Der Baron Giovanni Mazzonis di Pralafera (1888–1969) war bei Juve ein mittelmäßiger Spieler mit zehn Einsätzen und null Toren in drei Jahren gewesen. Als Manager aber hatte er eine glückliche Hand und war an der Seite seines Freundes Agnelli für das goldene Jahrfünft wesentlich mitverantwortlich. Und als Edoardo 1935 starb, übernahm Mazzonis sein Erbe. Fünf Jahre lang führte er die Juve, bis er von den Faschisten aus dem Amt gejagt wurde. 1940, im Jahr des italienischen Kriegseintritts, duldete der Duce keine Quertreiber im Sport mehr.
Doch weder Mazzonis noch Edoardo Agnelli mochten ihren Trainer Carcano halten, als die Gerüchte über dessen Homosexualität lauter wurden. Homosexuelle wurden im Faschismus verfolgt, verhaftet und in die Verbannung geschickt. Dem Präsidenten blieb nichts anderes übrig, als seinen Trainer im Herbst 1934 von einem Tag auf den anderen zu entlassen, aus disziplinarischen Gründen, wie offiziell verlautbart wurde. Um das Regime offen herauszufordern, wie das sein Vater zur Durchsetzung eigener Interessen getan hatte, fehlte es dem Erben an Charakterstärke und wohl auch an Entscheidungsgewalt. Carcano, der Meistercoach, einer der intelligentesten und begabtesten Fußballlehrer seiner Zeit, versank in der Bedeutungslosigkeit der Fußballprovinz und konnte nie wieder an seine Erfolge anknüpfen.
Während der alte Agnelli der neuen »Bewegung« misstrauisch gegenüberstand und versuchte, sie für seine Zwecke zu nutzen, pflegte sein Sohn die Rituale des Regimes als hoffnungslos provinziell zu belächeln, ohne jemals öffentlich Kritik zu äußern. Edoardo Agnelli war ein weltläufiger Dandy, der mit seiner bildschönen jungen Frau, der italo-amerikanischen Prinzessin Virgina Bourbon del Monte, ein Jet-Set-Leben führte, das an Francis Scott Fitzgeralds Großen Gatsby erinnerte. Die beiden waren umschwärmter Mittelpunkt der Turiner Society, hielten aber auch in der Hauptstadt Rom Hof. Für seinen Klub gab Edoardo das Geld mit vollen Händen aus und förderte bewusst die Adepten des schönen Spiels. Fußball war für ihn auch Ästhetik. Die umwerfend elegante Virginia erschien 1932 zur JuventusMeisterfeier mit zwei Hunden in den Vereinsfarben – einem weißen Samojedenspitz und einem schwarzen Zwergpudel. Für Fußball hatte sie wenig übrig, aber als Kulisse ihrer exzentrischen Grandezza taugten die Meisterspieler allemal.
Sieben Kinder hatte das Paar, das, umsorgt von einer zahlreichen Dienerschaft, in einem gigantischen Stadtpalast mitten in Turin residierte. Susanna Agnelli, nach Clara und Gianni drittgeborenes Kind von Edoardo und Virginia, beschreibt in ihren Erinnerungen die Aufregung im Hause vor einem Abendessen mit dem Fürst von Piemont, »das gestickte, spitzenbesetzte Tischtuch, die Blumenarrangements, die mit Pralinen, Pfefferminz und Fondants gefüllten Schalen aus vergoldetem Silber und die Gläser in verschiedenen Formen und Farben, die vor jedem der mit einem zarten Rosenmuster verzierten Porzellanteller aufgereiht standen. Die kleinen Floristinnen liefen verschreckt hin und her und reichten Madame Asinari, die der Dekoration den finishing touch verlieh, Blütenzweige, während in einer Ecke ein Zimmermädchen mit dem heißen Eisen in der Hand ungeduldig darauf wartete, ein letztes Fältchen aus dem Tischtuch zu bügeln.« Wenn der Großvater kam, so Susanna, »ist alles eine Spur schlichter.« Giovanni Agnelli aß nur eine Schüssel rohes Gemüse mit Öl, trank dazu ein Glas Piemonteser Wermut »und hört im Hintergrund Schlager aus dem Radio«.
5. Juni 1919: Prinzessin Virginia Bourbon del Monte heiratet Edoardo Agnelli
Die Agnelli-Kinder wurden von einer strengen englischen Gouvernante erzogen und bekamen die Eltern nur selten zu Gesicht. Nur einmal, als 1933 Benito Mussolini zu Besuch in Turin weilte, sah Susanna Agnelli, die spätere Außenministerin der Republik Italien, ihren Vater Edoardo in faschistischer Uniform: »Er betrachtet sich im Spiegel und bricht in Lachen aus. Tagelang wird er uns die Turiner Damen in ihren albernen Baskenmützen und ihren absurden schwarzen Uniformen beschreiben, wie sie bei dem Gedanken, mit dem Duce auf einem Balkon zu stehen, fast in Ohnmacht fallen.« Edoardo Agnelli konnte den Faschismus genauso wenig ernst nehmen wie seine Frau, die als siebenfache Mutter von der Partei einen Ausweis bekam, mit dem sie sämtliche Straßenbahnen Italiens umsonst benutzen konnte. Niemals in ihrem kurzen Leben hatte Virginia Agnelli Gelegenheit, mit der Tram zu fahren, doch den Ausweis trug sie wie ein exotisches Souvenir in ihrer Geldbörse. Der Faschismus war für dieses reiche und schillernde Paar wie ein Spiel, dessen Regeln sie beherrschten, aber nicht befolgen mussten. Den Duce in Schach zu halten, damit er kein Spielverderber würde, überließen sie dem Patriarchen Giovanni.
Edoardo, der strahlende erste Agnelli-Präsident, kam kurz nach der Feier seines sechsten Meistertitels am 14. Juli 1935 bei einem Flugzeugunfall ums Leben. Ein Wasserflugzeug hatte den Fiat-Erben von seinem Ferienort Forte dei Marmi an der toskanischen Riviera abgeholt und das Ziel, den Hafen von Genua, erreicht, als ein treibender Baumstamm die Maschine umkippen ließ. Agnelli, der einzige Passagier, stand in Sichtweite der Kaimauer auf den Schwimmern, wurde bei der Havarie vom Propeller geköpft und war sofort tot. Die Trauerfeier für den Juventus-Chef brachte Zehntausende auf die Straßen von Turin – die größte Menschenmenge, die die Stadt jenseits der faschistischen Parteiaufläufe erlebte. Natürlich war die Mannschaft dabei, und es mochten viele geahnt haben, dass man sich in jenem Moment von einem goldenen Zeitalter verabschiedete. Der Rekord von Edoardos Siegesserie sollte 82 Jahre andauern. Erst sein Enkel Andrea schaffte es 2017, den Großvater noch zu übertreffen.
Giovanni Agnelli, der Fiat-Gründer, musste das Werk und den Klub nun allein durch die Jahre des Regimes und den Krieg bringen. Kurz vor Edoardo war auch sein Schwiegersohn Carlo Nasi gestorben, der Mann der bereits früher verstorbenen Tochter Aniceta. Agnelli hatte seine beiden Kinder verloren, es blieben ihm insgesamt zwölf Enkel, unter denen er seinen designierten Nachfolger auswählte: Edoardos ältesten Sohn Giovanni, genannt Gianni. Man mag sich die Einsamkeit des Patriarchen vorstellen, der in nichts Ablenkung fand, schon gar nicht im Fußball, der den mächtigen Fiat-Boss nie interessierte.
Anfangs hatte er zu den Geldgebern für Mussolini gehört, als einer jener Industriellen, die sich vom Faschismus den Sprung in die Moderne versprachen – und von den Faschisten, dass sie willfährige Handlanger der wenigen italienischen Kapitalisten würden. Beides erwies sich indes recht schnell als Trugschluss. Zwar ließ das Regime dem wichtigsten Unternehmer des Landes zunächst Freiheiten. In Turin konnte Agnelli schalten und walten, wie er wollte, was in seinem Fall vor allem hieß, die stetig wachsende Arbeiterschaft der Fiat-Werke an jeglicher Form von Emanzipation zu hindern. Im Januar 1921 war infolge der Wirtschaftskrise jeder Zehnte der damals 13.000 Arbeiter entlassen worden. Um Proteste im Keim zu ersticken, rief Agnelli das Militär. Er war ein knallharter Industriekapitän, der Löhne und Kosten drückte, wo er konnte, und als Anhänger liberaler Ideen die Faschisten als Bollwerk gegen sozialistische Umtriebe in seiner Fabrik unterstützte. »Wenn es Fiat nützte, würde ich auch Befehle von Lenin empfangen«, sagte er einmal. Stattdessen nahm der Patron des größten Industriewerkes im Land bald Anordnungen von Mussolini entgegen. Der hatte nach seinem überaus artigen Antrittsbesuch in der neuen Lingotto -Werkszentrale 1923 dem Fiat-Boss geschmeichelt, indem er ihn zum ersten Senator der faschistischen Ära ernannte. Doch recht bald drehten sich die Machtverhältnisse um.
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