»Ich würde gerne …«, sage ich, puhle in meiner Unruhe und versuche, sie beiseitezuschieben. »Ich kann am Donnerstag nur einfach nicht …«
»Vergiss es«, sagt Amanda.
»Ich will einfach gerne diesen Film sehen«, fahre ich fort.
»Mein Gott, fängst du jetzt auch noch an, alleine ins Kino zu gehen?« Amanda stöhnt. »Vergiss es einfach, irgendjemand wird sicher gerne von mir gefragt.«
Ehe ich noch protestieren kann, steht Amanda von der Bank auf. Sie baut sich ein paar Meter von mir entfernt auf dem Asphalt auf und schaut sich auf dem Schulhof um. Ich will aufstehen und sagen, dass ich das Kino am Donnerstag sausen lasse und mitkomme, weiß aber, dass ich Samuel dann absagen müsste, und jetzt ist es mir außerdem gelungen, die Verabredung mit Amanda abzusagen, ohne zu lügen. Ich bleibe sitzen und hoffe, dass Amanda nicht allzu sauer ist. Vermutlich geht es vorbei. Vielleicht springt ja irgendein Mädchen aus der Achten, das Amanda bewundert, ein. Sie ist nicht wirklich sauer, denke ich, nicht deswegen, schließlich geht es nur um ein Komitee.
Trotzdem spüre ich die Unruhe in der Magengrube.
Sie sieht sich weiter um. Ich sage ihren Namen und will sie aufhalten, ehe sie richtig wütend wird. Das kann passieren, wenn sie meint, dass ich nicht genug für unsere Freundschaft tue. »Ich opfere alles, Anna, und du machst einfach, was du willst.« Es stimmt, dass sie mehr tut als ich, denn jeden Tag entscheidet sie sich für mich, obwohl genug andere zur Auswahl stehen.
»Ich mach mit, Amanda«, sage ich. Meine Stimme ist rau und klingt ganz seltsam. Sie antwortet nicht. Stattdessen stiefelt sie in Richtung einer Mädchengruppe am anderen Ende des Schulhofs. Es sind die Mädchen aus unserer Klasse.
Alle drehen sich zu ihr um.
In die Ferne sehe ich nicht so fürchterlich gut, aber man müsste blind sein, wenn einem der gespannte Gesichtsausdruck der Mädchen entgehen würde. Ich hätte Ja sagen sollen. Ich hätte mit ihr mitgehen sollen. Warum zögere ich immer? Das ist verkehrt! Ich hätte das verhindern und Samuel einen anderen Tag vorschlagen sollen.
Als gestern seine Nachricht eintraf, zögerte ich auch. »Hast du Lust, was zu unternehmen?« Noch ehe ich antworten konnte, kam schon seine nächste: »Will dich nicht stressen oder so, aber ich kenne hier nicht viele Leute, und du wirkst echt cool.« Ich wollte antworten, dass cool wohl nicht das richtige Wort ist, zögerte dann aber. Ich wollte lieber was Lustiges und Unbekümmertes antworten, was nicht verriet, dass ich aus Nervosität den Kühlschrank saniert hatte, während ich auf seine Nachricht wartete. Aber ich starrte einfach nur wie eine unbeholfene Idiotin auf das Display. Dann kam Mama nach Hause, und ich musste das Handy wegstecken. Als sie die Kühlschranktür öffnete, rief sie: »Oi, oi, oi! Was ist denn hier passiert?« Dann streckte sie den Kopf durch die Tür und sah mich fassungslos an: »Anna, hast du etwa aufgeräumt?« Anschließend dauerte es noch einmal zwei Stunden, bis ich mir zwei armselige Worte abgepresst hatte: »No problem.« Ich ahnte nicht mal, was sie bedeuten sollten. Was war denn no problem? Dass wir chillen wollten? Dass ich cool war? Dass er neu war? Keine Freunde hatte? Ich wäre auf eine Vier minus abgerutscht, hätte Lehrer Ulf meine Handy-Konversation bewerten sollen. »Ungenau und wenig erschöpfend«, hätte er mit Rotstift an den Rand geschrieben.
Sofort bereute ich, so cool geantwortet zu haben, dass meine Nachricht sinnlos geworden war.
Glücklicherweise ließ Samuel sich das augenscheinlich nicht anmerken. Dieses Mal blieb mir nur genügend Zeit, eine Schublade aufzuräumen, ehe er antwortete. »Was kann man in Tana an einem Donnertagabend denn unternehmen? Du bist die Expertin, Anna.« Fast so, als wollte er mich zwingen, ausführlicher zu antworten. Wieder wurde ich unsicher.
Amanda redet. Sie fuchtelt beim Reden immer fürchterlich mit den Händen. Beim Lachen wirft sie den Kopf in den Nacken. Ihr Lachen steckt an. Wenn es das Klassenzimmer erfüllt, dann gelingt es nur wenigen, ernst zu bleiben. »Das ist nicht gefährlich«, sage ich mir. Ich weiß, was Amanda von ihnen hält. Ludmilla, die mit dem dünnen, strähnigen Haar und der Mutter aus Russland, ist ein solcher Fan von Amanda, dass es fast schon lächerlich wirkt. Letztes Jahr hat Ludmillas Mutter Amanda einen Kuchen zum Geburtstag gebacken. Ludmilla hat ihn in die Schule mitgebracht, obwohl sie nicht mal zur Geburtstagsfeier eingeladen war. Das war traurig. Und dann steht da noch Ravna, auf deren T-Shirts immer etwas über die Befreiung der Samen und den Feminismus steht. Dauernd hängt sie irgendwelche Plakate ans Schwarze Brett. Mama findet Ravna taff. Amanda findet Ravna anstrengend, und einmal hat sie gesagt, Ravna solle sich lieber darum kümmern, was sie isst, statt darum, was die Samen tun und lassen. Ravna ist klein und recht kräftig. Ich finde sie auch anstrengend, als könne sie nie Ruhe geben, immer ruft sie irgendwelche Parolen und verdreht alles ins Negative. Ihr Gewicht ist mir egal. Dann ist da noch Line mit den kurzen blonden Haaren – »vermutlich findet sie diesen Lesbenstil cool«. Ich weiß, dass Amanda sie hasst. »Sie benutzt jeden Anlass, um vorzuführen, dass sie drei Akkorde auf ihrer bescheuerten Gitarre spielen kann.« Damit meint Amanda Schulabschlussfeiern und so. Amanda imponiert das nicht. Das kann sie wirklich, sich nicht imponieren lassen. Ich erinnere mich, dass ich das auch dachte, als wir in Biologie Frösche sezierten. Das kann Amanda, dachte ich damals, sie sieht hinter die Fassade der Leute, findet ihre Schwachstellen und macht sie so ungefährlich.
Es macht also nichts, dass Amanda Ludmilla, Ravna und Line jetzt anlächelt.
Keine von ihnen bedroht mich und meine Freundschaft mit Amanda.
Das tut sie nur, um mir zu zeigen, dass ich mich zusammennehmen und eine bessere Freundin sein soll.
Eigentlich zeigt sie mir nur, wie viel ich ihr bedeute.
Denke ich.
Und jetzt denke ich noch an den Abend gestern, als ich wie versteinert in meinem Zimmer auf die Nachricht starrte und mir überlegte, was ich antworten sollte. Ich musste noch etwas schreiben. Bislang ließen sich meine Nachrichten in beide Richtungen deuten. Ja oder nein? Ich fürchtete, dass Amanda recht hatte und dass er mich verarschte. Aber er war neu in Tana, war im Frühjahr nicht hier gewesen und wirkte aufrichtig. Ich beschloss, an ihn zu glauben und ihm zu zeigen, dass ich nicht nur verrückt auf Bücher bin, sondern dass noch mehr in mir steckt. »Ausflug mit dem Flusskahn«, schrieb ich an Samuel und fand, dass das recht nonchalant und weltläufig klang. »Ja! Bin dabei! Was soll ich mitbringen? Schwimmweste? (Sorry, aber ich bin von der Küste und weiß nicht, was auf Flüssen angesagt ist.)« So ging es den ganzen Abend weiter. Es war befreiend, schreiben zu können, und nicht reden zu müssen. Irgendwie benahm ich mich dann weniger seltsam. Ich dachte, dass Amanda stolz auf mich wäre. Mit jeder Nachricht fiel es mir leichter, und schließlich endete alles mit absurden Emojis.
Amanda legt Line einen Arm um die Schultern.
Ich verlagere mein Gewicht von einem Bein aufs andere.
Amanda wirft ihren Kopf bei einem neuen Lachanfall in den Nacken. Meine Güte, was sie heute für einen Spaß hat!, denke ich. Dann sagt Line etwas, denn ihre Lippen bewegen sich, und Amanda lässt sie los, wirft sich dann aber sofort wieder auf sie und umarmt sie.
Eigentlich tut mir das nicht weh, denn ich weiß, dass sie mir damit eins auswischen will. Das ist das Lehrgeld, das ich zu zahlen habe. Alles nur gespielt. Dann ist Amanda fertig, dreht sich um und kehrt eilig zu mir zurück. Sie wirkt zufrieden. Sie lächelt, sieht mich aber nicht an.
»Hast du jemanden für das Komitee gefunden?«, frage ich leise, vertraulich.
Sie nimmt wieder auf dem Tisch Platz, zieht einen Taschenspiegel aus der Jacke und betrachtet sich. Das hat sie nicht nötig, denn sie ist immer perfekt geschminkt. Sie antwortet, ohne mich anzuschauen.
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