»Es ist unglaublich«, brachte ich heraus und drehte mich einmal um meine eigene Achse, um die gesamte Pracht des Werkes zu erfassen. »Was macht sie?«, wollte ich wissen und Mr Reeds bittere Miene schmolz direkt vor meinen Augen dahin.
»Sie findet Bücher«, erklärte er milde und leider konnte ich nicht begreifen, was es bedeuten sollte. »Ich zeig’s Ihnen«, bot er etwas zu eifrig an und ein Lächeln versteckte sich in seinem Mundwinkel.
Ich folgte Mr Reed aus dem Zahnrädergewirr heraus, ein Weg, den ich allein nur schwer wiedergefunden hätte, und durchquerte den kleinen Raum, der die Maschine von dem Rundgang trennte.
Mr Reed lief ein paar Meter an der Wand entlang und wandte sich dann einem Verschlag zu, der zuvor meiner Aufmerksamkeit völlig entgangen war, da er die gleiche Holztäfelung wie der Rest der Wand aufwies. Der Bibliothekar zog einen Schlüsselbund hervor und schloss damit den Verschlag auf. Mit etwas Mühe stemmte er sich gegen die breiten Türen und schob sie zur Seite.
Vor mir erschien ein Podest, auf dem eine Schreibmaschinentastatur befestigt war. Dahinter war eine Reihe Plättchen angebracht und darüber ein paar metallene Schienen, die aus der Wand ragten.
»Nehmen wir an, Sie suchen ein Buch. Eines über Physik oder Gesellschaftsrecht«, begann Mr Reed seine Erklärung und zum ersten Mal an diesem Tag sah er mich wirklich an.
Und obwohl er immer noch der steife, geringschätzende Bibliothekar war, wirkte er nicht mehr ganz so unzugänglich wie zuvor. Diese Maschine begeisterte ihn und ich hörte ihm gespannt zu.
»Sie schreiben ein Wort mit den Tasten, das das Buch, welches Sie suchen, beschreibt und die Maschine sucht für Sie alle Bücher raus, die zuvor mit diesem Wort verbunden wurden«, führte er weiter aus und ich konnte nicht glauben, was er mir da erzählte. Das war wirklich spektakulär.
Ich starrte ihn zuerst nur fassungslos an, schaffte es aber schließlich, meinen Mund wieder zu schließen und fuhr mir dann mit der Zungenspitze über die Unterlippe, um sie etwas anzufeuchten, bevor ich sprach.
»Dürfte … ich das ausprobieren?«, fragte ich für meine Verhältnisse recht schüchtern und auf Mr Reeds Gesicht erschien ein Lächeln. Ein echtes, eines, das mich überraschte und gleichermaßen verwirrte.
»Aber natürlich, Miss Crumb«, gab er mir die Erlaubnis und wandte sich dann den Tasten zu. »Mr Lennox?«, rief er durch eine der Öffnungen, durch die die Schienen nach vorne führten und durch die man einen Blick auf die sich dahinter befindende Maschine werfen konnte.
»Bin gleich so weit!«, antwortete die Stimme des jungen Mannes aus den Tiefen des Raumes, gefolgt von einem lauten Knirschen. »Repariert und aufgezogen, Sir! Aber geben Sie mir einen Moment, damit ich hier wieder rauskomme, bevor Sie die Lady anwerfen.« Scheppern und polternde Schritte folgten, und dann tauchte der junge Mann mit dem ölverschmierten Gesicht auch schon in der Tür auf.
Mr Reed machte eine auffordernde Geste mit der Hand und ich riss meinen Blick von dem Mechaniker los, der mich ebenfalls anlächelte.
Zögerlich trat ich an das Podest, dachte einen Moment nach und legte dann meine Finger auf die Tasten. Sie ließen sich erstaunlich leicht drücken und jeder Buchstabe, den ich auswählte, erschien auf den Plättchen dahinter. Mit einem leisen Klackern kamen ein T, ein H, ein E und ein R zum Vorschein. Thermodynamik schrieb ich es aus und holte tief Luft, in der Erwartung, dass sofort etwas geschehen musste. Doch es passierte gar nichts.
»Habe ich was falsch gemacht?«, wollte ich wissen und der Mechaniker neben mir lachte. Er zog einen Lappen aus der Hosentasche und wischte sich das Gesicht sauber.
»Sie müssen nur bestätigen«, wies Mr Reed mich drauf hin und zeigte auf einen kleinen Hebel neben den Tasten.
Vorsichtig griff ich danach, zog ihn nach vorne und sofort begann die Maschine zu schnurren wie eine Katze, die gekrault werden wollte.
Zahnräder setzten sich in Bewegung, Federn spannten sich, Riemen drehten sich. Und ich konnte nicht anders, als mich vorzubeugen und durch die Öffnung in der Wand zu starren, wie ein Kind, das sich an der Fensterscheibe eines Süßwarengeschäftes die Nase platt drückte. Es war wie das erste Mal in die Sterne zu sehen, und ich hätte gerne laut gelacht wegen des überschäumenden Gefühls in meiner Brust.
Und dann kam etwas auf mich zu. Erschrocken wich ich zurück und drei schmale Holzkarten schossen aus der Öffnung hervor, stießen ans Ende der Schiene und blieben schwankend stehen. Diese Karten hatte ich auch in meiner Kammer gesehen. Die beiden Löcher am oberen Teil waren also die Aufhängung für diese Schiene.
Doch am erstaunlichsten war, dass all diese Karten die Titel von Büchern wiedergaben, in denen es um Thermodynamik ging. Die Thermodynamik chemischer Vorgänge von Helmholtz, Thermochemische Untersuchungen von Hermann Heinrich Hess und ein Lehrbuch der physikalischen Chemie.
»Umwerfend«, konnte ich nur sagen und Mr Reeds Lächeln verharrte auf seinen Lippen. Er sah recht ansehnlich aus, wenn er lächelte.
Doch dann verschwand es plötzlich, er straffte die Schultern, bekam wieder sein ernstes, verkniffenes Gesicht und räusperte sich dann dezent, während er eine silberne Taschenuhr hervorholte. »Gut. Nachdem Sie nun wissen, was es ist, überlasse ich Sie Mr Lennox«, klärte er mich auf, während er auf die Uhr spähte und sich dabei schon fast wieder abgewandt hatte. »Er hat dieses Monster gebaut und er wird Ihnen auch erklären, wie Sie in Zukunft die Karteikarten in die Schienen einhängen können.« Er nahm seine Brille von ihrem Platz an seiner Weste und setzte sie sich auf die Nase. »Aber passen Sie auf die vierte Stufe auf. Die ist locker«, sagte er, ließ die Uhr wieder in der Tasche verschwinden und ging.
Verwundert sah ich ihm nach, wie er in seinem Büro verschwand, und wusste nicht, was ich davon zu halten hatte. Wer war dieser Mann? Ein verklemmter, verstaubter Bibliothekar oder ein fortschrittsliebender Visionär? Und wie ließen sich diese zwei Seiten, die er mir bisher gezeigt hatte, in einer Person vereinbaren?
Wirklich kompliziert.
Das Achte oder das, in dem ich eine tollkühne Tat plante.
Es war nicht so einfach zu verstehen, wie die Karteikarten in die Maschine sortiert wurden, sodass sie auch korrekt wieder abgerufen werden konnten. Hinzu kam, dass Jamie Lennox zwar ein gesprächiger Bursche, aber ein miserabler Lehrer war. Und als ich das System endlich begriff, hatte ich unfreiwillig ebenfalls erfahren, dass Mr Lennox’ Familie aus Nordengland stammte, sie allesamt Uhrmacher waren, sein Vater die Maschine entworfen hatte und dass seine Mutter diese Arbeit mit den großen Teilen gar nicht schätzte.
Er war höflich und nett und aus irgendeinem Grund mochte ich ihn, ganz gleich, dass er viel zu viel redete. Er war nicht dumm, auch wenn er sich nicht so gewählt ausdrückte wie die feine Gesellschaft, und ich beantwortete ihm sogar seine Fragen zu meiner Person und wie es dazu gekommen war, dass ich jetzt hier arbeitete, obwohl es für gewöhnlich nicht meine Art war, fremden Männern so was auf die Nase zu binden. Er brachte mich dreimal zum Lachen und gegen Ende konnte ich mich des Eindrucks nicht mehr erwehren, dass er versuchte, mich mit seinem Charme für sich zu gewinnen.
Der Klang von Big Ben ließ ihn nach einer vergangenen Stunde jedoch zusammenschrecken, er entschuldigte sich eilig und packte sein Werkzeug zusammen.
»Sagen Sie Mr Reed, wenn er zurück ist, dass ich mich nächste Woche um die Stufe kümmere. Ich muss jetzt los«, teilte er mir mit und ich runzelte die Stirn.
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