»Erzähl mir mehr über Nostradamus.«
»Zum Beispiel?«
»Du sagtest, dass er stets die wahre Bedeutung seiner Quatrains verschleierte, weil er fürchtete, von der Kirche verfolgt zu werden.«
»Ja. Deshalb ist es auch so schwer, sie zu entschlüsseln.«
»Erwähnte er in seinen Prophezeiungen auch spezifische Orte wie den Berg Nebo?«
»Oft.«
»Waren diese Orte sinnbildlich zu verstehen?«
»Manchmal. Worauf willst du hinaus?«
»Was ist es, dass den Berg Nebo so bedeutend macht?«, fragte Nick.
»Es ist der Ort, an dem Gott Moses das Gelobte Land zeigte, und wo Moses begraben liegt. Ich verstehe nicht, worauf du hinaus willst.«
»Was, wenn der Hinweis nichts mit den Bäumen zu tun hat, sondern mit Moses als Hirten seines Volkes?«
»Du glaubst, der Hirte in dem Mosaik ist Moses?«
»Nein. Ich denke, Nostradamus wollte eine Verbindung zu Moses herstellen.«
»Und wie sollte uns das helfen?«
»Was fällt dir als Erstes ein, wenn du an Moses denkst?«
»Das ist leicht«, sagte Selena. »Die Zehn Gebote.«
»Richtig. Er erhält von Gott die Zehn Gebote und gelangt eines Tages zum Berg Nebo. Der Hinweis hat mit Moses zu tun. Das ist die zweite Vermutung.«
Selena sah ihn an. »Du hättest Prediger werden sollen, bei all diesen biblischen Gedanken«, sagte sie. »Aber ich verstehe es immer noch nicht.«
»Vermutung Nummer drei lautet, dass der Vers eigentlich auf die Zehn Gebote verweist. Wo Moses sie erhielt.«
»Er bekam sie auf dem Berg Sinai. Willst du damit sagen, dass sich die Bundeslade auf dem Berg Sinai befindet?«
»Wenn nicht die Bundeslade selbst, dann vielleicht ein Hinweis, wo sie sein könnte.«
»Das ist ziemlich weit hergeholt, Nick. Außerdem … selbst wenn du recht haben solltest, gibt es da ein kleines Problem.«
»Es gibt immer ein Problem. Welches ist es diesmal?«
»Niemand weiß genau, auf welchem Berg genau Moses die Gebote erhalten haben soll, sofern das Ganze nicht einfach nur eine Geschichte ist.«
»Ich dachte, es wäre in Ägypten gewesen, auf der Halbinsel Sinai?«
»Viele biblische Archäologen sind da anderer Ansicht. Ich bezweifle, dass die Bundeslade dort zu finden ist. Kaum ein Berg der Welt wurde gründlicher abgesucht als dieser.«
»Wo könnte er dann liegen?«
»Im Buch Exodus heißt es, dass Donner, Blitze und eine Rauchwolke den Berg einhüllten.«
»Das klingt, als hätte es jemand etwas ausgeschmückt, des Effekts wegen.«
»Aber was, wenn es keine Ausschmückung war? Welche Art von Berg hat Rauch und Donner?«
»Ein Vulkan. Aber gibt es denn Vulkane in Ägypten?«
»Nein«, sagte Selena. »Aber in Saudi-Arabien.«
Nick war mit Harker über sein Satellitentelefon verbunden und erzählte ihr, was sie herausgefunden hatten.
»Kommen Sie nach Hause«, antwortete sie. »So etwas braucht genaue Planung.«
»Dann lassen Sie uns also der Sache nachgehen?«, fragte Nick.
»Ich werde darüber nachdenken. Kommen Sie erstmal nach Hause.« Sie beendete den Anruf.
»Pack deine Taschen«, sagte Nick zu Selena.
»Wir sollen in die Staaten zurück? Aber was ist mit der Bundeslade?«
»Wir brauchen einen Missionsplan. Ich rufe in der Lobby an und sage Bescheid, dass wir abreisen.«
Zehn Minuten später traten sie aus dem Hoteleingang. Ein Taxi fuhr heran. Sie kletterten auf dessen Rücksitz.
»Zur amerikanischen Botschaft«, sagte Nick. »Und danach zum Flughafen.« Sie mussten ihre Waffen abgeben, bevor sie das Flugzeug besteigen würden.
Das Taxi fuhr los. Nick und Selena saßen schweigend auf der Rückbank. Nick betrachtete die Straßen Ammans, die draußen an ihnen vorbeizogen. Nach ein paar Minuten sagte er: »Das ist aber nicht der Weg zur Botschaft.«
»Bist du dir sicher? Wir kennen die Stadt nicht gut genug.«
»Doch, ich bin mir sicher«, erwiderte Nick. »Fahrer, wo bringen Sie uns hin?«
Der Fahrer besaß das typische Aussehen eines Mannes aus dem Nahen Osten, was wenig verwunderlich war. Er trug eine Kappe auf dem Kopf, hatte schwarze Haare, dunkelbraune, wässrige Augen und einen Bart. Er sah Nick durch den Rückspiegel an. »Amerikanische Botschaft, keine Sorge. Ich nehmen Abkürzung, sparen Geld.«
Sie erreichten einen heruntergekommenen Stadtteil. Die Straßen hier waren schmal und die Häuser drängten sich dicht an die Fahrbahn heran. Die Hauswände waren mit Graffitis bekritzelt und mit primitiven Fahnen behangen. Westländer waren hier keine zu erspähen. Die Straßen waren mit Fußgängern verstopft, und das Taxi musste abbremsen. Gesichter drehten sich zu ihnen herum und musterten die Fremden. Ihre Blicke wirkten alles andere als freundlich. Nicks Ohr begann zu jucken.
Er beugte sich zu Selena hinüber und sagte mit leiser Stimme: »Wir kriegen Ärger. Mach dich bereit, aus dem Auto zu springen. Und nicht schießen, es sei denn, dir bleibt keine andere Wahl.«
Sie nickte und zog die Pistole aus ihrer Gürteltasche.
Die Straße mündete auf einem großen, von flachen Hügeln umgebenen Platz. Eine weiße Moschee mit einem hohen Minarett dominierte einen der Berghänge. Läden, Häuser und Marktbuden säumten den Platz. Gelbe Schilder und grüne Banner mit arabischen Schriftzeichen hingen von den Gebäuden.
Sie fuhren auf den Platz. Der Fahrer trat auf die Bremse, riss die Tür auf und rannte davon, noch bevor Nick reagieren konnte. Ein weißer Volkswagen schoss aus einer Straße auf Selenas Wagenseite auf den Platz. Ein blauer Toyota kam ihnen entgegen, und hinter ihnen versperrte ein Transporter den Weg.
Die Leute auf dem Platz begannen davonzueilen.
Das war kein gutes Zeichen.
»Raus!«, schrie Nick.
Er rollte sich aus dem Wagen. Der Volkswagen preschte auf sie zu. Jemand lehnte sich seitlich aus dem Auto und eröffnete mit einer Maschinenpistole das Feuer auf sie. Selena zog den Kopf ein. Die Kugeln ließen die Windschutzscheibe des Taxis zersplittern und Glasscherben auf das Pflaster regnen. Sie kroch über den Rücksitz, zwängte sich aus dem Wagen und ließ sich neben Nick auf den Boden fallen. Jemand hielt eine AK aus dem Beifahrerfenster des Toyotas, der auf sie zuhielt. Nick gab drei schnelle Schüsse ab. Die Windschutzscheibe splitterte und der Mann zuckte in seinem Sitz zurück. Das Gewehr segelte durch die Luft. Der Toyota kam näher.
Nick wechselte in die Zone.
Alles um ihn herum schien sich zu verlangsamen. Er konnte hören, wie Selena auf den Volkswagen schoss – ein rhythmisches, gleichmäßiges Geräusch, und gedämpft, als befände sie sich unter Wasser. Nick zielte auf die Windschutzscheibe des Toyotas, der auf sie zuraste, und begann einen Schuss nach dem anderen abzufeuern. Er sah, wie sich der Lauf seiner Pistole bei jedem Schuss ein wenig nach oben hob, der Schlitten zurückfuhr und die ausgeworfenen Patronenhülsen durch die Luft schwebten. Er hörte das dumpfe Geräusch, als jede der Kugeln die Windschutzscheibe traf. Dann war die Waffe leergeschossen.
Der Toyota scherte nach links aus, pflügte durch einen Obststand und krachte in eines der Häuser. Die Vorderseite wurde eingedrückt. Eine Flammenzunge schoss unter dem Wagen hervor. Dann explodierte der Benzintank in einer plötzlichen orangefarbenen Flammenwolke. Melonenstücke, Holz, Glas und Metall regneten auf den Platz.
Die Zeit verging nun wieder schneller. Selena schob ein neues Magazin nach. Automatische Gewehrsalven wurden aus dem Volkswagen auf sie abgegeben, der etwa fünfzehn Meter vor ihnen zum Stehen gekommen war. Die Einschläge hallten mit einem scharfen, metallischen Klang wider und ließen das Taxi erzittern. Zwei Reifen zerplatzten. Der Wagen sackte auf der rechten Seite ein. Hinter ihnen hielt der Transporter auf sie zu. Nick griff nach einem frischen Magazin. Ihnen blieb keine Zeit mehr, und auch kein Ort, um sich zu verstecken.
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