Moment, sagte Leni, hab ganz vergessen, dir das Geschenk zu geben. Ich muss unbedingt was tun gegen meine Vergesslichkeit. Hab gelesen, Knoblauchpillen sollen gut sein. Aber die schmecken bestimmt eklig.
Geschenk?, sagte ich, und mein Herz schlug etwas höher. Nach dem tollen Schweizer Messer war jede Steigerung möglich.
Leni erzählte vom Einschreiben ihres Bruders Hannes, das gestern angekommen sei. Zuerst habe sie einen Schreck bekommen, denn Einschreiben bedeuteten meist nichts Gutes. Diesmal aber doch!
Mein Onkel hatte es im Leben zu was gebracht. Bestens eingeheiratet, war er Geschäftsmann in Lindau am Bodensee geworden, Damenoberbekleidung. Dringende Angelegenheiten in Österreich und der Schweiz, so Leni weiter, hätten meinen Onkel davon abgehalten, mir rechtzeitig zum Geburtstag zu gratulieren. Und dass er uns alle zu sich in den Süden einlade, nach Bayern, am besten in den Sommerferien.
Dann der Satz der Sätze: Als verspätetes Geburtstagsgeschenk hat er einen Fünfziger für dich beigelegt. Deshalb der eingeschriebene Brief.
Jetzt war mein Herz zur Stelle und zeigte, was es konnte. Das Geld würde ich in eine Blue Jeans und in Christel investieren, da musste ich nicht lange überlegen.
Die beschwipste Leni fuhr mit den Fingern durch Vaters dichtes, zurückgekämmtes Haar. Anscheinend merkte sie nicht, dass es brenzlig wurde. Vaters Gesichtsausdruck hatte sich völlig verändert. Er konnte seinen Schwager nicht ausstehen. Ein Angeber war der für ihn, und die Modebranche so was Ähnliches wie das Puffgewerbe.
Sei nicht wieder böse, Schatz, aber ich würd mir wirklich gern eine Arbeit suchen, sagte Leni, sprunghaft von Bayern zurück nach Nordrhein-Westfalen.
Dann hätten wir bald einen Fernsehapparat und vielleicht ein kleines Auto. Und das mit der Krise in deiner Firma wäre auch nicht so schlimm.
Zack, war die Versöhnungsfeier beendet. Vater stieß Leni mit beiden Händen von seinem Schoß, so heftig, dass sie beinahe hinfiel.
Willst du mich vor allen Leuten lächerlich machen? Sollen die mich für einen Schlappschwanz halten, der seine Familie nicht allein ernähren kann?
Das Radio tat, als wäre nichts geschehen. Es spielte weiter Liebeslieder.
Vater übertönte die Musik mit seinem Geschrei. Gegen die stürmisch gedrückte Türschelle kam er jedoch nicht an.
Herr Welter, Vaters Vorgesetzter in der Fabrik, unfähig und überbezahlt, wie wir wussten, sagte, dass etwas furchtbar schief laufe während der Sonntagsschicht. Vater war Vorarbeiter, Experte, ohne ihn konnten sie einpacken. Er war nicht nur rechte Hand, er war im Gegensatz zu Herrn Welter auch Hirn. Das erzählte er uns nicht selten, Leni strahlte ihn dabei an.
Der Vorgesetzte sprach hektisch von einer üppigen Zulage im Erfolgsfall, während er Leni mit Röntgenaugen verschlang, und dass sein Wagen mit laufendem Motor vor der Haustür stehe. Vater warf sich in Mantel und Schuhe, sagte Jawohl und Jawoll und Herr Welter und Sofort. Und dass er, keine Sorge, die verflixt verrutschte Bohrung schon in den Griff kriegen werde.
Die Sportfreunde Hamborn 07 blieben nach einem überharten Schlagabtausch mit dem SV Sodingen weiterhin in Tuchfühlung mit dem Tabellenkeller , meldete das Radio. Die bisher sportlich forsche Stimme des Sprechers klang bedauernd. Vielleicht kam er aus Hamborn, wo auch immer das war.
Havenstein heftete sich an meine Fersen, folgte meiner Fährte, um mit Karl May zu sprechen. Er war hinter mir her mit seiner Dankbarkeit, ließ nicht locker. Wenn ich mit einem nicht gesehen werden wollte, war er es. Ich schüttelte ihn ab, und schon war er wieder da.
Inzwischen bereute ich, nach der Sportstunde aufs Klo gegangen zu sein, um eine zu qualmen, statt ihn wie der Rest der Klasse mit gelbem und braunem Schnee zu mästen, ihn anzuspucken und zu vermöbeln.
In meiner Schultasche fand ich ein Buch mit den Fotografien eines Naturforschers. Der hatte seine Aufmerksamkeit nicht der Schönheit des Regenwaldes und der Steppe geschenkt, sondern den dort lebenden unbekleideten Schönheiten.
Havenstein legte nach, diesmal mit Aktstudien aus dem jungen Paris . Die Bücher hatte er bestimmt seinem Vater geklaut. Der verdiente sein Geld mit einer Leihbücherei. Für ein paar Pfennige konnte man sich dort mit Romanen, Zeitschriften, Cowboy- und Soldatenheften eindecken. Leni gehörte auch zur Kundschaft. Manchmal schickte sie mich mit einer Liste los. Angélique – Hochzeit wider Willen. Unbezähmbare Angélique. Oberarzt Doktor Willemsen und Schwesternschülerin Martha – Liebe besiegt jeden Widerstand . Havensteins Vater war unsympathisch überfreundlich. Er hatte eine Glatze wie ein schlecht gerupftes Hähnchen und rauchte stinkende Zigarren.
Als Havenstein mir kurz nach den Pariser Aktstudien mit einem Fotoband namens Däninnen ohne Hüllen und Tabus nachstellte, sagte ich: Lass mich verdammt noch mal in Ruhe! Was willst du eigentlich?
Wir könnten was zusammen machen, antwortete er.
Was zusammen machen? Was denn?
Havenstein dachte nach. Straßenbahnen fuhren hin und her, im Standesamt wurden Ehen geschlossen, nebenan vor Gericht wieder geschieden, es wurde geboren und beerdigt, Tauwetter setzte ein, Weihnachten, eben erst vorbei, rückte näher, auf der Welt brachen dreizehn Kriege aus.
Eine Bank überfallen, sagte Havenstein endlich ohne die Spur eines Lächelns. Oder Jenniges killen, tagelang und qualvoll. Irgendwo im Wald, in einer Höhle. Danach Pip und Tóth. Wir könnten eine astreine Mordserie starten!
Damit vielleicht?, sagte ich und holte das Schweizer Messer aus meiner Jackentasche. Ich war bisher nicht dazu gekommen, es auf den Müll zu werfen oder in den Bach, der sich, verseucht von den Beigaben anliegender Fabriken, mitten durch die Stadt quälte.
Havenstein war übergewichtig und behäbig, ein Plumpsack. Bei der kleinsten Aufregung kriegte er eine rote Birne, das große Zittern und kalte Schwitzen. Er ging jedem Zweikampf aus dem Weg, war eine Witzfigur beim Bockspringen, ein trauriger Clown am Reck. Einen perfekteren Bankräuber und Serienmörder hatte die Welt noch nicht gesehen.
Nicht schlecht, sagte Havenstein und prüfte nacheinander die verschiedenen Funktionen der Schweizer Wunderwaffe.
Kannst du haben, sagte ich gnädig. Ich nehm dann die Däninnen, wenn es unbedingt sein muss. Und ab jetzt lässt du mich in Ruhe, kapiert?
Postkartengroße, gerahmte Schwarzweiß-Fotos von Marilyn Monroe, Kuss- und Schmollmund, hingen hier und da, umspielten den Aufruf Neue Kommunionsanzüge eingetroffen! Nyltesthemden mit kurzem und langem Arm türmten sich bis an die Decke. Neuheit! Gebundene Krawatten mit Gummizug – Kein lästiges Knoten mehr!
Der Inhaber des Ladens trug Bügelfaltenhose, karierte Weste und ein abgenutztes Lächeln. Am Ziel meines Wunsches fühlte ich mich plötzlich ernüchtert, fehl am Platz.
Bei Herrenmoden Kleber hießen Blue Jeans Texashosen . Auch das Wort Nietenhosen fiel ungestraft. Exakt zwei Stück, sagte Herr Kleber missmutig, seien auf Lager. Mehr nicht, die Nachfrage sei zu gering.
Die eine Jeans hätte tadellos einem ausgewachsenen Elefantenbullen gepasst, die andere orientierte sich an den Maßen eines Hungerkünstlers.
Ob ich mich nicht mit einem zeitlos schicken Knickerbocker anfreunden könnte?, fragte Kleber. Äußerst kleidsam! Er hantierte mit einem Maßband herum, bereit, mich in einen modisch unterbelichteten Assistenten von Nick Knatterton zu verwandeln. Ich trat einen Schritt zurück.
Und weiße T-Shirts?
Kleber musste nachdenken, was ihm sichtlich wenig Vergnügen bereitete.
Meinst du vielleicht – Unterhemden? Die führe er in jeder Größe, doch nur gerippt. Ich wollte aber ein T-Shirt wie Marlon Brando, ohne Fein- oder Doppelripp.
Читать дальше