Die Texte des Buches sind zwischen 4.9.2015 und 29.3.2019 in der Neuen Zürcher Zeitung als Kolumne »In jeder Beziehung« erschienen. Der Verlag und die Autorin bedanken sich herzlich bei der NZZ für die freundliche Genehmigung zum Abdruck der Texte. Einige Kolumnen-Titel entsprechen nicht denjenigen der Print- und Onlinetexte, zudem wurden die Texte von der Autorin durchgesehen und zum Teil geringfügig überarbeitet.
Der rüffer&rub Sachbuchverlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.
Erste Auflage Herbst 2019
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Bildnachweis Cover und Auftaktbild Frühling, Sommer, Herbst, Winter: © Clique Images | stocksy.com Bildnachweis Porträt: © Daniel Marti
Design E-Book: Clara Cendrós
ISBN Book: 978-3-906304-52-6
ISBN E-Book: 978-3-906304-59-5
FRÜHLING
Wie alles begann
Alle meine Stoffe
Er nannte sie »mein Herztier«
Meine Waffen als Frau
Seine Waffen als Mann
Auf den zweiten Blick
Liebes Brautpaar, hör mal zu
Dumme Fragen an Kinderlose
Was in diesem Zimmer alles passiert ist
Die Reise vor der Abreise
Der Kuss
Vater und Mutter
Meine freie Arztwahl
Der Umarmer will ja nur lieb sein
Das kommandierte Vergnügen
Liebe ist auch nur ein Wort
Anleitung für Liebeskranke
Das verschraubte Glück
Du steigst mir in die Nase
Gib dich in meine Hand
Wenn Trauer tötet
Erlesenes Paris
SOMMER
27 Orgasmen
Auf eine Zigarette danach
»Ja, ja, ja, jaaaa«
Ein Haus auf Rädern
Beten auf der Autobahn
Wenn das Bett lebendig wird
Liebe ist, die gleichen Falten zu teilen
Mann, Baujahr 1960
Der gelockerte Mann
Komm unter meine Kuppel
Freunde aussortieren
Ein Glas kippt um
Anleitung zum Davonlaufen
Dann geh doch!
Früher warst du lustig
Schönsein ist besser
Zu schön, um gut zu sein
Nichts zu lachen
Wer zahlt? Er, wer denn sonst
Sex in der 1. Klasse
Ausgereizte Wäsche
Mein Sommer als Sozia
HERBST
Noch einmal 25 sein
Die Geliebte
Achtung, Brandgefahr
Brief an eine 20-Jährige
Der Mut der Undankbaren
Alles oder nichts
Die Lehrer meines Lebens
Das tote Kind
Zusammen Schlafen
Das geheime, dunkle Leben
Tisch und Bett
Zwischengang: Küssen
Die kleine Wahlfälschung
Ein Gesicht in Schwarz-Weiß
Liegen ohne Sex
Die schwarze Haut
Beim Ausverkauf der Beziehung
Betreff: Abwesend, da in Tokio
Wenn der Kopfsalat noch lebt
Plötzlich zu zweit daheim
WINTER
Ich gehe mit Fritz ins Bett
Was uns nachts aufbleiben lässt
Die Männer meines Lebens
Dir gewidmet und keinem anderen
Noch einmal davongekommen
Alle Männer sind krank
Das schöne Leiden
Das ungemachte Bett
Er schaut ihr nach. Das ist okay
Schau mich an
Nachtflug auf Sitz 35C
Briefe tragen
Das Bermudadreieck der Frauen
Käufliche Liebe
Und plötzlich wieder Kind
David, der du bist im Himmel
Glück ist ein Mangel an Fantasie
Besser lieben
Das vertikale Vorspiel
Die Ersatzkolumne
ANHANG
Namensregister
Biografie
WIE ALLES
BEGANN
Viele Kinder, die heute geboren werden, dürften später die immer selben Geschichten hören, wenn sie ihre Eltern fragen, wo die sich kennengelernt haben.
Im Internet.
Im Internet.
Im Internet.
Vielleicht überspringen die Eltern den ersten Kontakt via Dating-App und sagen:
In der Bar.
In der Bar.
In der Bar.
Doch auch wenn dem so wäre – kein Algorithmus nimmt einem das Kennenlernen ab. Es geschah bei einem Spaziergang, an einer Party, beim Schwimmen im See, kann man auf die beliebte Frage von Kindern immer noch sagen, ohne zu lügen. Wobei man sich für die Partnersuche mit klar berechnetem Profil ja längst nicht mehr schämt. Das Gegenteil scheint bald fahrlässig. »Sie haben etwas so Wichtiges dem Zufall überlassen?«, hat ein Bekannter, ein Soziologe, gesagt, als ich ihm vom ersten Blick an der Tramhaltestelle erzählte, der zwanzig Jahre nach sich zog.
Die Geschichten, die heute über Tinder und andere Datingportale beginnen, mögen sich gleichen – doch wir hängen weiter an den Anfängen und wollen sie erzählt bekommen. Den Anfang einer Liebesbeziehung umgibt etwas Gutes, da werden selbst Zyniker still. Wir romantisieren sogar die Erzählungen unserer Großeltern, denen die Ehefrau empfohlen wurde oder der Gatte zugeteilt; die nicht frei wählen konnten. Und doch entstand nicht selten eine Liebe daraus.
Am erstaunlichsten bleiben dennoch die Erzählungen, bei denen der Zufall spielte. Deshalb sammeln auch Medien und soziale Netzwerke die Geschichten vom Anfang so gern, als müssten sie der eintönigen Internetliebe etwas entgegensetzen. Auf Instagram ist der Account »The Way We Met« äußerst beliebt. Und als die »New York Times« zehn Paare die »unerwartete« Geschichte ihres Kennenlernens erzählen ließ, machten es ihnen Hunderte auf Facebook nach. Sie fanden einander im Kindergarten, bei »World of Warcraft«, während eines Mordprozesses, dank Airbnb.
Doch auch diese Geschichten tönen oftmals ähnlich, weil sie alle in einem Ton erzählt werden, der staunend und überwältigt ist: Man war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ist das nicht unglaublich? Wie leicht hätte man sich verpassen können! Ein Zug, der sich verspätet. Ein früherer Abendkurs. Kleine Entscheide stellen die Weichen, die dem Leben eine Richtung geben.
Nicht die Geschichten sind also das Besondere, sondern die Art, wie Paare sie erzählen. Sie streichen das Ereignishafte hervor. Sie betonen das Unerhörte. Erst dadurch werden die Geschichten bedeutsam. Eine positive Erinnerung an den gemeinsamen Anfang ist ein Merkmal guter Beziehungen, so sagen Psychologen. Man konstruiert einen Liebesmythos. Diesen erzählt man sich immer wieder, erzählt ihn seinen Kindern und Enkelkindern. Das verbindet.
Die romantische Variante tönt dann so:
Wir blickten uns in der Menge fünf Minuten wortlos an.
Ich folgte ihr durch die ganze Stadt.
Die unromantische tönt so:
Er war das sechste Blind Date in vier Tagen.
Bevor ich meinen Account löschte, gab ich noch einer letzten Person eine Chance – und das war sie.
Es kommt nicht darauf an, wie und wo man jemanden getroffen hat. Sondern, daraus eine gute Story zu machen, egal, ob sie die Wahrheit trifft oder diese verklärt.
ALLE MEINE
STOFFE
Jetzt, da die Sonne bereits beim Aufstehen ins Zimmer fällt, droht bald schon die Wärme. Also muss ich meine Kleider umgruppieren, ruft der Kleiderschrank nach einer neuen Ordnung. Ich stehe vor den offenen Flügeltüren und fange an: Wollsachen auf die oberen Regale, das Feinstoffliche nach vorn.
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