Damit hatten Seymour und das Department of Counter Terrorism insgeheim schon die ganze Zeit über gerechnet. Als dieses Virus gezielt aus dem Labor in Texas entwendet worden war, war man sich im Team einig gewesen, dass die Täter es zuerst irgendwo testen würden, bevor sie es als Druckmittel verwenden würden. Mit einiger Sicherheit würden die Terroristen später auf Bensenville als Beispiel minimalen Umfangs verweisen, um androhen zu können, welcher Gefahr Primärziele wie New York oder Washington D.C. im Falle des Falles ausgesetzt wären.
»In den Händen von Terroristen und in dicht bevölkerten Gebieten … wozu wäre der Omega-Virus in der Lage?«
Wieder antwortete ihm Kendrick. »Darüber wird noch diskutiert«, meinte er. »In noch laufenden Tests des CDC und in Galveston schien es sich nicht von einer Person auf die nächste übertragen zu können, wie es für Viren normalerweise üblich ist. Es scheint nur seinen Wirt zu befallen und diesen zu töten, bevor das Individuum überhaupt eine Chance hat, es weitertragen zu können. So schnell kann es töten. Aber wenn sie von dicht bevölkerten Gebieten sprechen … nun, jede dieser Ampullen enthält etwa einhundert Millionen Mikroben. Also können Sie es sich ausrechnen.«
Seymour war vollkommen durcheinander. Die erste Frage, die ihm durch den Kopf ging, war: Wieso um alles in der Welt sollte jemand so etwas entwickeln? Doch es war ja gar nicht künstlich erschaffen worden. Es war ein Verteidigungsmechanismus der Natur selbst, der jahrhundertelang im ewigen Eis verborgen gelegen hatte, und wenn es eine Sache gab, die der Mensch nicht bezwingen konnte, dann die Natur selbst – sie war eine Macht, die einem alles zur Verfügung stellte, was man benötigte, es einem aber genauso schnell wieder entreißen konnte.
Noch schlimmer wog allerdings der Umstand, dass sich der Virus nun in den Händen von Terroristen befand, deren Wissen allenfalls sehr dürftig sein würde und die sich mehr für die direkten Konsequenzen als für die wirklichen Folgen interessierten, welche tatsächlich die Ausrottung der gesamten Menschheit sein könnte, wenn der Virus sich weit genug ausbreitete. Diese Menschen dachten nur an Städte, aber nicht an den gesamten Planeten.
Wenn sie aus dem Fenster sahen, konnten sie die kleine Stadt jetzt rasch näherkommen sehen. Selbst aus ihrer Höhe war deutlich zu erkennen, dass der Boden mit einer fürchterlich aussehenden grauen Schicht bedeckt war und dämmrig und trostlos wirkte, obwohl die Sonne sich gerade erst in Richtung Westen wandte.
Als der Hubschrauber wenige Meter von dem Springbrunnen entfernt auf einer quadratischen Fläche landete, wirbelte er grauen Sand in die Luft. Als der Staub sich schließlich wieder legte, ging Seymour nur eines durch den Kopf: Oh mein Gott!
In der Mitte des Quadrates lagen vier staubbedeckte Leichen. Ohne ihre Kleidung wirkten sie beinahe eingefallen. Unter ihnen breiteten sich Lachen aus einer dunklen, klebrigen Flüssigkeit aus.
Als die Truppen aus den Hubschraubern stiegen, teilte Seymour sie unverzüglich in zwei Teams auf. Eines sollte Seymour und Child, das andere Melbourne und Kendrick folgen. Sie sollten ausschwärmen und nach Überlebenden suchen, und – sofern sie welche fanden – diese unter Quarantäne stellen. Falls sich jemand wehren sollte, waren die Befehle klar: sie zu töten, um eine weitere Ansteckung zu verhindern.
Während Melbourne und Kendrick mit ihrer Einheit den östlichen und nördlichen Teil der Stadt übernahmen, blieb Seymour bei den Leichen in der Mitte der Stadt zurück und deutete fragend auf die Toten, während er sich an Pauline Child wandte: »Würden Sie mir verraten, wieso die so aussehen?«, fragte er.
Die Leichen waren mit einer feinen Schicht aus grauem Staub überzogen, den Überresten . »Der Omega-Virus ist darauf ausgelegt, jegliche Materie in ihre reinste flüssige Form zu zersetzen, aus der der menschliche Körper bekanntermaßen zu sechzig Prozent besteht.«
Er sah sie an. »Dann sprechen wir hier also von einer Art Ebola … etwas, das Organe verflüssigen kann?«
»Nein«, antwortete sie ihm. »Die Vorstellung, dass Ebola die Organe eines Menschen verflüssigt, ist ein Irrtum. Ebola löst im Körper starke innere Blutungen aus, was den Eindruck vermittelt, die Organe würden zerfließen, was in Wirklichkeit aber nicht stimmt. Es gibt kein bekanntes Virus, welches mit dem Omega-Virus vergleichbar wäre. Dieser Virus befällt seinen Wirt und zersetzt die Knochenstruktur, bis die Knochen schließlich so brüchig werden, dass sie in kleine Splitter nicht größer als ihr Daumennagel zerfallen. Danach zersetzen sich die Organe und der Körper blutet schließlich aus allen Öffnungen. Der Körper sinkt letzten Endes wie ein Ballon in sich zusammen, weil ihn nichts mehr zusammenhält – keine Knochen, keine Organe, nichts.«
»Dann ist dieser Virus also einzigartig?«
»Absolut.«
»Es existiert kein Gegenmittel?«
»Wir beim CDC und auch die Leute in Galveston sind schon seit einiger Zeit damit beschäftigt, eine Lösung zu finden, um das Virus bekämpfen zu können. Doch in den letzten achtzehn Monaten hat sich noch kein Ansatz bewährt. Wir sind noch nicht einmal nahe dran.«
Das hörte Seymour gar nicht gern, denn wenn diese Terrorzelle beschloss, eine der Ampullen in einer dicht bevölkerten Gegend zu öffnen und der Natur einfach ihren Lauf zu lassen, hatte das CDC keine nötigen Antworten auf die zu erwartende Pandemie.
Er wandte den Kopf, wofür er seinen gesamten Oberkörper drehen musste, weil der Schutzhelm direkt mit seinem Anzug verbunden war und sich nicht separat bewegen ließ. Das Erste, was er sah, war das ausgeblichene Schild über dem Jimmy Ray’s . Er deutete darauf. »Wieso fangen wir nicht einfach dort nach?«
»Suchen Sie nach etwas Bestimmten?«, fragte sie ihn.
Er drehte ihr wieder den Oberkörper zu. »Nach Überlebenden. Ground Zero. Alles, was mir Antworten auf die Fragen geben kann, die mir der Präsident der Vereinigten Staaten mit einiger Sicherheit stellen wird.«
Mit diesen Worten gab Seymour den Soldaten ein Zeichen, voranzugehen. Mit ihren Waffen im Anschlag und auf alles vorbereitet, betraten sie das Jimmy Ray’s .
Melbourne und Kendrick folgten unterdessen ihrer zugewiesenen Einheit durch die staubigen Gassen von Bensenville. Die Häuser auf beiden Seiten der Straße waren grau überzogen, die Farben darunter kaum noch auszumachen.
Als sich das Team einem der Häuser näherte, erspähten sie ein Paar, das auf der Veranda saß und ebenso gallertartig wirkte wie die Leichen auf der quadratischen Fläche. Bei näherer Untersuchung stellten sie fest, dass in dem Vorgarten einmal eine große Pappel gestanden hatte, die nun aber so tot und deren Rinde so sehr verfallen war, dass der Stamm jeden Moment umzufallen drohte. Totes graues Laub zierte die ursprünglich dichte Baumkrone.
Kendrick lief daran vorbei, dicht gefolgt von Melbourne und dem Rest des Teams, und begann die Stufen der Veranda hinaufzusteigen. Die Körper waren so verfallen, dass man ihr Geschlecht nicht mehr erkennen konnte. Das Einzige, was einen Hinweis darauf gab, war das Kleid, welches die Leiche in dem Stuhl links von Kendrick trug, und die Stiefel und der Overall an der Leiche in dem Stuhl auf der rechten Seite. Beide trugen Eheringe, auch wenn diese ins Fleisch eingesunken waren, als würde die Haut lediglich aus weichem Gummi bestehen.
Unter den Stühlen hatten sich Lachen einer dunkelroten Flüssigkeit gebildet.
»Sehen Sie das?«, fragte Kendrick.
Melbourne nickte. Natürlich sehe ich das. »Ja.«
Kendrick deutete auf den Mann, der noch immer in einer vermeintlich entspannten Pose dasaß und die Beine verschränkt hatte. »Er ist genau in dieser Position gestorben«, sagte er. »Der Virus hat ihn so hart und so schnell getroffen, dass ihm noch nicht einmal die Zeit für einen Todeskampf geblieben ist. Er war in dem Moment tot gewesen, als das Virus ihn befiel. Sie wahrscheinlich ebenfalls.«
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