Wieder war es still in der Leitung, diesmal allerdings nur kurz, dann kam es verblüfft: „So kenne ich Sie gar nicht, Sablatnig. Ich meine, verstehen Sie mich nicht falsch, es ist ja nicht so, dass nicht andere Detektive vor meiner Tür Schlange stehen würden, aber ...“
Da der Satz für mehrere Sekunden in der Luft hängen blieb, ergriff Heinz das Wort und erklärte, diesmal in einem einlenkenden Tonfall: „Sobald meine Schwester sich bei mir meldet, gebe ich Ihnen Bescheid. Wird nicht mehr lange dauern.“
Oberhofer murmelte eine Abschiedsfloskel, woraufhin Heinz einmal mehr die Verbindung beendete.
Freitag, 11.50 Uhr
Heinz parkte seinen getunten, mattschwarzen VW Corrado auf dem Parkplatz des Seepark Hotels. Die weiße, kantenlose Designer-Fassade mit den eiförmigen Ausschnitten, die dem Bau das Aussehen eines riesigen Schweizer Käses gab, wurde von den Klagenfurtern überwiegend als hässlich empfunden. Möglicherweise sprachen aber auch nur die laut darüber, denen sie nicht gefiel, Heinz jedenfalls gehörte nicht dazu.
Er schritt unter den riesigen, cremefarbenen Betonpaneelen, von denen jedes zweite das laublose Geäst eines Baumes zeigte, hindurch zum Eingang. Da er nicht annahm, dass Saskia Frenzen Gefahr drohte, solange sie sich in ihrem Zimmer aufhielt, hatte er vor, in der Lobby zu warten und ihr unauffällig zu folgen, wenn sie das Hotel verließ. Er würde sich in einen der Schalensessel setzen, in einer Illustrierten blättern und den Bereich rund um den Haupteingang nicht aus den Augen lassen.
Dass sich dieser Plan nicht so einfach umsetzen ließ, erkannte Heinz, als er beim Betreten der Lobby den ersten Security-Mann sah. Außer ihm patrouillierten noch einige weitere Frauen und Männer mit derselben Uniform im Schlenderschritt umher. Sie würden ihn mit Argusaugen beobachten, wenn er sich hier postierte, und ihn ohne Zweifel anhalten, wenn er Saskia Frenzen folgte.
Glücklicherweise war er hier seit gestern kein Unbekannter mehr. Evelyn Pachoinig, die auch heute wieder Dienst an der Rezeption hatte, begrüßte ihn laut, als sie ihn sah. Als er zu ihr ging, fragte sie ihn, was sie für ihn tun könne.
„Ich habe gehört, Frau Frenzen ist bereits eingetroffen?“
„Ja, vor etwa einer Stunde.“
„Sie wissen nicht zufällig etwas über ihre Pläne heute Nachmittag?“
Noch ehe die Rezeptionistin antworten konnte, wurde Heinz von hinten angesprochen: „Na, für welches Blatt schreiben wir denn?“
Heinz fuhr herum. Die Stimme mit dem deutschen Akzent gehörte einer Frau Anfang dreißig, die ihn mit einem schelmischen Blick aus jadegrünen Augen von unten her ansah und dabei mit der Hüfte wippte. Sie war klein, sicher nicht über einen Meter fünfundsechzig, und sehr schlank. Ihre schulterlangen, kupferroten Haare umrahmten ihr fein geschnittenes Gesicht, das Heinz gut gefallen hätte, hätte es nicht so verbraucht gewirkt.
„Soll das heißen, die Konkurrenz ist auch schon hier?“, gab er zurück.
Sie kräuselte die Lippen und erwiderte: „Nix Konkurrenz, Info-Quelle.“ Dass Heinz nicht verstand, was sie damit meinte, stand offenbar in seine Miene geschrieben, denn sie stakste auf ihn zu wie ein Model auf dem Laufsteg und erklärte: „Mit Saskia Frenzen kann ich Ihnen helfen, geheimnisvoller Fremder.“
„Und ich muss Ihnen dafür nur meine Seele verkaufen, oder?“
Sie musterte ihn von oben bis unten. „Mit Ihrem Körper wär ich schon ganz zufrieden.“
Heinz spürte, wie ihm heiß und kalt wurde und wie sich ein Lächeln in seinem Gesicht breitmachte; ein mittlerweile ungewohntes Gefühl. „Lassen Sie uns weiterverhandeln, Verführerin.“
„Ich für mein’n Teil hab mein Angebot gemacht.“
„Und ich weiß, dass ein so verlockendes Angebot immer einen Haken hat.“
„Wenn Sie schön cool bleiben, dann passiert Ihnen nix. Und zwei oder drei Hunnis sind ja wohl drinne, nö?“
Heinz hätte am liebsten laut losgelacht, was ebenfalls ein schönes Gefühl war, doch er verkniff es sich. „Dazu würde ich gerne einmal wissen, wen ich vor mir habe.“
„Anne Schneider.“ Die junge Frau reichte ihm grazil die Hand. „Ich bin Saskia Frenzens Visagistin. Und bitte sagen Sie jetzt nich, Sie hätten gedacht, ich wär die Schneiderin, den Witz hab ich nämlich schon mal gehört.“
„Heinz Sablatnig. Setzen wir uns?“ Er deutete auf die Schalensessel, von denen je zwei und zwei um niedrige, runde Tische gruppiert waren; ein stilistisch den 1960ern angelehntes Arrangement.
Noch ehe sie saßen, hatten sie sich gegenseitig schon das Du angeboten. Heinz’ Vorhaben, Anne dezent auszufragen, erwies sich als überflüssig, da die Visagistin von sich aus bereitwillig alles erzählte, was Heinz wissen wollte, und noch mehr.
„Du hast Glück, ich warte hier nämlich gerade auf Saskia, wir wollen zum Starnacht-Gelände rüberfahren. Ich hab’s bei unserer Ankunft zwar nich gesehen, aber stimmt es, dass das ganz nahe liegt?“
„Ja, keine zweihundert Meter Luftlinie entfernt“, bestätigte Heinz, „aber der Lendkanal liegt dazwischen, durch den müsstest du durchschwimmen.“
„Durch ’nen Kanal, igitt.“ Sie verzog angewidert das Gesicht und fuhr fort, noch ehe Heinz das Missverständnis richtigstellen konnte: „Aber okay, dann sind wir mit dem Wagen ja gleich drüben. Heute Abend ist nämlich die Generalprobe, weißt du? Und morgen die eigentliche Veranstaltung.“
„Ich weiß, aber ich habe noch nicht so recht begriffen, was den Unterschied ausmacht. Es ist doch beide Male dasselbe Programm und vor Publikum, oder?“
„Ja schon, aber morgen ist die Fernsehübertragung. Live! Da kommen die ganzen Promis hin, die in die Kameras grinsen wollen. Zwanzig Jahre Starnacht, verstehst du?“
„Und die Generalprobe heute hat weniger Glamour?“
„Nee, natürlich nich. In Wahrheit wird ja auch die heutige Show aufgezeichnet. Sollte morgen das Wetter so saumäßig sein, dass die Starnacht nicht stattfinden kann oder im TV nich gut rüberkommt, senden sie die Show von heute.“
Das leuchtete Heinz ein. Bei einer Open-Air-Show mit so hohem Kosteneinsatz wollte der Veranstalter das Wetterrisiko verringern. Außerdem konnte er so doppelt so viele Eintrittskarten verkaufen – gut durchdacht.
„Du hast gesagt, ihr fahrt jetzt schon hinüber, ist das nicht ein bisschen früh?“
Anne sah ihn mit gespielter Fassungslosigkeit an. „Mann, bist du doof. Da findet doch erst mal die Einstellprobe statt. Saskia muss sich mit der Regie und den Moderatoren bequatschen und zieht dann ihr Ding durch, damit die Licht- und Tontechniker ihre ganzen Einstellungen vornehmen können. Und ich schau mir derweil meinen Arbeitsplatz im Backstage-Bereich an. Ich muss ja die Chefin vor ihrem Auftritt auf Vordermann bringen. Aber jetzt zu dir, mein Goldkind, sind wir im Geschäft? Fünfhundert?“ Sie flatterte mit den Augenbrauen und grinste dabei betont unverschämt.
„Ich fürchte, da muss ich dich enttäuschen. Ich bin nämlich keine von den Skandalblatt-Ratten.“
„Macht gar nix, ich red auch gerne mal mit ’ner seriösen Zeitung.“ Sie grinste.
„Was sagt da deine Chefin dazu?“
„Was meinste? Dass ich Insider-Infos verhökere? Da mach dir mal nich meine Sorgen. Also, Deal?“
Heinz lachte gequält. „Nein, kein Deal. Ich gehöre echt nicht zur Medienmeute.“
„Wohin denn?“
„Ich ... ich bin ...“ Heinz zögerte. Er wollte sich den glücklichen Vorteil, an Annes – und damit an Saskia Frenzens – Seite bleiben zu können, nicht durch eine halbgare Lüge kaputtmachen. „Sagen wir es so: Bei Wörthersee-Events möchte man, dass es Frau Frenzen auch rundum gut geht, deshalb ...“
Annes Lachen schnitt Heinz das Wort ab. „Alles klar, irgend so’n Spinner hat wieder ’nen Drohbrief geschickt, hab ich Recht?“ Heinz war so baff, dass er nicht einmal versuchte, sich zu verstellen. Anne Schneider plapperte indessen weiter: „Da musst du dir nich ins Hemd machen, Hero, das is bei uns an der Tagesordnung. Nich dran denken – nich verrenken, so lautet meine Devise.“
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