein und mach dir keinen Kopf! Unser Kühlschrank ist ja voll.«
Torsten musste laut lachen. »Dein Elektronenhirn ist doch nur scharf auf einsames Zimmerkino: Fußball, Bier und Chips. Du frisst dich noch mal fett an dem Zeug.«
»Nein, lass den Scheiß! Du weißt, dass es nicht so ist.«
»Na gut, mein Lieber, aber lass meinen Läppi in Ruhe! Der ist für dich tabu.« Er zog sich seine Jacke über, schlüpfte in die Schuhe und raffte sein kleines Handgepäck zusammen, in das er das Nötigste für zwei, drei Tage gepackt hatte. »Ich bin reif für die Insel.« Mit diesen Worten ging er aus der Tür. Diese fiel scheppernd ins Schloss.
Während sein Zimmerkumpel die ersehnte Einsamkeit genoss, schulterte Torsten Bentlin seinen Rucksack und machte sich auf den Weg zur S-Bahn-Station Parkstraße. Nach dem Überqueren der Ulmenstraße lief er quer über den Campus. Die großen Backsteingebäude, die durch ihre perfekten Konturen Symbole unbedingter Langlebigkeit sind, lagen schnell hinter ihm. Dann ging er zwischen den neuen Hörsälen hindurch. Er verzögerte seinen Schritt, denn auf dem Parkplatz 50 Meter vor ihm, unterhalb der Treppe, liefen zwei Männer aufgeregt um einen älteren Kleinwagen herum, aus dessen Motorhaube es qualmte. Der eine hatte einen kleinen Feuerlöscher in der Hand. Torsten näherte sich den beiden nun wieder schneller, um dann bei ihnen stehen zu bleiben. »Na, wo brennt’s denn? Kann ich helfen oder haben Sie alles im Griff?«
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