Auch wenn ein Kind mit Down-Syndrom heute insgesamt in der Familie, in der Verwandtschaft und im Freundeskreis eine bessere Akzeptanz findet und die Familien eher spontane Hilfen von Angehörigen und Freunden erhalten, benötigen die Eltern oft auch professionelle Unterstützung bei der Bewältigung ihrer besonderen Familiensituation und den speziellen Bedürfnissen ihres Kindes sowie den Herausforderungen des Familienalltags. Dazu gehört die Beratung über Rechtsansprüche genauso wie konkrete Maßnahmen bei Schwierigkeiten in der Betreuung oder gesundheitlichen Versorgung des Kindes, spezielle Hilfen wie die familienentlastenden Dienste oder besondere Kuren für Mutter und Kind. Dadurch können Stress und häufige Überforderung zwar nicht aufgehoben werden, aber es ist eher möglich, einer kritischen Entwicklung aufgrund der ständigen Belastungen vorzubeugen.
»Zu sagen, dass es mir nicht gut geht, wäre aber auch vollkommener Quatsch. Einige Menschen denken ja anscheinend, dass es einem mit einem behinderten Kind die ganze Zeit schlecht geht. Als wir letzen Sommer auf Kur waren, gab es da einen kleinen Jungen, der mich durchgehend mit Fragen zu Willi bombardierte: ›Warum macht er so komische Geräusche?‹ – ›Warum sitzt er unterm Tisch?‹ – ›Warum zieht er immer die Schuhe aus?‹ … Allesamt sehr berechtigte Fragen, auf die ich auch ganz gerne Antworten hätte. Seine Mutter versuchte, ihn sofort wegzuzerren, und sagte in allen erdenklichen Varianten sinngemäß: ›Die Frau hat doch schon genug zu leiden.‹ Komisch, ich kam mir eigentlich gerade ganz glücklich vor, ich hätte auf der Kur sogar glatt auf die Wie-geht`s-Frage mit ›gut‹ antworten können.« (Müller 2015, 11)
Die alterstypischen Neuorientierungen in den verschiedenen Lebensphasen erfordern immer wieder Auseinandersetzungen mit den vorhandenen Möglichkeiten, den individuellen Voraussetzungen und den familiären Bedingen und verlangen nach entsprechenden Lösungen. Ein Gelingen dieser Prozesse hängt wesentlich von den Fähigkeiten der Familien ab, ihre Lebensumstände eigenaktiv zu gestalten und Normen und Werte für sich neu und unabhängig zu definieren. Dann empfinden Familien »das Kind mit Down-Syndrom, wie jedes andere Kind und wie jede andere Lebensaufgabe auch, (als) sinnstiftend und in diesem Sinne bereichernd für die persönliche Lebenssituation« (Klatte-Reiber 1997, 189). Bei einer entsprechenden Befragung zur Bewertung von Sinnerfüllung für das eigene Leben nach der Geburt ihres Kindes mit Down-Syndrom sagte die Hälfte der Eltern, dass sie ihr Leben dadurch als sinnerfüllter erlebten, während 44 Prozent keine Veränderungen sahen – nur sechs Prozent der Eltern schätzten ihre Situation insgesamt negativer ein (ebd).
Auch in einer neueren Befragung wurde festgestellt, »dass den meisten Eltern eine befriedigende Gestaltung der Interaktion im Alltag gelingt …, ihre persönlichen und zukunftsbezogenen Sorgen nehmen aber doch im Verlauf der ersten Lebensjahre signifikant zu. Es ist anzunehmen, dass sich darin die zunehmende Sorge der Eltern um die zukünftige Teilhabe ihrer Kinder widerspiegelt, wenn der Unterschied im Entwicklungstempo der Kinder mit den Jahren zunehmend deutlich wird« (Sarimski 2015, 18 f).
Immer wieder betonen Eltern auch, wie die gefundenen Alltagsstrategien zur Bewältigung der besonderen Familiensituation aus dem Gleichgewicht geraten können durch überraschende Ereignisse. Die Erkrankung eines Elternteils oder der Tagesmutter, Veränderungen in der Betreuung im Kindergarten, Kürzung der Stunden für die Schulassistenz, Probleme mit den Fahrdiensten und viele weitere unterschiedliche Schwierigkeiten verlangen immer wieder kreative und oft anstrengende Lösungen. Deshalb ist es wichtig, konkrete Hilfen oder spezielle Unterstützung für Ausnahmesituationen anzubieten, aber auch Beratung über Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung sowie der Jugend- und Sozialhilfe, wie und wo Anträge zu stellen sind und welche besonderen Rechte bestehen.
Eltern von Kindern mit Down-Syndrom haben viele regionale und überregionale Selbsthilfegruppen gebildet, um Erfahrungen auszutauschen, Informationen zu vermitteln, Unterstützung und konkrete Hilfen anzubieten. Mittlerweile gibt es allein in Deutschland rund 250 solcher Selbsthilfegruppen (vgl. Verzeichnis medandmore 2016). Einige haben Broschüren zur Information neu betroffener Eltern erstellt, um ihnen die schwierige erste Zeit der Auseinandersetzung zu erleichtern und selbst erlebte problematische Erfahrungen zu erleichtern. Eltern, die aufgrund eigener Betroffenheit bereit sind, anderen Eltern beim Beginn des Zusammenlebens mit ihrem behinderten Kind zu begleiten, können wesentliche Hilfen zur Verarbeitung der besonderen Situation vermitteln und positive, aber realistische Perspektiven aufzeigen.
Das machen entsprechende Texte sehr deutlich: »Wir wissen, ein behindertes Kind anzunehmen ist schmerzhaft, doch lassen Sie sich versichern, die meisten Eltern schaffen es! Wir möchten Ihnen (…) über die Unsicherheit der ersten Zeit hinweghelfen und Ihnen eine Orientierung geben (…). Außerdem wollen wir Ihnen Mut machen, sich auf Ihr besonderes Kind einzulassen (…). Sie werden durch dieses Kind sehr bereichert, mehr als Sie sich jetzt vorstellen können.« (Bundesvereinigung Lebenshilfe 1998, 2)
»Aber dann drängte sich dieses Häuflein Kind, das uns zuerst so unglücklich gemacht hatte, immer mehr in unser Leben hinein und wurde zu einem quirligen Mittelpunkt, ohne den wir um keinen Preis mehr sein wollen!« (Halder 1999, 4)
Gerade die Aufklärungsarbeit und das Engagement betroffener Eltern können helfen, nicht nur die schwierige erste Zeit mit dem Kind weniger belastend zu erleben, sondern auch bei sehr speziellen Schwierigkeiten zu unterstützen und angemessen zu beraten. Auch das angebotene vielfältige Bild-, Text- und Filmmaterial für die Eltern ermöglicht, dass erforderliche Informationen und Beratung heute insgesamt differenzierter und einfühlsamer erfolgen als früher. Es gibt zahlreiche Publikationen von verschiedenen regionalen Selbsthilfegruppen, spezielle Zeitschriften mit differenzierten Berichten von Fachleuten und von Eltern (Leben mit Down-Syndrom, Kids Aktuell, Leben Lachen Lernen-Österreich) und weitere informative Broschüren, Lern- und Fördermaterial, Bücher und Filme.
Die Erfahrung, dass das eigene Kind anders als erwartet ist und sich deutlich abweichend entwickelt, wird immer schwer zu verarbeiten sein. Die Bewältigungsprozesse, welche die Eltern zu leisten haben, werden jedoch ganz wesentlich beeinflusst von den Informationen und Hilfen, die sie erhalten und von den Möglichkeiten, gute Bedingungen für ihr Kind zu finden und passende Lösungen für ihre Familie. Zudem spielt eine wesentliche Rolle, welche Einstellung zur Behinderung ihres Kindes sie im Lebensalltag, beim Arzt oder in der Öffentlichkeit erleben. Langfristig beeinflusst werden dadurch auch die familiären Möglichkeiten, neue Lebensperspektiven mit dem Kind aufzubauen und andere, nicht überwiegend leistungsorientierte Wertvorstellungen zu entwickeln sowie das eigene Familienleben selbstbestimmt zu organisieren und weniger abhängig von Durchschnittserwartungen und Normen zu sein.
Vor allem können Begegnungen mit anderen Eltern und ihren Kindern mit Down-Syndrom, der Erfahrungsaustausch mit ihnen und intensive Gespräche über aktuelle Probleme und Schwierigkeiten im Familienalltag oder auch der Austausch in Internetforen sehr hilfreich sein. Manchen Eltern gelingt es dadurch, ihre oft sprachlose Betroffenheit zu überwinden, über ihre Situation und über ihre Schwierigkeiten zu sprechen und ihre bisherige Lebensplanung den veränderten Bedingungen anzupassen.
Die kooperative Elternarbeit, wie sie in speziellen Familienseminaren erfolgt (Wilken 2014, 214 ff) oder von den verschiedenen regionalen Elternselbsthilfegruppen angeboten wird, vermittelt nicht nur differenzierte Informationen über die Behinderung des Kindes und über Ziele und Möglichkeiten der Förderung, sondern bietet den Eltern vor allem einen wichtigen allgemeinen Erfahrungsaustausch. Auch die gemeinsame Reflektion verschiedener medizinischer und therapeutischer Angebote und die Diskussion eigener Ziele bezogen auf das Kind und die Familie vermag ihnen wesentliche Orientierungshilfen zu geben.
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