Abb. 20
Professor Ralph S. Baric
Der Epidemiologie Marc Lipsitch an der Harvard TH Chan School entgegnete, dass GOF-Experimente “fast nichts dazu beigetragen haben, unsere Bereitschaft zu verbessern, obwohl wir dabei immer das Risiko einer versehentlichen Pandemie eingegangen sind”. Was versteht man an dieser Aussage nicht?
Die SHC014-CoV-Studie in Kooperation mit den Chinesen war an der University of North Carolina at Chapel Hill bereits im Gange, bevor das US-Moratorium im Oktober 2014 begann. “Die NIH erlaubte es, während der Überprüfung durch das Institut mit unseren Arbeiten fortzufahren”, sagte Ralph S. Baric als Partner der WIV und Mitautor der Studie in “Nature Medicine”, “da das NIH zu dem Schluss kam, dass die Arbeiten nicht so riskant waren, um unter das Moratorium zu fallen.” Das ist merkwürdig: Kanta Subbarao und Matthew Frieman von der University of Maryland mussten wegen des GOF-Verbotes drei Zuschüsse und zwei Verträge, mit denen versucht wurde, einen Stamm des MERS-Coronavirus zu entwickeln, sofort zurückstellen. Dabei war zu dem Zeitpunkt ein aktueller MERS-Ausbruch im Nahen Osten gemeldet worden, so dass leitende Wissenschaftler mit “für die öffentliche Gesundheit wichtig” argumentieren konnten. Dennoch fanden sie kein Gehör und die Arbeiten an MERS-CoV wurden eingestellt. Ganz offensichtlich hatte R. S. Baric eine vorteilhaftere Beziehung zu Direktor A. S. Fauci, der sich in den 1980er Jahren einen Namen in der damals noch jungen AIDS-Forschung mit dem HI-Virus gemacht hatte.
“Ohne die Experimente”, erklärt Baric weiter, “würde das SHC014-Virus immer noch nicht als Bedrohung angesehen.” Zuvor hätten Wissenschaftler auf der Grundlage molekularer Modelle und anderer Studien geglaubt, dass es nicht in der Lage sei, menschliche Zellen zu infizieren. Die jüngste Arbeit zeige aber, dass das Virus bereits kritische Barrieren überwunden habe, beispielsweise die Fähigkeit, sich an menschliche Rezeptoren zu binden und menschliche Atemwegszellen effizient zu infizieren. “Ich glaube nicht, dass man das ignorieren kann.”
Er plane daher weitere Studien mit dem Virus an nichtmenschlichen Primaten, die möglicherweise für den Menschen relevantere Daten liefern. Simon Wain-Hobson lehnte die Studie jedoch ab, da sie wenig Nutzen bringe und wenig über das Risiko aussage, dass das wilde SHC014-Virus in Fledermäusen für den Menschen darstellt. Andere Experimente in der Studie zeigten zudem, dass sich das SHC014-Virus eigenständig in Wildfledermäusen weiterentwickeln müsste, um eine Bedrohung für den Menschen darzustellen – “eine Veränderung, die möglicherweise nie eintreten wird, obwohl sie nicht ausgeschlossen werden kann”, so Wain-Hobson. Baric und sein Team rekonstruierten das Wildvirus aus seiner Gensequenz und stellten anfangs fest, dass es in menschlichen Zellkulturen schlecht wuchs und bei Mäusen keine signifikanten Krankheiten verursachte.
“Die einzige Auswirkung dieser Arbeit ist die Schaffung eines neuen, nicht natürlichen Risikos in einem Labor”, stimmt Richard Ebright dieser Ausführung zu. Sowohl Ebright als auch Wain-Hobson sind langjährige Kritiker der GOF-Projekte, die inzwischen auch wissen, dass ihre Kollegen erst durch die synthetische Rekombination mit Menschenzellen (HeLa) und die “künstliche” Sensibilisierung zu den ACE2-Rezeptoren aus SHC014 das SHC014-CoV machten und damit die Grundlage für die Pandemie 2020 schufen. Relativ unbeachtet blieben in dem Artikel vom 9. November 2015 in “Nature Medicine” die verwendeten “Zutaten” bei der Herstellung der Chimäre und SHC014-CoV, die unter der Rubrik “Methode” zusammengefasst wurden: “DBT-Zellen (Baric-Labor, Quelle unbekannt), die ACE2-Orthologe exprimieren, wurden zuvor sowohl für Menschen als auch für Zibet beschrieben; die Fledermaus-ACE2-Sequenz basierte auf der von ‘Rhinolophus leschenaulti’ und DBT-Zellen, die Fledermaus-ACE2 exprimierten, wurden wie zuvor beschrieben etabliert. Pseudotypisierungsexperimente waren ähnlich denen, die ein HIV-basiertes Pseudovirus verwendeten, das wie zuvor beschrieben hergestellt und an HeLa-Zellen (Wuhan Institute of Virology) untersucht wurde, die ACE2-Orthologe exprimierten. HeLa-Zellen wurden in minimalem essentiellem Medium (MEM) (Gibco, CA) gezüchtet, das mit 10 Prozent FCS (Gibco, CA) ergänzt war, wie zuvor beschrieben. Wachstumskurven in Vero E6, DBT, Calu-3 2B4 und primären menschlichen Atemwegsepithelzellen wurden wie zuvor beschrieben durchgeführt. Keiner der Vorräte an Arbeitszelllinien wurde kürzlich authentifiziert oder auf Mycoplasma getestet, obwohl die ursprünglichen Samenvorräte, die zur Herstellung der Arbeitsvorräte verwendet wurden, frei von Kontamination sind. Menschliche Lungen für HAE-Kulturen wurden nach den von der University of North Carolina im Chapel Hill Institutional Review Board genehmigten Protokollen beschafft.”
Abb. 21
Auch Dr. Peter Daszak gehörte dem Team an.
Der Auszug ist zwar nicht sehr lang, enthält dafür aber die wesentlichen Bestandteile von SHC014-CoV: Gleich im ersten Satz wird die Verwendung von DBT-Zellen “ohne Herkunftsangabe” genannt, was mehr als merkwürdig ist. DTB ist die Abkürzung für “Delayed Brain Tumor” und bedeutet auf Deutsch “Hirntumorzellen”. Dazu verwendeten die Wissenschaftler HeLa-Krebszellen sowie ein “HIV-basiertes Pseudovirus” und testeten die Wirkung von SHC014-CoV in menschlichen Lungen aus der “Organspende” mit “HAE-Kulturen” (“humane Atemwegsepithel”).
Tatsächlich konnte eine neue wissenschaftliche Studie an 2019-nCoV nachweisen, dass es ebenfalls HIV-ähnliche Mutationen enthält, was seine Fähigkeit, an menschliche Zellen anzudocken, um bis zu eintausend Mal effizienter macht, als dies seinerzeit bei SARS-CoV der Fall war. Professor Bishwajit Kundu von der “School of Biological Science” in Dehli hat auf der Internetseite des WIV die Erbgutsequenz mit den kodierten Bauplänen der Virusproteine des neuen Coronavirus heruntergeladen und untersucht. Als er die Baupläne und Andockstellen der Spike-Proteine etwas genauer studierte, fielen ihm vier ungewöhnliche Stellen auf, die in der Erbgutsequenz mit dem HI-Virus übereinstimmen. “Das neue Coronavirus ist ein Mix alter Coronaviren mit HIV”, schlussfolgert er darauf. “Es gibt zu wenig Ähnlichkeit mit der Sequenz des HI-Virus, um auf einen signifikanten Austausch von genetischem Material schließen zu können”, wendet jedoch Gaëtan Burgi von der Australian National University ein, ein Genetiker.
Tatsächlich könnten die beiden Viren nicht unterschiedlicher sein: Während HIV ein Retrovirus mit komplizierten Vermehrungszyklen in der DNS und RNS ist, hinterließen Coronaviren im menschlichen Erbgut bislang keine Spuren. Damit sich das Erbgut der beiden Virenarten aber mischen konnte, müssten sich die Gensequenzen beider Viren am selben Ort innerhalb der Zellen kopieren lassen. Das wäre allerdings ein Beweis, dass das nur in einem Labor passiert sein kann. Trotzdem sind solche Rekombinationen von Viruserbgut denkbar, sagt Lars Hangartner. Der Schweizer HIV-Spezialist hat das Phänomen 2009 schon in seinem Zürcher Labor erlebt: Ein RNS-Virus schlüpfte dabei in den Zellkern einer Menschenzelle, weil der Forscher es mit einem “Retrotransposon” zusammengebracht hatte. Retrotransposons stammen aus überstandenen Infektionen und sind mit Retroviren durchaus vergleichbar, weil sie ebenfalls gleichermaßen DNS und RNS besitzen. “Um ein so großes Virus wiederherzustellen, wäre technisches Wissen erforderlich, über das nur wenige Labore auf der Welt verfügen, und es ist unwahrscheinlich, dass Wissenschaftler ein Virus geschaffen haben könnten, das auch mit dem Rezeptor ACE2 interagiert, während dieser Mechanismus noch nie zuvor beobachtet worden ist”, bemerkt der Forscher Etienne Simon-Loriere vom Institut Pasteur in Paris. Eben!
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