1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Teilnehmer eines solchen Seminars für Eltern von kleinen Kindern mit Down-Syndrom stellten bei der abschließenden Diskussion fest: »Es war mein erster Kontakt mit Eltern, die dasselbe Problem wie ich haben. Das hat mir sehr geholfen, über alles zu reden.« »Für mich war die Erfahrung wichtig: Ich bin nicht allein! Der Austausch mit den anderen Eltern gibt Mut und neue Motivation.« »Es erleichtert und ist gut zu erfahren, dass auch andere Eltern denken, dass man nicht alles tun muss, was man machen kann.«
Die allgemeinen erheblichen Veränderungen der Lebens- und Familienformen haben deutliche Auswirkungen auf den Lebensalltag aller Familien sowie auf die Möglichkeiten der verwandtschaftlichen Unterstützung und spontanen Hilfe bei Bedarf. Immer mehr Familien sind angewiesen auf externe Betreuung ihrer Kinder schon im Babyalter und auf entsprechende Angebote im Kindergarten- und Schulalter. Das gilt zunehmend auch für Kinder mit Down-Syndrom. Im Unterschied zu früher wollen heute immer mehr Eltern sich die Familienaufgaben möglichst teilen, und die Verantwortung für die gelingende Entwicklung gerade des behinderten Kindes wird nicht vorwiegend der Mutter zugewiesen. Im Mittelpunkt steht dabei nicht mehr allein das Wohlergehen des behinderten Kindes, sondern es geht den Eltern auch um »eine Wiedereroberung von Normalität« (Sarimski 2016, 17).
»Seit drei Monaten arbeite ich wieder. Das haben viele Bekannte nicht verstanden und sehr negativ kommentiert. Aber mein Kind geht gern in die Krippe und fühlt sich wohl zwischen den anderen Kindern. Und ich habe wieder täglichen Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen. Das tut mir gut. Das bedeutet jetzt für mich Integration!« (Mitteilung einer Mutter)
In einem »Rechtsratgeber für Mütter mit besonderen Herausforderungen« (Kruse 2015) wird betont, dass zu einem gelingenden Familienleben beiträgt, wenn »die Mutter und der Vater ein erfülltes Leben führen können. Dazu gehört auch die Verwirklichung eigener Lebensvorstellungen, eine eigene Berufstätigkeit«. Allerdings werden die besonderen Probleme von Familien mit einem behinderten Kind gesehen, die »die ohnehin vorhandenen Schwierigkeiten noch verschärfen« (ebd. 3). Die Informationsschrift bietet deshalb einen differenzierten Überblick über rechtliche und finanzielle Hilfen.
Es ist wichtig zu betonen, wie viel Kinder im normalen Familienalltag, im Zusammenleben mit Geschwistern, in der Kindertagesstätte, aber auch bei zufälligen Kontakten auf dem Spielplatz oder in der Nachbarschaft lernen. Nicht alles ist nur durch spezielle Förderung zu erreichen, sondern kann durchaus auch bei gemeinsamen Tätigkeiten und in kindgemäßen Spielen gelernt werden. Gerade die Teilhabe am normalen Familienleben, gemeinsames Spielen mit anderen Kindern in der Krippe oder bei der Tagesmutter, im Kindergarten oder in der Schule bieten vielfältige Lernmöglichkeiten – auch wenn die besonderen Unterstützungsbedürfnisse nicht ausgeblendet werden sollten.
Die gemeinsame Diskussion solcher Fragen ermöglicht den Eltern, eigene Entscheidungen für das Kind und für sich selbst zu treffen und entlastet sie von dem oft empfundenen Druck, das Kind ständig fördern zu müssen und trotzdem nicht genug zu machen.
Geschwister zu haben ist nicht mehr selbstverständlich. Immer weniger Kinder werden in immer weniger Familien geboren! Die Zunahme von Einzelkindern (in Großstädten beträgt ihr Anteil bis zu 50 %) bewirkt, dass Eltern alle ihre Erwartungen auf dieses Kind konzentrieren und sie tendieren dadurch oft sowohl zu Überförderung als auch zu Verwöhnung und Überbehütung (Kraus 2015).
Dem Einzelkind fehlen vor allem Möglichkeiten, soziale Kontakte mit anderen nicht gleichaltrigen Kindern in der Familie einzuüben: Erfahren von Konkurrenz und Teilen, geschwisterliches Rivalisieren, das Aushandeln und Durchsetzen von Interessen, aber auch die Solidarität und die wechselseitige Unterstützung der Geschwister untereinander und gegenüber Fremden. Deshalb ist es in Zukunft stärker eine gesellschaftliche Aufgabe, entsprechende Möglichkeiten für solche Kontakte zwischen Kindern in durchaus altersheterogenen Gruppen zur Verfügung zu stellen.
Zu der »Verinselung« in der Familie mit den eingeschränkten oder nicht gegebenen Peerkontakten tritt die »Verinselung« des Kindes in der Wohnumgebung. Auch hier erscheint die Situation von Kindern in Großstädten besonders prekär, da die Familienhaushalte im Vergleich zu Single- oder Paarhaushalten dort oftmals nur noch eine kleine Minderheit sind. Die »Verinselung« und »Verhäuslichung« vor allem des städtischen Kinderalltags löst den Lernort »Straße« ab. An die Stelle von eigenständigem und selbst gewähltem Spielverhalten treten Freizeitangebote und -formen, die vorweg zu organisieren und pädagogisch arrangiert sind und vor allem in speziellen öffentlichen »Räumen«, wie Vereinen oder Clubs, in Sporthallen oder auf Spielplätzen stattfinden. Zunehmend fehlen vielen Kindern spontane Kontakte mit anderen nicht gleichaltrigen Kindern, und für sie ist deshalb ein achtsamer Umgang mit anderen und Rücksichtnahme nicht selbstverständlich und angemessenes Helfen und Helfen-können im Alltagsleben ist eine seltenere Erfahrung geworden.
Familien ohne und mit einem Kind mit Down-Syndrom unterscheiden sich hinsichtlich der Anzahl ihrer Kinder. Abweichend zu den heute sonst häufigen Einzelkindern in der Gesamtbevölkerung, wachsen Kinder mit Down-Syndrom selten ohne Geschwister auf. So ergab eine Schweizer Untersuchung zur Familiensituation von Kindern mit Down-Syndrom im Vergleich mit durchschnittlichen Familien: »Es gibt weniger Einzelkinder mit DS, etwas weniger Zweikindfamilien, dafür deutlich häufiger Familien mit drei und mehr Kindern« (Jeltsch-Schudel 1999, 57). Auch eine japanische Untersuchung kommt zu einem entsprechenden Ergebnis. Danach war das Kind mit Down-Syndrom in 40 % der Familien das erste Kind, in 48 % das zweite; 40 % der Familien hatten nach der Geburt eines Kindes mit Down-Syndrom noch weitere Kinder. Die durchschnittliche Kinderzahl betrug 2,3 (Tatsumi-Miyajima u. a. 1997). Auch in einer Reutlinger Befragung lag der Anteil der Drei-Kind-Familien bei 21 % im Gegensatz zu den durchschnittlichen 16 % in anderen deutschen Familien (Klatte-Reiber 1997, 198). Eine eigene Befragung von ca. 300 Familien, die ein Kind mit Down-Syndrom haben (Wilken 1999a), ergab, dass 18 % der Familien drei und mehr Kinder hatten. Wenn Kinder mit Down-Syndrom als erste oder zweite Kinder geboren werden, besteht bei den Eltern offenbar öfter der Wunsch nach einem dritten Kind. Auch eine weitere Erhebung bei über 700 Eltern bestätigte diese Tendenz (Wilken 2001a). Die Anzahl der Kinder in den Familien betrug 1 bis 8 Kinder. Davon hatten 42 % der Familien zwei Kinder und 23 % drei Kinder.
Abb.1: Stellung des Kindes mit Down-Syndrom in der Geschwisterreihe
Für die Familiensituation von Kindern mit Down-Syndrom ergibt sich aus den Daten der Erhebung, dass sie zwar etwas öfter in größeren Familien aufwachsen, dass es insgesamt aber nur wenige Unterschiede zu anderen durchschnittlichen Familien gibt. Sowohl die ermittelte Altersstruktur der Eltern als auch die Stellung in der Geburtenfolge der Kinder zeigt überwiegend keine speziellen Besonderheiten.
Durch die normale Einbindung der Kinder mit Down-Syndrom in ihre Geschwisterreihe – selbst wenn sie die Jüngsten sind, besteht meistens kein übergroßer Altersabstand zu den anderen Kindern – sind sie auch in die normalen Spielaktivitäten und Freundschaften ihrer Geschwister oftmals einbezogen. Sie erhalten so vielfältige Anregungen und sind auf selbstverständliche Art in die Familie und ihr soziales Umfeld eingebunden. Allerdings kann diese größere Nähe im Lebensalter der Geschwister auch zu unmittelbarem Vergleichen von Kompetenzen und stärkerer Rivalität führen.
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