»Milli, ich weiß nicht, ob wir da eine Wahl haben«, sagt er ernst.
»Man hat immer eine Wahl, das sagst du doch immer«, entgegne ich. »Ich will bei Angie bleiben. Und ich muss auch gar nicht Lesen und Schreiben können – das ist eh doof und langweilig.«
Papa verteilt Schokocreme auf dem Pfannkuchen und schaut mich an, als wäre ich verrückt.
»Das ist doch Quatsch. Sei doch nicht so ein Baby, jeder muss Lesen und Schreiben lernen.«
Das war gemein. Ich verschränke die Arme vor der Brust und schmolle.
»Ich nicht. Und überhaupt, du hast ja keine Ahnung: Diese Förderklasse ist die
. Die Lehrerin …«
»Milla!«, unterbricht Papa mich genervt, »mit deinen Geschichten kommst du nicht jedes Mal durch.«
Jetzt bin ich sauer und strecke ihm die Zunge raus, auch wenn das zugegebenermaßen wirklich etwas Baby ist.
»Weil ich einfach zu dumm bin, oder was?«, frage ich und renne aus der Küche. Vielleicht stimmt es ja und in meinem Kopf ist irgendwas falsch verdrahtet und ich bin wirklich
zum Lesenlernen – kann doch sein.
Papa ruft mir hinterher, dass es nichts nützt, immer wegzulaufen. Ich knalle trotzdem meine Zimmertür zu. 
Fünf Minuten später klopft er an und kommt mit dem Pfannkuchenteller in mein Zimmer. Er setzt sich zu mir auf den Teppich und nimmt mich in den Arm. Dann teilen wir uns den Schokocreme-Pfannkuchen und beschließen, noch mal über die Sache zu schlafen.
Leichter gesagt als getan. In der Nacht quält mich ein gruseliger Albtraum: Ich sitze mitten in der Idiotenklasse. Frau von Teufel, die Lehrerin, hat sogar Hörner. Grusel! Lachend schwingt sie eine brennende Peitsche. Dabei ruft sie: »Idioten, Idioten!«
Ich verstecke mich unter meinem Tisch, damit sie mich nicht findet. Doch dann bemerke ich die Ameisen. Sie schauen von draußen durch das Fenster in die Förderklasse und sie sind RIESIG! Die Bande grinst mich an und singt: »Milla-Muh, dumme Kuh, ein Idiot, das bist du!« Sie zeigt auf mich. Und jetzt beugt sich auch die von Teufel zu mir herunter und entdeckt mich.
Ich versuche abzuhauen, aber sie kommt immer näher.
»Hiiilfe! Paaapaaa!« Ich schreie, so laut ich kann – und davon wache ich auf.
Papa kommt angelaufen, macht das Licht an und nimmt mich in den Arm. Mein T-Shirt ist ganz verschwitzt und mein Herz klopft superschnell. Alles nur ein Traum! Ich atme tief durch.
»Alles gut. Ich bin hier, es kann nichts passieren«, flüstert Papa und drückt mich fest. Ich nicke. Dann bemerke ich, dass noch jemand im Türrahmen steht. Es ist Greta, eine Kollegin von Papa. Wir waren schon mal mit ihr Pizza essen. Ich mag sie, aber dass sie gehört hat, wie ich so kleinkindhaft herumschreie, ist mir jetzt irgendwie peinlich. Deshalb versuche ich, tapfer zu sein und meine Tränen ganz schnell zu stoppen.
»Was war denn los?«, fragt Papa und küsst meinen Kopf. Aber ich schaue zu Greta und will es nicht erzählen. Sie lächelt mich an und meint: »Du siehst aus, als hättest du gerade im Traum gegen ein riesiges Monster gekämpft.«
Ich nicke. »So was Ähnliches.«
»Dann hast du jetzt bestimmt Durst«, folgert sie. Und es stimmt. Meine Kehle ist total ausgetrocknet. Woher weiß sie das? Ich nicke und sie geht in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen.
Im Wohnzimmer kuschle ich mich auf das Sofa, trinke das Wasser schnell aus und dann geht es mir wirklich schon viel besser. Ich lächle Greta dankbar an. Dann bemerke ich, dass auf dem Tischchen vor dem Sofa zwei halb volle Weingläser und einige flackernde Teelichter stehen.
»Was macht ihr denn hier?«, will ich wissen und merke, dass Papa und Greta verlegen werden.
»Wir,
…«, stammelt Papa, »wir haben gearbeitet … an einer Präsentation. Also, an einer ganz wichtigen.«
Er lügt, das merke ich sofort an seinen roten Ohren. Greta lächelt verschmitzt. Okay, die beiden haben ein Geheimnis, so viel ist mal sicher. Wäre Greta vielleicht eine gute neue Mutter?, überlege ich.
»War es ein gruseliges Monster?«, fragt Papa und streicht mir besorgt über den Rücken. Sofort schießen mir wieder die Tränen in die Augen. Verdammt!
»Nein. Es war wegen der
«, platzt es aus mir heraus. »Die Lehrerin heißt Teufel und sie hat eine Peitsche und die Ameisen haben mich ausgelacht.« Ich schniefe und Papa schaut mich mitleidig an.
»Ach Milli, das war doch nur ein Traum.«
»Nein, das ist bestimmt total furchtbar da. Bitte, Papa, ich mach ALLES, ich verspreche es. Ich gebe mir ganz viel Mühe und so, aber 
Mit dem Ärmel wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und schiele zu Greta, um zu sehen, ob sie mich jetzt total albern findet. Sie runzelt die Stirn und seufzt.
»Das hört sich echt ziemlich grässlich an«, sagt sie.
Und ich bin froh, dass sie mir recht gibt. Vielleicht kann sie Papa ja überzeugen.
»Als ich so alt war wie du, hatte ich auch Probleme in der Schule«, erzählt sie, »bei mir war es Mathe. Ich dachte, ich kapier das nie. Aber dann war ich im Sommer in einer Ferienschule in den Bergen und das hat mir geholfen. Das war in … Bergaudorf, glaube ich.«
Papa lächelt sie die ganze Zeit voll nett an, aber als sie Bergaudorf sagt, zuckt er richtig zusammen.
»Bergaudorf im Chiemgau?«, fragt er erstaunt und zieht dabei die Augenbrauen hoch.
»Ja, da gibt es ein Internat und die haben eine Sommerschule. Kennst du das?«
Aber ich bin nicht sicher, ob Papa überhaupt gehört hat, was Greta ihn gefragt hat, denn er ist plötzlich ganz woanders. Irgendwie traurig schaut er aus. Also stupse ich ihn an und hole ihn ins Hier und Jetzt zurück.
»Hallo? Erde an Papa!«
»Bergaudorf … ja, ja, ich kenne den Ort – sehr gut sogar. Ferienschule, was meinst du, Milla? Wäre das vielleicht eine gute Idee?«
Also mal ehrlich, wenn euch jemand fragt, ob ihr Ferienschule für eine gute Idee haltet – dann schreit ihr sicher nicht
, oder?
»Schule in den Ferien? Ist das euer Ernst?«, frage ich und versuche, nicht ganz so entsetzt zu klingen.
Greta lacht. Bis eben fand ich sie noch nett, aber das mit der Ferienschule ist wirklich die blödeste Idee, die ich jemals gehört habe.
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