Soziodemographische und familiäre Faktoren
Ein niedriger Bildungsstand ebenso wie ein geringerer sozioökonomischer Status stellen einen Risikofaktor für die Entstehung einer PTBS dar (Brewin et al. 2000; Perkonigg et al. 2000).
In der Meta-Analyse von Ozer et al. (2003) wurde ein Zusammenhang zu in der Familie berichteter Psychopathologie offensichtlich: Leidet ein Familienmitglied an einer psychischen Störung, so erhöht dies das Risiko für eine PTBS. Der Zusammenhang liegt insgesamt im kleinen bis mittleren Bereich und schwankt sehr stark, je nach Art des traumatischen Ereignisses (niedriger für eine PTBS nach Kriegs- oder Kampferfahrungen) und der Erhebungsmethode. Ebenfalls in dieser Meta-Analyse relevant waren vorangehende psychologische Probleme bei der betroffenen Person selbst: Prätraumatische emotionale Probleme, Angst- oder affektive Störungen, vorangegangene psychologische Behandlung, aber auch antisoziale Persönlichkeitsstrukturen bei Militärangehörigen stellen ein erhöhtes Risiko für die Entstehung einer PTBS dar. Allerdings wurden diese Informationen in einem Querschnittsdesign erhoben, so dass eine eindeutige Identifikation von Kausalfaktoren nicht möglich ist (Ozer et al. 2003).
Nicht jede traumatische Erfahrung ist gleich schädigend (pathogen) für die psychische Gesundheit. Tabelle 3.2 zeigt die Abhängigkeit der PTBS-Diagnose vom subjektiv schlimmsten erlebten Ereignistyps in der repräsentativen ICD-11-Studie aus Deutschland (
Tab. 3.2 Tab. 3.2: PTBS-Häufigkeit nach Trauma-Art bei Angabe des subjektiv schlimmsten Ereignisses (503 Teilnehmende) (nach Maercker et al. 2018) Traumatyp (subjektiv schlimmstes Ereignis)PTBS Angaben in %KPTBS Angaben in % Allgemein kann ein Dosis-Wirkungszusammenhang zwischen der kumulierten Anzahl der traumatischen Ereignisse und dem gesteigerten Risiko einer PTBS beobachtet werden. Auch »objektivierbare« Parameter wie die Zeitdauer des Ereignisses, das Ausmaß an Schaden (z. B. Anzahl Verletze oder Tote), aber auch die wahrgenommene Lebensbedrohung steht in Zusammenhang mit der Entwicklung der PTBS (Kaysen et al. 2010; Ozer et al. 2003).
). Es wird deutlich, dass sexuelle Gewalterfahrungen in Kindheit und Erwachsenalter sowie Gefangenschaft mit dem höchsten Risiko einer PTBS und auch KPTBS einhergehen (Maercker et al. 2018). Auch wenn die Erkenntnisse teilweise auf sehr geringen Personenanzahlen in den jeweiligen Kategorien beruhen, so decken sich diese Angaben mit internationalen Befunden.
Tab. 3.2: PTBS-Häufigkeit nach Trauma-Art bei Angabe des subjektiv schlimmsten Ereignisses (503 Teilnehmende) (nach Maercker et al. 2018)
Traumatyp (subjektiv schlimmstes Ereignis)PTBS Angaben in %KPTBS Angaben in %
Allgemein kann ein Dosis-Wirkungszusammenhang zwischen der kumulierten Anzahl der traumatischen Ereignisse und dem gesteigerten Risiko einer PTBS beobachtet werden. Auch »objektivierbare« Parameter wie die Zeitdauer des Ereignisses, das Ausmaß an Schaden (z. B. Anzahl Verletze oder Tote), aber auch die wahrgenommene Lebensbedrohung steht in Zusammenhang mit der Entwicklung der PTBS (Kaysen et al. 2010; Ozer et al. 2003).
Peritraumatische Reaktionen
Die Meta-Analyse von Ozer et al. (2003) zeigt, dass peritraumatische Faktoren die größte Rolle hinsichtlich der Entstehung einer PTBS spielen. Betroffene, die während des Ereignisses stark negativ emotional reagieren (z. B. große Furcht, Schuld, Scham und Gefühle der Hilflosigkeit), haben ein erhöhtes Risiko, an einer PTBS zu erkranken. Ebenfalls ist eine während des Ereignisses stattfindende Dissoziation ein wichtiger Prädiktor (Ozer et al. 2003). Diese Befunde decken sich mit Studien mit politisch Inhaftierten und Überlebenden sexueller Gewalt zur persönlichen Bewertung des traumatischen Ereignisses: In den Untersuchungen war der subjektiv wahrgenommene Handlungsspielraum während des Ereignisses prädiktiv für die Symptomatik der PTBS bzw. Symptomreduktion nach psychotherapeutischer Behandlung, da diese Personen ihr Erlebtes besser integrieren und verarbeiten können (Ehlers et al. 2000; Maercker et al. 2000). Diese peritraumatischen Reaktionen spielen in kognitiven Modellen und Therapien der PTBS eine große Rolle.
Posttraumatische Einflüsse
Durch zwei Meta-Analysen bestätigt ist die große Rolle von fehlender sozialer Unterstützung bei der Entwicklung einer PTBS nach dem Erleben eines traumatischen Ereignisses (Brewin et al. 2000; Ozer et al. 2003). Soziale Unterstützung kann nicht nur in der Familie erfolgen, sondern erstreckt sich auf das gesamte weitere soziale Umfeld (Maercker et al. 2017; Maercker und Müller 2004). Basierend auf diesen Befunden wurde das sozio-interpersonale Rahmenmodell der PTBS entwickelt, das in Kapitel 5 vorgestellt wird (
Kap. 5
).
Nicht jede Person, die ein traumatisches Ereignis erlebt hat, entwickelt eine chronische PTBS. Erst die diagnostische Abklärung und Einordnung von Symptomen und Beschwerden ermöglicht die akkurate Diagnosestellung und damit Behandlungsplanung.
Individuelle Verläufe der PTBS sind kaum vorherzusagen und folgen keinem eindeutigen Muster. Eine Meta-Analyse mit 42 Studien zeigt, dass ungefähr die Hälfte der Personen mit einer PTBS Symptomatik nach mehr als drei Jahren ohne spezifische Behandlung keine Symptome mehr aufweist. Jedoch liegt eine sehr große Streuung vor, abhängig von dem Erhebungszeitpunkt und der Art des Ereignisses (Morina et al. 2014). Insgesamt scheint ein verzögerter Beginn der PTBS ohne vorherige traumabezogene Beschwerden eher selten der Fall zu sein (in einer Größenordnung unter 10 %), wie eine andere Überblicksarbeit verdeutlicht (Andrews et al. 2007). Diese Studien verdeutlichen, dass in jedem Alter mit dem Vorhandensein einer PTBS gerechnet werden muss, unabhängig vom Zeitpunkt des traumatischen Ereignisses.
4 Komorbidität und Begleitemotionen
Bei Patienten und Patientinnen mit PTBS sind weitere psychische Störungen und Symptome sehr wahrscheinlich.
Beim überwiegenden Anteil der Betroffenen liegt neben der PTBS mindestens noch eine weitere psychische Störung vor, häufig sogar zwei oder mehr Diagnosen. Häufig komorbid zur PTBS auftretende Erkrankungen sind affektive Störungen, Substanzmissbrauch und Angststörungen, aber auch somatoforme Störungen. In vielen Fällen handelt es sich bei der PTBS um die Primärdiagnose und andere Störungsbilder entwickeln sich als dysfunktionale Bewältigungsstrategien – z. B. Alkoholmissbrauch zur vermeintlichen Reduktion des Wiedererlebens entwickelt sich zur Abhängigkeit (Kessler 1995; Perkonigg et al. 2000). Für die Therapieplanung sollte daher eingegrenzt werden, ob es sich bei der PTBS/KPTBS um die primäre Störung handelt oder ob sie sich sekundär entwickelt hat. Anhand des traumatischen Ereignisses und dem zeitlichen Beginn der Symptome lässt sich dies meist gut einordnen.
Bei der PTBS treten verschiedene Emotionen gehäuft auf, die nicht den diagnostischen Kriterien zugeordnet werden, therapeutisch aber eine große Relevanz aufweisen. Dazu gehören soziale Emotionen wie Scham, die Angst vor der Zurückweisung durch andere aufgrund des eigenen Verhaltens (Gilbert 2000) und Schuld, Überzeugung, dass man anders hätte handeln sollen und können (Kubany und Watson 2003). Betroffene nach Gewalterfahrungen erleben vermehrt Schuld und Scham, dies wiederum fördert die Entstehung der PTBS (Aakvaag et al. 2016; Andrews et al. 2000).
Читать дальше