Katharina Schultens - Aufbrüche

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'St. Louis ist definitiv der Ort, wo alles zusammenfließt, auch meine Erinnerung. Auch die Gedichte von Katharina Schultens, denen ich zum ersten Mal begegnete an der Washington University in St. Louis. Ich war dort angekommen im festen Glauben, daß Schreiben nicht lehrbar und nicht lernbar sei. Dann aber hat mir Katharina ein Konvolut mit Gedichten überreicht. Ob Schreiben lehr- oder lernbar sei: diese Frage verschwindet völlig beim Lesen. Als wäre es das Selbstverständlichste; und das Selbstverständlichste wäre, daß man so etwas nicht lernen kann; das Selbstverständlichste an solchen Gedichten wäre, daß sie überhaupt nicht selbstverständlich sind, daß keiner weiß, woher sie kommen. Und sie sind doch da.'

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картинка 1Printausgabe gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur Rheinland-Pfalz

Die Edition Schrittmacher wird herausgegeben von

Marcel Diel, Sigfrid Gauch, Arne Houben und Thomas Krämer.

© 2004

eBook-Ausgabe 2011

RHEIN-MOSEL-VERLAGZell/Mosel Brandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel Tel.: 06542-5151, Fax: 06542-61158 Alle Rechte vorbehalten ISBN: 978-3-89801-761-9 Lektorat: Marcel Diel Umschlag: Arne Houben

Katharina Schultens

Aufbrüche

Gedichte

Mit einem Nachwort von Arnold Stadler

Edition Schrittmacher Band 2

RHEIN-MOSEL-VERLAG

Inhalt

I. In den Bergen II. Hinterm Meer II. Aus dem Süden Nachwort

***

»(...) jedes gedicht geht langsam

von oben nach unten, von unten

nach oben. es verwahrt

seine sture natur, die sich noch

mit ihren abgebrannten blütenköpfen

nach der sonne dreht ...«

(Lutz Seiler, pech & blende)

I. IN DEN BERGEN

am Abend

I

& dann das Bleiben hinter Fensterzeilen

als habe man nie unten auf der Straße

im Wind gestanden der Nacken

Mitte eines Sturms

II

schreiben auf hellen

Seiten am Abend schlagen

die Zweige ins Fenster & streifen

am Glas vorbei

***

während eines Wartens

des Mittags als jemand vergaß

die Straßenlaternen zu löschen

dass in ihrem Licht aus Milch

alle Zeit braun & süß

sich löste verloren

zwischen jetzt & der Nacht

der Nacht als die

Kälte begann

um sich zu beißen:

alles Verfrorne verschlang

Blätter einen Geruch

gebratenen Fleischs noch vom Tag

Regen

I

die Blätter & Zweige verdichteten

sich der Himmel dazwischen blieb

selten hell es lohnte nicht

die Straße zu verlassen &

sich ins Feld zu schlagen es

stand das Gras dicht & eng

in feuchter Erde hielt es

zusammen & streifte den Asphalt

II

& es wurde nicht hell in

diesem Jahr die Fenster

blieben fleckig die

Menschen morgens in ihren

Mänteln schoben sich

hin & her auf glänzenden

Straßen zwischen

von Scheinwerfern

spiegelnden Leitplanken

abends blieb der Geruch

der Stadt vom Oktober Öl

in der Luft stehen ein

Jahrmarkt kam

auf den Platz am

Ende der Straße &

es gab Musik die frösteln

ließ abends zog Rauch

fort aus dem Budenlicht

***

& noch immer ein einzelnes Kreuz nur wollte ich

hart in die Stadt einfahren nachts schrieb

ich im Licht der Straßenbahnen glatt

gepresst die Haut ans Fenster

vorbei schliffen wir am Brücken-

Stahl zwischen den Zeilen

kamen Schläge von unten tief in den Magen

der den Rädern anlag & es

war kein Halt dieser Halt

wenn Scheinwerfer den Himmel

durch & durch suchten jenem Loch nach

dem noch Sterne entfallen konnten

Brand

I

hilft es sich einen Griff in

den Nacken zu denken

das Flaumhaar dort dünn

reißend ohne Spur hinterher

II

wenn es ginge das

im Schlaf einem Frösteln gleich was

wenn die Decke zur Wand sich drehte

ein Schwelen hinter den Gasleitungen & dann das

ungehörte

Telefon spät manchmal

der Regen zwischen den Schindeln die Rinnen herunter

& kahl

an den Bäumen die inneren Zweige die am Rand

des Hauses zerdrückten Zweige wenn das Dach aber

dicht

bliebe bis alles gebrannt

im Schlaf, ginge das nicht

***

nach Luft, nach Atem schlugen noch die Fenster

rangen als endlich der Junisturm

ins Zimmer kam ein Kohlengeruch &

nasse Blätter trieb ein Aschenregen ein

der Feuer der verblichenen

vom See stob in die Augen mir

da schmerzte das was kam

des Abends in dem nachgelassnen Licht

der Hitze breit & fahl

der Junisturm ging über meine Haut

wenn leise scharf & tief

ein kaum verbliebener Geruch

in meinen Laken hing:

Salz Sonne Öl & Teer

ausgeräuchert schwarzgeascht. ein Donnergrollen kam

doch

kein Stoß des Sturmes könnte je

ein so Bestimmtes einer Haut entreißen.

***

Windstärke

als ich in Sturm & Straßenlicht

den Weg ging heim

als Zaum die Fransen des Schals

& verwehte Blätter im Mund

fielen Fetzen von Wolken

noch immer einander an

rissen auf Sterne

im Dunkel & mir

ein Gebet

dass jeder sein einzeln Sein

vergäße

***

barfuß die Abende

I

wenn im Laufen langsam & in unsicheren

Schritten das Zwielicht aufsteigt

& Kinder die vor dem Kiosk warten rauchen

sich küssen in weiten Kleidern

mit ihren Blicken mir in die Schritte greifen &

auf dem Turm der Kirche dahinter grün

die Schindeln glänzen & blenden &

alles auch der Holunder in

der Luft mich frösteln macht & wieder

der Schritt mir stockt:

als liefe ich über

Scherben & Lachen von Öl

die Schuhe über die Schulter

geschlagen

II

das Rauschen hinter den Augen

zu halten wenn nachts plan

die Schilder glühen

an den Haltestellen der Busse der

Straßenbahnen & in Paaren die Scheinwerfer

vorbeiziehen

wenn es still wird & bloß

ich die Füße laufen lasse

dem Rhythmus des Steins unterm Absatz

zu entgehen:

es reißt

nachts immer mir

den Atem fort ich laufe

hinter dem Licht

***

Richtungen

I

jetzt schon komm ich

nicht mehr nach Hause. an den

Treppen steig ich aus sieh

man enthauptete hier einen Baum man riss

die Mauer der er anlehnte ihm

aus der Erde. umzäunt

sind die Felder durchgraben & nur

braunem Lehm anliegen die Ähren

da lauf ich die Furchen ab stelle

mich einem Gang den sie suchten in

Feuer & Hagel vor Jahren fürchte

die Berge & mehr ihren Sturz

bald

am Geländereisen hing ich

mich schon hinauf

glättet mich holt mich

heim

II

hin & zurück. man grub

schnell dass Schiefer & Ziegel

fielen in Schutt kein

Heim wäre kehrte hierher wer

noch zurück. schält sich der Asphalt leckt

Öl Salz Wasserlachen

Efeu rankt wo man fällte

die Mauern den Mörtel

zu sprengen da

schlief ich nie das sei

mir fremdes Land wenn

sie schnell genug sind

***

& dahinter

»ein weiches, befriedigendes Geräusch ...«

(Elisabeth Borchers: Lichtwelten)

die Schneebeeren alle Mittage hinter

der Schaukel & hell

überm Laub es waren

zweiundzwanzig Minuten hinauf

& hinunter die Treppe

war glatt vom Herbst & mir fror

ans Geländer die Hand wenn du kamst

die Schneebeeren unter den Schuhen sie

krochen ein in die Rillen der Sohlen das Laub

den Rauch den Sand im Mund

lag ich unter den Zweigen es waren

zweiundzwanzig Minuten hinter

den Bänken den Hügel hinauf

& hinunter im Herbst

lief ich nicht jeden Mittag

auf den Beeren dem Laub das

braun & feucht lag die

Treppe hinauf & hinunter

***

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