Dieses Ideal könnte man grafisch so abbilden, dass es eine Gleichberechtigung der beteiligten Akteure gibt, Themen öffentlich einzubringen und sie – gefördert und gebündelt durch die verfasste Kommune – diskutiert und entschieden zu sehen (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Ideale Verbindung von Themen gesellschaftlich-demokratischen Engagements in Öffentlichkeit und Kommune
Quelle: Eigene Darstellung
In der Realität – so die hier aufgestellte Hypothese – läuft es jedoch häufig anders. Gerade wenn man die Perspektive von Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe betrachtet, stellen diese im Alltag häufig die institutionellen Themen und Aufgaben in das Zentrum ihres Handelns. Diese beziehen sich im Wesentlichen auf ihre pädagogischen Aufgaben und kaum auf ihre Integration in öffentliche Diskurse und politische Prozesse der Kommune. Die kommunal relevanten Themen der Adressat*innen und der anderen Akteure ihrer sozialräumlich-politischen Umwelt fließen damit nur wenig in das Handeln der Einrichtungen ein. Diese betrachten sich als Inseln in den Öffentlichkeiten der Kommune und höchstens mittels ihrer Träger und in Bezug auf die Aushandlung von Rahmenbedingungen mit der verfassten Kommune als politische Akteure. Nur sehr selten nehmen die Einrichtungen ihre Aufgabe wahr, das gesellschaftlich-demokratische Engagement ihrer Adressat*innen in der Kommune zu fördern, indem sie bei deren Themen ansetzen. Grafisch lässt sich das wie in Abbildung 2darstellen.
Abbildung 2: Häufige Realität: Wenige Überschneidungen zwischen Jugendthemen und politischer Kommune, Organisationen und Zivilgesellschaft
Quelle: Eigene Darstellung
Folgt man den KoKoDe-Prinzipien, stellt man die Themen der Kinder und Jugendlichen ins Zentrum der Förderung gesellschaftlich-demokratischen Handelns durch die Einrichtung. Obwohl aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen genau diese Förderung politischen Handelns ihrer Adressat*innen im Zentrum stehen muss – zumindest was diesen Teil ihres Aufgabenspektrums angeht –, müssen auch die Themen der anderen Akteure und die öffentlichen Aushandlungsprozesse dazu für die Kinder und Jugendlichen zugänglich gemacht werden. Daher sind auch diese Akteursgruppen in die Förderung gesellschaftlich-demokratischen Engagements seitens der Einrichtungen einzubeziehen. Insgesamt geht es darum, die Einrichtungen (eben auch in Kooperation) mit ihren Adressat*innen in die demokratisch-politische Arena der Kommune einzubringen – auch als Mitakteure der gemeinsamen Verantwortung für die Kommune (siehe Abbildung 3).
Abbildung 3: Im Zentrum der Förderung: Themen der Kinder und Jugendlichen zu gesellschaftlich-demokratischem Engagement in der Kommune
Quelle: Eigene Darstellung
Es geht somit auch darum, die Perspektive der Kinder und Jugendlichen nicht nur auf deren Themen, Interessen und Konflikte zu richten, sondern sie auch umgekehrt mit den Themen, Interessen und Konflikten des Gemeinwesens zu konfrontieren. Das bedeutet ebenfalls, sie zu unterstützen, ihre Sicht- und Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Denn gerade für Kinder und Jugendliche in benachteiligten Lebenslagen kann es sonst zu einer Einschränkung ihrer Möglichkeiten kommen, Themen zu entwickeln, die ihre Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten stark erweitern würden. Eine solche Grundhaltung und Handlungsweise kann mit Bourdieu als „Habitus der Notwendigkeit“ bezeichnet werden. El-Mafaalani (2014: 19) erklärt das so: „Untere Schichten zeichnen sich nach Bourdieu durch einen Habitus der Notwendigkeit aus, ein Habitus also, der bei der Wahrnehmung einer Situation die Funktionalität, Anwendbarkeit oder eben die Notwendigkeit in den Vordergrund stellt. Dies erscheint plausibel, da die Sozialisationsbedingungen in unteren Schichten durch Knappheit an ökonomischem Kapital (Geld, Besitz) und kulturellem Kapital (Wissen, Bildung), aber auch an sozialem Kapital (soziale Netzwerke, Anerkennung) gekennzeichnet sind und der Habitus auf ein Management dieser Knappheit ausgerichtet ist. Im Zustand höchster Knappheit muss permanent gefragt werden, ob etwas auch wirklich notwendig ist, wofür man etwas macht, ob es ‚etwas bringt‘, welcher konkrete Sinn dahintersteckt. Ein Kind, das in diesen Verhältnissen aufwächst, entwickelt eine ‚Mentalität‘, in der solche Nutzenabwägungen in allen Lebensbereichen handlungsleitend werden, unter anderem auch in der Schule.“
Beschränkt auf solche Notwendigkeiten, haben Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Lebenslagen oft wenige Vorstellungen darüber, was außerhalb des Gegebenen für sie gut, nützlich, einforderbar wäre. Beispielsweise sind die armen Kinder in unserem Berliner Modellprojekt häufig sozialräumlich vollkommen beschränkt auf ein kleines Gebiet ihrer Stadtteile. Sie bewegen sich wenig darüber hinaus und sehen kaum, was es sonst noch in Berlin, in Deutschland oder in der Welt für sie geben könnte. Wenn man nicht auch solche Möglichkeiten an sie heranträgt und für sie erkennbar macht, bleiben sie in den Bedingungen der Notwendigkeit verhaftet. Aus der Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe, Bildungsgerechtigkeit auszuweiten und auch den benachteiligten Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten einer breiten Weltaneignung zu eröffnen, erwächst hier zudem die Perspektive, ihre Themen und Interessen zu erweitern. Daraus können dann wiederum Inhalte für ihre eigene demokratische Selbstvertretung in der Kommune erwachsen.
So sehr also der KoKoDe-Ansatz darauf besteht, die Themen der Kinder und Jugendlichen ins Zentrum der Förderung ihres gesellschaftlich-demokratischen Engagements zu setzen, so gilt es doch auch, dafür zu sorgen, dass diese Themen erweitert werden, ebenso wie die jungen Menschen mit den Themen, Interessen und Konflikten anderer Akteure im Gemeinwesen zu konfrontieren.
Doch warum das alles? Begründungen für KoKoDe
Der KoKoDe-Ansatz beruht auf konzeptionellen Annahmen zur Bedeutung von Demokratiebildung durch die Ermöglichung demokratischer Partizipation von Kindern und Jugendlichen in pädagogischen Einrichtungen und in der Kommune. Zu deren Bedeutung haben die Publikationen über die im Programm jungbewegt der Bertelsmann Stiftung entstandenen Modelle ausführliche Begründungen und methodische Anregungen geliefert: für die Offene Kinder- und Jugendarbeit im Rahmen des GEBe-Konzepts und für das Feld der Kita im Konzept „Mitentscheiden und Mithandeln in der Kita“ (Knauer, Sturzenhecker und Hansen 2011; Hansen und Knauer 2015; zur demokratischen Partizipation in pädagogischen Organisationen generell vgl. Richter et al. 2016). 2Die Begründungen und konzeptionellen Ansätze dieser Konzepte sollen hier nicht ausführlich dargestellt, doch wesentliche Begründungsstränge wenigstens in kurzen Zusammenfassungen noch einmal verdeutlicht werden:
1. Was ist demokratische Partizipation von Kindern und Jugendlichen und warum sollte man sie in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe fördern?
2. Warum ist demokratische Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Kommune zu fördern ?
3. Warum ist Kooperation von Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen wichtig zur Stärkung demokratischer Partizipation ihrer Adressat*innen in der Kommune?
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