Weil Stephanie Trulys Mitbewohnerin und im Wettgeschäft war, kannte sie die illegalen Kämpfe und wusste, was auf Creedence zukam. Und obwohl wir nie ein Gespräch geführt hatten, das angenehm endete, hatte sie sich an diesem Tag zu mir gesetzt. Wir hatten eine Weile auf der Bank gesessen, dem oberflächlichen Treiben der Studenten zugesehen und uns gegenseitig beim Atmen zugehört. Sie wusste, dass ich litt, und suchte nach einem Weg, dass es mir besser ging. Außerdem wusste sie, dass Worte in so einer Situation dumm und sinnlos waren. Irgendwann war ich aufgestanden und hatte „danke, Stephanie“ gesagt, bevor ich nach Hause fuhr und dem Horror dieses Abends entgegentrat.
Ich fragte mich, ob sie verstanden hatte, dass ich kein Klugscheißer war. Ich war froh, sie diese kurze Zeit bei mir zu haben. Seitdem hatte ich immer wieder versucht, in ihrer Nähe zu sein.
Mein Zimmer lag wirklich im neunten Stock, wie ich es ihr gesagt hatte. Allerdings am anderen Ende des Flurs. Es gab keinen Grund, an ihrer Tür vorbeizugehen. Keinen anderen, als einen Hauch von Hoffnung.
Unentschlossen stand ich eine Weile nur da. Ich ballte die Fäuste, wollte anklopfen, tat es aber dann doch nicht. Noch nie hatte ich Probleme im Umgang mit Frauen. Sie mochten mich, lachten mit mir, und wollten normalerweise mehr von mir als ich von ihnen. Ich ging zu Stephanies Tür und strich mit der Hand bedauernd darüber. Von innen war nichts zu hören. Ich ging fort.
Stephanie
Mist.
Ich konnte nicht aufhören, daran zu denken. Nachdem ich eine Stunde die Spielanalysen im Fernsehen angeschaut hatte, und daran dachte, wie ich Chase rausgeworfen hatte, bedauerte ich mein Verhalten. Damit hatte ich ihn total verstört und er sah mich an, als gehörte ich in einen Käfig in den Zoo. Vielleicht stimmte das auch.
Ich stöhnte und zog mir die Decke über den Kopf. Ich hatte mir wieder die Shorts übergezogen, spürte aber immer noch das verbliebene Gefühl von dem, was Chase mit mir gemacht hatte. Wenn ich daran dachte, wie intensiv er mich angesehen hatte, während er sich in mir bewegte, reagierte mein Körper sofort. Fast unbewusst glitt meine Hand zwischen meine Beine und drückte auf die erwachenden Muskeln, die nach mehr schrien. Vielleicht hätte ich mit ihm gehen sollen, auch wenn er mich wie eine Trophäe herumgetragen hätte, oder wie ein Hundebaby.
Ich seufzte angewidert und warf die Decke zurück.
Was zur Hölle hatte ich nur getan?
Ich hatte mich mit einem der schlimmsten und vulgärsten Kerle eingelassen, den ich kannte. Wahrscheinlich war die Anzahl der Frauen, mit denen Chase Gentry geschlafen hatte, größer als sämtliche einarmigen Banditen in Las Vegas. Und ich konnte nicht einmal ihm die Schuld in die Schuhe schieben. Sobald er mich berührt hatte, war ich ihm willig und ekelhaft begierig in die Arme gesunken. Er hatte dies seit Monaten vorgehabt und nun hatte er gewonnen. Er hat verdammt noch mal gewonnen!
Dennoch … ich konnte nicht verhindern, dass sich meine Atmung beschleunigte, wenn ich mich daran erinnerte, wie es sich angefühlt hatte. Ich war einundzwanzig Jahre alt und hatte Sex erst mit zwei Männern. Sie hatten mir so wenig bedeutet wie ich ihnen, und der letzte war über ein Jahr her. Keinen von beiden hatte ich je vermisst. Und nie hatte ich auch nur annähernd die wilde Ekstase gefühlt, die Chase in mir ausgelöst hatte. Vielleicht hatte ich ihn deswegen so brutal rausgeworfen. Wenn ich es ihm erzählt hätte, hätte er über mich gelacht. Wahrscheinlich tat er das sowieso bereits.
Ich war nicht müde, musste jedoch früh fertig sein, um den Flug zu erwischen, also ging ich ins Bad, duschte und putzte mir die Zähne. Eigentlich hasste ich frühes Aufstehen, aber jetzt war ich froh, den Flug umgebucht zu haben. Die Vorstellung, im Flugzeug zu sitzen und zu hören, wie Chase ordinär lachte und erzählte, wie er die Eisprinzessin genagelt hatte, erweckte Mordgelüste in mir. Lieber wäre ich nach Phoenix gelaufen.
Ich wollte nicht mehr daran denken. Chase würde sich einfach der Nächsten zuwenden. Er würde mich vergessen. Vielleicht hatte er das schon.
Ich spuckte die Zahnpasta aus und erinnerte mich an seine scharfe Intelligenz in den Augen, als er auf dem Bett saß, zuhörte und seinen nächsten Schritt plante. Nein. Er würde mich nicht vergessen. Chase war kein Mann, der so schnell vergaß.
Ich spülte das Waschbecken sauber und schaltete dann das Licht im Bad aus. Bevor ich ins Bett zurückging, blieb ich an der Tür stehen. Wo wäre ich wohl jetzt, wenn ich Chases Angebot angenommen hätte, Vegas im Sturm zu erobern?
„Alles, was du willst, Baby.“
Da lag das Problem. Ich wollte gar keine wilde Zeit unter den grellen Lichtern der Stadt. Ich wollte mehr von dem, was wir zusammen getan hatten. Ich wollte es so oft, wie er es durchhalten könnte, und auf mehr Arten, die ich mir je vorgestellt hatte. Und wenn er mich hinterher in seinen starken Armen hätte halten wollen, hätte ich mich nicht geweigert. Kein bisschen.
Ich drehte die Klimaanlage noch etwas kälter, warf mich aufs Bett und deckte mich bis zum Kinn zu. Ich wollte nicht mehr über Chase nachdenken oder über Sex oder Orgasmen oder die Beherrschung zu verlieren. Um diese Gedanken zu verbannen, dachte ich an meinen ehemaligen Boss Xavier. An die Dinge, die er zu mir gesagt hatte, die Dinge, zu denen er mich gezwungen hatte, während die anderen Kerle im Raum schmutzige Sachen riefen. Xavier war grausam und gerissen. Er wusste, dass er keine Hand an mich legen musste, um mich total fertig zu machen.
Und es ist nicht vorbei. Keineswegs .
In den Tagen danach geriet ich total ins Trudeln. Noch nie war ich so durcheinander gewesen, nicht einmal in dem schrecklichen Jahr, als die schlimmste Kette der Ereignisse geschah, die man sich vorstellen konnte. Der Tod meiner Mutter, Robbies Mord, mein Vater im Gefängnis und Michaels Vernachlässigung.
Nach all dem hätte ich in der Lage sein sollen, das ganze abzuschütteln. Andere Frauen machten viel mehr durch und hielten den Kopf oben. Sie litten nicht unter paranoidem Terror, durch den sie kaum mehr funktionieren konnten. Wäre Truly nicht gewesen, hätte ich nicht gewusst, wie ich da wieder rauskommen sollte. Truly war eine Freundin in der Not, doch selbst sie kannte nicht die ganze Geschichte.
„Du wirst uns allen was zum Anschauen bieten, bis wir genug haben. Und tu ja so, als ob es dir Spaß macht, Mädchen.“
Halt. Stopp. Stopp!
All die wunderschönen Dinge, die ich bei Chase gefühlt hatte, waren verschwunden und durch schreckliche Panik ersetzt worden, als ich an die Sachen dachte, an die ich mich nicht erinnern wollte. Es war das eisigste Gefühl der Welt gewesen. Dort allein zu stehen, entblößt, gezwungen, eine Show abzuziehen für einen Raum voller Wichser, die sich an meiner Demütigung erfreuten.
Ich hielt mir die Ohren zu. Eine kindische Geste und völlig unnötig. Ich war allein. Ich war in Sicherheit. Niemand konnte mir etwas tun, wenn ich es nicht erlaubte. Und auch wenn irgendwo da draußen der Beweis war, wovor ich mich am meisten fürchtete, war es noch nicht wieder aufgetaucht. Manchmal gestattete ich mir die Hoffnung, dass es nie geschehen würde.
Ich drehte das Gesicht dem Kissen zu und spürte, wie mir eine Träne aus dem Augenwinkel lief. Ärgerlich wischte ich sie fort. Schluss damit. Was half es, in Selbstmitleid zu versinken? Was auch immer auf mich zukommen würde, musste einfach überstanden werden. Ich konnte es schaffen. Wenn es sein musste, konnte ich wie Stein sein. Oder sogar wie Stahl.
Doch ich konnte meine Gedanken nicht komplett unter Kontrolle halten. Kurz bevor ich in unglückliche Träume glitt, dachte ich an die kurzen Momente in Chases Armen. Auch wenn ich mir lieber Zähne ziehen würde, als es zuzugeben, hatte ich dort bleiben wollen. Doch sobald es vorbei war, erinnerte ich mich daran, wer Chase Gentry war. Chase wollte sich nur amüsieren und es war nicht mehr als ein Spiel für ihn.
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