Im Umkehrschluss werden Klienten dazu ermutigt, Umgangsweisen mit den Anforderungen des Alltags ebenso wie mit Problemen, die von ihnen als beklagenswert beschrieben werden, zu ändern und dazu dosierte, überschaubare (emotionale) Risiken einzugehen.
• Kleine Schritte können zu großen Veränderungen führen!
Unter dieser Annahme werden mit den Klienten »kleinstmögliche« Veränderungsschritte ausgehandelt. Dieses pragmatische Vorgehen erhöht die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung und damit von Erfolgserlebnissen, was seinerseits die Zuversicht, sich Veränderungen zu stellen, stärkt.
• Die Lösung hängt nicht zwangsläufig direkt mit dem Problem zusammen!
Dieser Leitsatz fokussiert auf die Erkenntnisse der Resilienztheorien und der Salutogenese, wonach Veränderungen nicht notwendigerweise eine Analyse oder Betrachtung von Problemen voraussetzen; vielmehr lernen wir am besten von den Menschen, die Veränderungen ohne professionelle Unterstützung erreichen.
• Die Sprache der Lösungsentwicklung ist eine andere als die, die zur Problembeschreibung notwendig ist!
Dieser Leitsatz bezieht sich am stärksten auf Ludwig Wittgenstein und sein Statement (Wittgenstein 1997, S. 83, § 6.43): »Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen.« Um in die Zukunft zu schauen, ist eine optimistische und (selbst)ermutigende Sprache erforderlich, die sich deutlich von einer problem- und vergangenheitsorientierten Sprache unterscheidet.
• Kein Problem besteht ohne Unterlass; es gibt immer Ausnahmen, die genutzt werden können!
Hier wird davon ausgegangen, dass kein Problem kontinuierlich gleich bleibt und gleich erlebt wird. Daher ist es Aufgabe von Beratern und Therapeuten, nach Ausnahmen zu suchen, also nach Zeiten, in denen der problematisch erlebte Zustand nicht oder seltener oder weniger problematisch auftritt. Denn diese Situationen bieten den Schlüssel zu Veränderungen.
• Die Zukunft ist sowohl etwas Geschaffenes als auch etwas Verhandelbares!
•Mit diesem Leitsatz wird die Verbindung zum Konstruktivismus hergestellt. Menschen werden nicht als Determinanten ihrer eigenen Handlungen oder ihres Kontextes gesehen – seien es soziale und kulturelle Hintergründe oder Diagnosen –, und die Zukunft wird als Ort der Zuversicht betrachtet, der Visionen ermöglicht, die als Leitlinien für neues Handeln dienen.
Steve de Shazer und Insoo Kim Berg sowie weitere Praktiker haben konkrete Vorgehensweisen beschrieben, wie lösungsfokussiertes Arbeiten beobachtbar wird (z. B. Dolan 2009; Furman 2008a, 2008b; Furman u. Ahola 2010; Isebaert 2009; Walter u. Peller 1996; Bamberger 2015). Hier zeigt sich, ob und wie eine lösungsorientierte Haltung in lösungsfokussiertes Handeln in der Beratung umgesetzt wird. Die wichtigsten Vorgehensweisen sind:
•Eine Haltung, ein Auftreten und eine Sprache, die jeweils konsequent auf Lösungen ausgerichtet sind , verbreiten den Klienten gegenüber die Zuversicht, dass es möglich ist, das Leben zu verbessern und zu erleichtern. Keinesfalls geht es darum, Schweres schönzureden oder zu bagatellisieren. Diesem ist mit Respekt zu begegnen, vor allem den damit verbundenen Gefühlen. Der Respekt äußert sich auch darin, dass allen Reaktionen der Klienten, die die Wünsche nach Schutz, Vorsicht und Langsamkeit ausdrücken – und von anderen Ansätzen gerne als Widerstand bezeichnet werden –, wertschätzend begegnet wird. Lösungsfokussierte Berater reagieren daher mit Fragen und nicht mit Konfrontationen. Eine Haltung der anteilnehmenden Neugier drückt sich in einer Sprache aus, die konkret und zukunftsorientiert alle Veränderungen, auch die kleinen, wertschätzt.
•Eine Suche nach früheren Lösungen, Ausnahmen und Unterstützern fokussiert die Klienten auf ihre Ressourcen und äußert sich in der Suche nach Kompetenzen in vergangenen Situationen und in Nischen, in denen das Problem geringer erlebt wurde oder wird. Der Fokus auf Unterstützer fördert die Orientierung auf Netzwerke, die über die jetzige Beratung hinaus Bestand haben.
• Fragen nach Sichtweisen und Perspektiven , die auf die Gegenwart und die Zukunft fokussieren, helfen den Klienten, sich auf einer Entwicklungslinie zu verorten, die einen zunehmend besseren Umgang mit den Anforderungen des Lebens gestattet. Skalierungsfragen rücken die Entwicklung in den Vordergrund, die Wunderfrage orientiert hin zu einer besseren Zukunft. Lösungsfokussierte Berater enthalten sich daher Interpretationen und Deutungen.
• Komplimente, Anerkennung und Ermutigung drücken Anteilnahme aus und fokussieren auf Kompetenzen, die zu wenig beachtet werden. Ermutigungen regen eher zu Experimenten mit eigenen Planungen an als Verschreibungen.
Die von vielen Autoren gewählte Bezeichnung »Lösungsfokussierung« zeigt deutlich, dass dieser Ansatz eine Haltung der »Lösungsorientierung« an konkrete Vorgehensweisen knüpft, die beobachtbar und überprüfbar sein müssen (Hegemann 2012).
1.2Was ist Lösungsfokussierung in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen?
Am besten erlernen wir den lösungsorientierten Ansatz, wenn wir junge Kinder beobachten, die motorische Fähigkeiten lernen, oder Jugendliche, die ein Computerprogramm lernen. Diese machen keine Problemanalyse, bevor sie loslegen. Sie stehen vor einer Anforderung und fangen einfach an. Sie machen erste Schritte und erleben dabei sowohl Erfolge als auch Misserfolge.
Nehmen wir als Beispiel Kinder, die Purzelbaum-Schlagen lernen. Erst rollen sie nur vor und fallen viele Male zur Seite. Sie machen das alles am liebsten mit anderen Kindern zusammen, vor allem dann, wenn Publikum dabei ist. Auch wenn sie zur Seite kippen, kommt immer ein aufmunternder Kommentar. Skeptische männliche Personen, die Bedenken äußern, ob das wohl noch etwas wird, werden darauf hingewiesen, dass Skepsis »schlechte Laune macht« und vor allem den gewünschten Erfolg eher behindert. Durch das gemeinsame Erleben und die kontinuierliche Bestätigung in der Gruppe lernen auch Kinder, die sich schwerer tun, altersadäquat die Technik des Purzelbaum-Schlagens.
Gleiches können wir bei Jugendlichen beobachten, die Computerprogramme oder soziale Kompetenzen erlernen, wie beispielsweise sich in einem neuen sozialen Kontext sicher zu bewegen.
Ja, werden viele entgegnen, das mag für Kinder und Jugendliche gelten, die gut ausgestattet sind – körperlich, psychisch und sozial. Aber auch die Lebensgeschichten von Menschen, die schweren Belastungen ausgesetzt waren, zeigen, dass eine lösungs- und ressourcenorientierte Haltung Voraussetzung dafür war, sich im Leben gut zu platzieren. Es ist unumstritten, dass schwierige Kindheitserlebnisse oder gar Traumen Spuren in uns hinterlassen und dass der Kontext, in dem wir aufwachsen, unser Leben beeinflusst. Aber nur ein Teil der Menschen, die Kriege und andere Traumen überstanden haben oder die in miserablen Verhältnissen aufgewachsen sind, werden später auffällig. Ein anderer Teil geht gut daraus hervor und kann auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken. Von diesen können wir lernen (Bauer u. Hegemann 2018, S. 30)!
Wie wir von den genannten Pionieren lernen, ist Lösungsorientierung in erster Linie eine Frage der Haltung und nur in zweiter Linie eine Frage der Technik.
Und so, wie es für uns gilt, diese Haltung weiterzugeben, bemisst sich auch der Erfolg lösungsorientierter Arbeit nicht so sehr nach den unmittelbar beobachtbaren Effekten. Wichtiger ist es, unsere Gespräche so zu führen, dass eine Atmosphäre geschaffen wird, die Jugendliche ermutigt, für sich passende Lösungen zu suchen und zu finden ( Abb. 1).

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