Der SS-Arzt Ernst Günther Schenck wurde misstrauisch, und es gelang ihm, eines von Morells goldenen Briefchen im Labor zu untersuchen, wo sich herausstellte, dass es sich dabei um Metamphetamin handelte. Hitler machte sich darüber keine Gedanken, solange die Droge nur Wirkung zeigte. Es dauerte nicht lange, und er war so abhängig von Morells Wundermitteln, dass er sich komplett in die Hände seines Arztes begab – mit katastrophalen Folgen: Die Invasion der Sowjetunion dirigierte er unter dem Einfluss von bis zu achtzig verschiedenen Drogen, unter anderem Testosteron, diversen Opiaten, Beruhigungs- und Abführmitteln. Morells Aufzeichnungen zufolge verabreichte er dem Führer zudem diverse Barbiturate, Morphine, Bullenspermata und Probiotika.
Die überraschendste Droge, die Dr. Morell Hitler verabreichte, war Kokain. In den 1930er-Jahren wurde es in Deutschland hin und wieder zur medizinischen Behandlung eingesetzt, jedoch nur in extrem niedriger Dosierung und in einer Konzentration unter einem Prozent. Morell begann damit, Hitler Kokain in Form von Augentropfen zu verabreichen. Da er wusste, dass der Führer erwartete, sich nach der Einnahme der Drogen deutlich besser zu fühlen, erhöhte er die Kokainmenge in den Tropfen auf das Zehnfache. Diese hohe Konzentration könnte Hitlers psychotisches Verhalten in seinen letzten Jahren erklären.
Der Führer erlebte Kokain als extrem wirksam. Eine Sammlung medizinischer Aufzeichnungen, die 2012 in den USA gefunden wurden (unter anderem ein 47-seitiger Bericht von Morell und anderen Ärzten des Führers), legt nahe, dass Hitler sich schon bald nach der Droge sehnte – ein deutliches Zeichen einer ernsten Abhängigkeit. Neben den Augentropfen begann er nun auch Kokain zu schnupfen, um seine Nebenhöhlen zu reinigen und den rauen Hals zu beruhigen.
Das Kokain mochte ihm geholfen haben, sich besser zu fühlen, doch den Sexualtrieb des Führers verstärkte es nicht. Um diesen delikaten Zustand zu überwinden, begann Morell ihm zusätzlich ein Potenzmittel zu spritzen, in dem sich das Extrakt der Prostatadrüsen junger Bullen befand. Zudem verschrieb der Arzt ihm ein auf Testosteron basierendes Medikament namens Testoviron, das Hitler sich spritzen ließ, bevor er die Nacht mit Eva Braun verbrachte.
Langfristig führten die Drogen, vor allem die Amphetamine, zu einem zunehmend unberechenbaren Verhalten. Besonders deutlich wurde das während eines Treffens zwischen Hitler und Mussolini in Norditalien. Während Hitler versuchte, sein italienisches Gegenüber davon zu überzeugen, im Krieg nicht die Seiten zu wechseln, wurde er richtiggehend hysterisch. Wie der Historiker Richard Evans schreibt: »Wir können davon ausgehen, dass Morell Hitler vor dessen Unterredung mit Mussolini irgendwelche Tabletten gegeben hat … [Hitler war] völlig überdreht, redete und redete, er war ganz offensichtlich auf Speed.«
Gegen Kriegsende befand sich Adolf Hitler in einem sehr schlechten Zustand. Seine Arme waren von den Einstichlöchern der Spritzen übersät. Morell hatte Hitler zu einem Drogenabhängigen gemacht. Doch der Arzt verehrte seinen geliebten Führer auch weiterhin und blieb beinahe bis zuletzt bei ihm in seinem Berliner Bunker.
Kurz nach dem Fall der nationalsozialistischen Diktatur wurde Dr. Morell von den Amerikanern festgenommen und fast zwei Jahre lang verhört. Einer der Offiziere, die ihn vernahmen, zeigte sich angewidert von dessen mangelnder persönlicher Hygiene. Morell wurde niemals irgendwelcher Kriegsverbrechen angeklagt und starb 1948, kurz nachdem er aus dem Gefängnis entlassen worden war, an einem Schlaganfall. Er hinterließ eine Sammlung medizinischer Aufzeichnungen, aus denen die außergewöhnliche Drogensucht seines Lieblingspatienten hervorgeht.
Es ist schon ironisch, dass der Mann, dessen Aufgabe es war, Hitler wieder gesund zu machen, vermutlich mehr als jeder andere zu dessen Untergang beigetragen hat.
Getarnte Damen
Tatsächlich könnte ich in dieser Aufmachung jeden täuschen: eine untersetzte, dickliche Gestalt mit einem etwas kleinen Kopf und einem jungenhaften Gesicht .
Dorothy Lawrence bewundert ihre
Verkleidung als Soldat im Ersten Weltkrieg
Agatha Christies rätselhaftester Fall
Um kurz nach halb zehn am Abend des 3. Dezember 1926 stand Agatha Christie aus ihrem Sessel auf und stieg die Treppe ihres Hauses in Berkshire hinauf. Sie gab ihrer schlafenden siebenjährigen Tochter Rosalind einen Gutenachtkuss und ging wieder nach unten. Dort stieg sie in ihren Morris Cowley, fuhr in die Nacht hinaus und sollte in den folgenden elf Tagen nicht wieder gesehen werden.
Ihr Verschwinden löste eine der größten Suchaktionen der Geschichte aus. Agatha Christie war damals bereits eine bekannte Schriftstellerin. Mehr als tausend Polizisten und Hunderte von Zivilisten beteiligten sich an der Suche. Zum ersten Mal wurden sogar Flugzeuge eingesetzt, um nach der Vermissten zu suchen. Innenminister William Joynson-Hicks machte der Polizei Druck, Christie so schnell wie möglich zu finden. Zwei der bekanntesten Schriftsteller Großbritanniens, Sir Arthur Conan Doyle, der Erfinder von Sherlock Holmes, und Dorothy L. Sayers, die Autorin der Bücher rund um den Amateurdetektiv Lord Peter Wimsey, wurden ebenfalls in die Suche einbezogen, denn man erhoffte sich, von ihrem speziellen Wissen profitieren zu können.
Bereits nach kurzer Zeit fand die Polizei Christies Auto. Es stand an einem steilen Abhang in einem Naturschutzgebiet in der Nähe von Guildford. Doch von Agatha Christie selbst fehlte jede Spur, ebenso wie von irgendwelchen Anzeichen, sie könnte in einen Unfall verwickelt gewesen sein. Als der erste Tag der Untersuchungen in den zweiten und dritten überging und sie weiterhin verschwunden blieb, begannen die Spekulationen. Die Presse schwelgte förmlich in immer neuen Theorien, was mit ihr geschehen sein könnte.
Es war die perfekte Story für die Klatschpresse, mit allen Elementen eines klassischen Agatha-Christie-Krimis. In der Nähe des Ortes, an dem man ihren Wagen gefunden hatte, befand sich eine natürliche Quelle, der Silent Pool, in dem angeblich bereits zwei kleine Kinder gestorben waren. Ein paar Reporter spekulierten offen, dass Christie sich möglicherweise selbst umgebracht haben könnte. Doch ihre Leiche war unauffindbar, und ein Selbstmord schien eher unwahrscheinlich, schließlich war Christie beruflich nie so erfolgreich gewesen wie zu dieser Zeit. Ihr sechstes Buch, Der Mord an Roger Ackroyd , verkaufte sich gut, und sie war mittlerweile allgemein bekannt.
Manche behaupteten, das Ganze sei nichts weiter als ein PR-Gag, ein cleverer Trick, damit sich ihr neues Buch besser verkaufte. Andere glaubten an eine weit schlimmere Möglichkeit. Es ging das Gerücht, Agatha sei von ihrem Ehemann, Archie Christie, einem ehemaligen Kampfpiloten und notorischen Schürzenjäger, ermordet worden. Zumal allgemein bekannt war, dass er eine Geliebte hatte.
Arthur Conan Doyle, ein überzeugter Okkultist, bemühte sogar paranormale Kräfte, um das Rätsel zu lösen. In der Hoffnung, Antworten zu bekommen, brachte er einen von Christies Handschuhen zu einem berühmten Medium. Doch vergeblich. Dorothy Sayers besuchte den Ort, an dem ihre Schriftsteller-Kollegin verschwunden war, um nach möglichen Hinweisen zu suchen. Was sich jedoch als ebenso vergeblich erwies. Nach einer Woche hatte sich die Nachricht über die ganze Welt verbreitet und schaffte es sogar bis auf die Titelseite der New York Times .
Erst am 14. Dezember, ganze elf Tage nach ihrem Verschwinden, wurde Agatha Christie endlich gefunden. Sie befand sich sicher und in bester Gesundheit in einem Hotel in Harrogate, doch die Umstände ihres Aufenthaltes dort lieferten mehr Fragen als Antworten. Christie selbst war nicht in der Lage zu erklären, was genau geschehen war. Sie erinnerte sich an nichts. Und so blieb es der Polizei überlassen, die möglichen Ereignisse zu rekonstruieren.
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