Meine Mutter würde sie hassen. Und das gab mir noch mehr Anlass, diese Dame zu mögen.
»Elisa Hemmilton. Stets zu Diensten, wenn eine Jungfrau in Not von einem fetten, glatzköpfigen Junggesellen umworben wird«, eröffnete sie mir und ich hielt mir erschrocken den Mund zu, als ob ich es selbst gesagt hätte.
»Schau nicht so schockiert, Herzchen. Sie alle denken es. Ich bin nur die Einzige, die es ausspricht«, warf sie mir vor und ich nickte. Denn auch meine Gedanken waren zweifelsohne in diese Richtung gegangen.
»Animant Crumb«, stellte ich mich also vor, um nicht darauf eingehen zu müssen, und Elisa Hemmilton griff freudig nach der Hand, die kein Glas hielt, um sie zu schütteln. Mein Sandwich musste ich bei unserer Flucht irgendwo verloren haben.
»Was für ein außergewöhnlicher Name. Ich bin begeistert«, gestand sie mir und trieb mir damit doch wirklich die Röte ins Gesicht. Sie ließ meine Hand wieder los und strich sich sehr unelegant eine Haarsträhne hinters Ohr. »Ich muss gestehen, ich habe dich nicht ganz uneigennützig vor Mr Schweinegesicht gerettet«, erzählte sie mir und ich blinzelte überrascht, weil ich mir nicht vorstellen konnte, was sie wohl von mir wollte. »Ich stand nahe bei dir, als du sagtest, dass du arbeiten würdest. Und das war mit Abstand das Interessanteste, was jemand an diesem Abend, bei diesem Haufen lackaffiger reicher Schnösel hätte sagen können«, endete sie und ich musste aufpassen, dass ich jetzt nicht wegen ihrer derben Ausdrucksweise errötete.
»Danke«, kam es aus meinem Mund, und es klang gefasster, als ich mich fühlte.
»Arbeitest du, um dir deinen Lebensunterhalt zu verdienen?«, fragte Elisa Hemmilton mich aus und ich hob skeptisch die Augenbrauen.
»Nein«, gestand ich ihr und obwohl ich erwartete, dass sie enttäuscht sein würde, schien das Leuchten ihrer eisblauen Augen nur stärker zu werden.
»Dein Vater besitzt also Vermögen.« Es war eine Feststellung, keine Frage. Und in mir wurde die Vermutung laut, dass es sich bei Elisa nicht so verhielt. Ihr Vater hatte wahrscheinlich kein Vermögen. Fragte sich jetzt nur, wie sie es dann geschafft hatte, auf diese Soiree eingeladen worden zu sein.
»Und welchen Grund hast du dann, um zu arbeiten?«, wollte sie wissen und ich spürte, dass dies der Drehpunkt in dieser Unterhaltung war, das Geheimnis, das sich Elisa Hemmilton vorgenommen hatte zu lüften.
»Damit meine Mutter mich nicht verheiratet«, sagte ich, ohne vorher darüber nachgedacht zu haben, und Elisas Augen wurden beinahe doppelt so groß, bevor sie schallend zu lachen begann.
Einige Gentlemen und drei Ladys sahen sich pikiert nach uns um und ich war nur froh, dass mich hier niemand kannte.
»Ich hab es gewusst. Wir sind uns ähnlich«, meinte Elisa und strich sich mit spitzen Fingern eine Lachträne aus dem Augenwinkel.
»Du arbeitest auch?«, erkundigte ich mich und benutzte ebenso wie sie eine vertrautere Art der Ansprache, die sie mir zwar nicht angeboten hatte, aber selbstverständlich zu nehmen schien.
»Nein«, antwortete sie und grinste. »Ich studiere.«
Das überraschte mich sehr. Ich war noch keiner studierenden Frau begegnet, aber wahrscheinlich musste sie genau so selbstbewusst sein, wie Elisa es war.
Die Universität für Frauen war erst wenige Jahre alt und kämpfte immer noch um die vollständige staatliche Anerkennung. Ihre Mittel waren begrenzt, die Studienfächer von dürftiger Anzahl und allein der Ruf, der einer studierenden Frau anhaftete, hätte schon dafür gereicht, um mich abzuschrecken.
»Das ist jetzt wirklich unglaublich«, entfuhr es mir und ich empfand Bewunderung für sie und ihren Mut.
»Nicht wirklich«, winkte Elisa ab und tat so, als sei es nichts Besonderes. Doch das winzige Lächeln in ihren Mundwinkeln verriet sie. »Die Universität ist klein und wenn ich einmal fertig bin, ist nicht einmal sicher, ob ich einen echten Abschluss bekomme.«
»Warum tust du es dann?«, war es nun an mir zu fragen und Elisa lachte heiter.
»Aus dem gleichen Grund wie du. Um nicht die Frau des Fischhändlersohns zu werden«, gab sie zurück und ich fühlte mich in meiner Vermutung bestätigt, dass ihre Eltern wohl kein großes Vermögen hatten. Meine Mutter würde mich nie mit einem Fischhändlersohn verheiraten. Zumindest nicht, solange sie die Wahl hatte oder ich ihn ihr nicht als Liebe meines Lebens vorstellte.
Ich lächelte und Elisa war redefreudig genug, mir mehr zu erzählen, ohne dass ich so impertinent sein musste, zu fragen.
»Ich habe das große Glück, eine Gönnerin zu haben, die mir das Studium finanziell ermöglicht«, erzählte sie und ich nickte. »Doch leider besteht sie darauf, dass ich sie auf diese spießigen Veranstaltungen begleite. Ich tu es, aber ich hasse es. Vor allem diesen Schmuck.« Sie zupfte leicht an dem kleinen Hut, den man ihr an der Hochsteckfrisur befestigt hatte, und schnippte gegen die langen, bunt gefärbten Federn. »Was soll das darstellen? Bin ich ein Papagei?«, fragte sie gespielt schockiert und wir fingen beide gleichzeitig zu lachen an, weil es einfach absurd klang.
»Ich weiß es nicht. Ich weigere mich, so etwas zu tragen. Wenn meine Tante mich nicht überredet hätte, wäre ich gar nicht hier«, erzählte ich freimütiger, als ich es von mir gewohnt war, aber Elisa schien es nichts auszumachen.
Sie grinste und beugte sich interessiert zu mir vor. »Und was würdest du jetzt tun, wenn du die Wahl hättest?«, wollte sie wissen und ich brauchte nicht lange zu überlegen.
»Ich würde in meinem Sessel sitzen und lesen«, sagte ich.
»So eine bist du also: eine Stubenhockerin«, gab sie zurück und obwohl es direkt war, empfand ich es nicht als Beleidigung.
»Und was würdest du machen?«, wollte ich daher wissen und sie legte sich den Zeigefinger auf die Lippen, um kurz darüber nachzudenken.
»Hm. Wahrscheinlich würde ich in einem Pub sitzen und mir von meinen Cousins erzählen lassen, wie undamenhaft ich doch bin und ich so niemals einen Ehemann bekomme«, erzählte sie.
»So eine bist du also: eine Saufnase«, kommentierte ich mit einem versteckten Lächeln und Elisa kicherte.
»Touché«, gab sie zu und machte ein albernes Gesicht. »Ich glaube, ich hab’ mich spontan in dich verliebt, Animant«, sagte sie mit einem charmanten Augenaufschlag, den sie selbst nicht wirklich ernst nahm, und plötzlich war ich froh, nicht allein zu Hause geblieben zu sein.
Das Siebte oder das, in dem ich in die Welt der Maschine eintauchte.
Als ich an diesem Morgen vor der Bibliothek stand, wunderte sich Mr Reed nicht mehr darüber. Und wenn doch, verbarg er es zumindest besser als am Morgen zuvor. Er grüßte undeutlich, sah mir nicht ins Gesicht und schien auch so sehr schlecht gelaunt zu sein.
Aber das war mir heute gleichgültig, da ich nicht besonders viel geschlafen hatte und schon seit dem Aufwachen von leichten Kopfschmerzen geplagt wurde. Ich konnte es in diesem Moment nicht gebrauchen, von Mr Reed irgendeinen Kommentar darüber zu hören.
Still folgte ich ihm die Treppen auf den Rundgang hinauf und sah ihn ohne ein weiteres Wort in seinem Büro verschwinden, dessen Tür er mit mehr Nachdruck schloss, als nötig gewesen wäre.
Ich legte meinen Mantel in dem kleinen Räumchen nebenan ab, fragte mich, was wohl vorgefallen war und ob es etwas mit dem Gentleman von gestern zu tun haben konnte. War er womöglich deshalb immer noch so verstimmt?
Ich begann mit den Zeitungen im Foyer, holte sie aus den Verspannungen, immer die Angst vor dem finsteren Archiv in der Magengrube. Doch diesmal wusste ich ja, was mich dort unten erwartete. Es würde also viel schneller gehen. Hoffte ich zumindest.
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